Analyse zu Trumps Militär-DrohungDas tönt gefährlich nach Bürgerkrieg
Mit seiner Drohung, das Militär gegen Demonstranten in Stellung zu bringen, bringt Donald Trump die Nation womöglich an den Rand eines Bürgerkriegs. Er steht mit dem Rücken zur Wand.
Schon vor Wochen war so eine diffuse Sorge zu spüren, dass es noch knallen könnte in den USA. Die Corona-Pandemie breitete sich von Tag zu Tag stärker aus, vor allem arme Menschen sind betroffen – und damit Alte, Afroamerikaner und Hispanics. Unter ihnen gibt es die meisten Corona-Toten, die meisten Infektionen. Und sie sind es, die zuvorderst mit Arbeitslosigkeit und sozialem Abstieg zu kämpfen haben. Mehr als 40 Millionen US-Amerikaner haben seit Beginn der Pandemie Erstanträge auf Arbeitslosengeld gestellt. Das Virus setzt den sozialen Frieden im Land dem grössten Stresstest seiner jüngeren Geschichte aus.
Die Auswirkungen dieser tektonischen Verschiebungen waren schon deutlich vor dem 25. Mai zu spüren. Jenem Tag, an dem ein Polizist in Minneapolis dem am Boden liegenden 46 Jahre alten Afroamerikaner George Floyd sein Knie auf den Hals gepresst hatte. Acht Minuten und 46 Sekunden lang. Bis er starb.
Es folgten die grössten Massenproteste, die das Land seit Langem gesehen hat. Hunderttausende gehen seit Tagen friedlich auf die Strasse. Aber es gibt auch Plünderungen, Brandschatzungen, massive Gewalt gegen Demonstranten und massive Gewalt gegen Polizisten. Es wird von bürgerkriegsähnlichen Zuständen gesprochen. Und wer die Bilder im Fernsehen oder in den sozialen Medien aus Washington, New York, Atlanta, Los Angeles, Minneapolis und 140 weiteren Städten sieht, der wird dem zustimmen.
Wenn die Gouverneure die Lage nicht in den Griff bekommen, droht US-Präsident Donald Trump nun, werde er das Militär einsetzen. Mehr noch. Er sagt, er habe sämtliche verfügbaren zivilen «und militärischen Ressourcen» mobilisiert, um die Gewalt zu beenden. «Schwer bewaffnete Soldaten» seien schon auf dem Weg nach Washington D.C., um dort die Lage unter Kontrolle zu bringen. Das klingt nicht mehr bürgerkriegsähnlich. Das klingt gefährlich nach Bürgerkrieg.
Es wäre nicht das erste Mal, dass ein US-Präsident das Militär einsetzt, um Gewaltausschreitungen zu beenden. Zuletzt ist das 1992 geschehen, nachdem vier Polizisten freigesprochen wurden, die den Afroamerikaner Rodney King in einer Routine-Verkehrskontrolle brutal zusammengeschlagen hatten. Nach drei Tagen Strassenkampf beorderte Präsident George Bush 3500 Soldaten nach Los Angeles. Einen ähnlichen Einsatz des US-Militärs hatte es davor zuletzt 1968 nach der Ermordung von Martin Luther King gegeben auf Anordnung von Präsident Lyndon B. Johnson.
Sein oberstes zu schützendes Gut ist er selbst
Jetzt aber sitzt Donald Trump im Weissen Haus. Ein erratischer Ichling, ein Narzisst, dem das eigene Wohl stets das oberste zu schützende Gut ist. Ihm ist alles zuzutrauen. Auch, dass seine Drohung wie vieles, was er von sich gibt, nur heisse Luft ist. Aber eben auch, dass auf sein Kommando der Flugzeugträger USS Abraham Lincoln kampfbereit vor Los Angeles die Anker setzt.
Der Präsident steht in dieser Krise mit dem Rücken zur Wand. Die Pandemie hat Trumps grosses Gewinnerthema zerstört, die gut laufende Wirtschaft. Seine Umfragewerte gehen zurück. So gut wie überall liegt sein wahrscheinlicher demokratischer Herausforderer Joe Biden vor ihm. Mit zum Teil zehn Prozentpunkten Vorsprung.
Dass die Corona-Pandemie die USA so unvorbereitet getroffen hat, geht zu grossen Teilen auf Trumps Konto. Die wirtschaftlichen Folgen sind so einschneidend, dass sein Versprechen, im kommenden Jahr werde sich alles wieder wie ein Wunder erholen, selbst auf hartgesottene Republikaner wie wilde Träumereien wirken müssen. Diese Phase der Unruhe, der Massenproteste gegen die ausufernde Polizeigewalt gegenüber Afroamerikanern, sieht er offenbar als Chance, sich den Menschen als «Law and Order»-Präsident zu verkaufen. Koste es, was es wolle.
Trump ist jetzt in der Pflicht. Die Verantwortung für die Pandemie hat er noch mehr oder weniger erfolgreich auf die Gouverneure abgewälzt. Jetzt aber verspricht er, diese Ausschreitungen im Zweifel mit Hilfe des Militärs zu beenden. Es ist ein Versprechen, das den Präsidenten der USA teuer zu stehen kommen kann. Es zu brechen, wird er sich kaum leisten können. Trump ist jetzt offiziell eine Gefahr für die nationale Sicherheit.
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