Klassiker von Elisabeth FülscherDas Schweizer Kult-Kochbuch wird 100-jährig
Es ist Geschichtsbuch, Fotoband und vor allem eine vorzügliche Rezeptsammlung: «Das Fülscher» hat Geburtstag. Dazu gibt es ein neues Werk für die Ewigkeit.
Achtung: «Das Fülscher» gibt es in zwei verschiedenen Ausgaben. Erstens: «Elisabeth Fülscher Kochbuch», es wird nächstes Jahr 100 Jahre alt. Sein sehr ähnliches Pendant, wenn man es denn so nennen kann, ist erst ein paar Wochen alt und heisst «Fülscher heute». Ein Geburtstagsgeschenk sozusagen, ein Blick zurück, mit an die heutige Zeit adaptierten Rezepten, wunderbaren Essays von kochaffinen Autorinnen und Autoren sowie neuen Bildern der Gerichte. Ach, und mit einigen Originalrezepten und gezeichneten Esswaren.
Aber von Anfang an. Elisabeth Fülscher (1895–1970) war Kochschulleiterin und Kochbuchautorin, beides erst mal für die Mittel- und Oberschicht. Ihre Kurse richteten sich an eine gehobene Kundschaft. Schule und Werk hatte Fülscher von ihrer Mentorin Anna Widmer, bei der sie die Ausbildung zur Hauswirtschaftslehrerin absolviert hatte, 1930 übernommen. Fülscher selber war weniger die Hausfrau, an die sie ihre Rezepte richtete, sondern eine clevere Unternehmerin, die ihr Programm stetig ausbaute. Und sie war und ist bis heute allgegenwärtig: «Das Fülscher», wie man das Werk salopp nennt, ist heute in vielen Küchen zu finden. Die erste Ausgabe erschien 1923 (und stammte von Anna Widmer), Elisabeth Fülscher aktualisierte die Sammlung immer wieder bis in die 60er-Jahre. Die Rezepte der aktuellen Ausgabe wurden seit 1966 nicht mehr verändert.
Diese orientieren sich nicht etwa an einer Landhausküche und Älplermagronen, wie man es von einem Standardwerk vielleicht annehmen könnte, sondern an einer weltoffenen, eher bürgerlichen Küche – man lasse sich nur mal die Namen der Rezepte auf der Zunge zergehen: Boeuf à la mode, Spanische Kartoffelomelette (Tortilla a la espanõla) und Joghurt-Eisbecher (ein – Sie ahnen es – Vorgänger von Frozen Yogurt).
Tipps zum Energiesparen, daneben üppige Platten
Dieses schier unendlich grossen Rezeptschatzes hat sich Susanne Vögeli, die lange in Aarau selber eine Kochschule hatte und heute ein Kochatelier führt, vor über zehn Jahren zusammen mit ihrem Partner Max Rigendinger angenommen. Und für das Jubiläum neben ihrer Website, auf der sie regelmässig Fülscher-Rezepte nachkocht, eine Hommage auf Papier geschaffen: In 15 Kapiteln wird in «Fülscher heute» die Kochwelt von damals aufgerollt. Unter anderem mit Essays von Autorinnen, die über Themen wie «Von der Bildtafel zu Instagram» (Elisabeth Bronfen), «Das Tier: Arbeit am Lebendigen» (Daniel Di Falco) oder «Das Spiel mit der Täuschung» schreiben. In letzterem Kapitel geht es übrigens um Laubfrösche, Spinatröllchen, die ausser Ei nichts Tierisches beinhalten. Falsche Schildkrötensuppe (dafür schlug Elisabeth Fülscher einen Kalbskopf vor) oder Falschen Salm, für den man eben nicht Lachs zubereitet, sondern Schweinsfilet in viel Mayonnaise anrichtet.
Elisabeth Fülschers Vater stammte ursprünglich aus einfachen Verhältnissen, hatte sich aber zum Ingenieur hochgearbeitet. Bei ihr finden sich einerseits etwa Rezepte zum Verwerten von Brotresten oder zum Energiesparen. Aber eben auch Typisches aus dem sogenannten Grossbürgertum: Tipps für üppige Platten und diverse Varianten, wie man ebendiese schön anrichten könnte.
«Das Fülscher» und «Fülscher heute» lesen sich wie (kulinarische) Geschichtsbücher. Nicht nur dank Schwarzweissfotos von Hans Finsler, Mitbegründer der Fotostiftung Schweiz, sondern auch dank der Rezepte und Rezeptnamen selber. Und selbst wenn viele davon heute ein wenig schrullig wirken – Salade mexicaine, Brätkügelchen oder Spargeln an Schaumsauce! –, sind sie angenehm zeitlos. In einer sich rasend schnell verändernden Zeit muss man Gerichte wie Hackbraten, Karamellköpfchen oder Rosenkohl mit Kastanien nur ein wenig an die heutigen Gepflogenheiten anpassen. Vielleicht ein bisschen Zucker weglassen und dort ein paar Gramm Butter. Oder auch nicht, eigentlich.
Susanne Vögeli kochte für das neue Buch die überlieferten Rezepte neu und passte sie wenn nötig an Gepflogenheiten des 21. Jahrhunderts an. Dass ein hundertjähriges Buch heute noch funktioniere, habe, sagt die Herausgeberin, auch damit zu tun, dass im «Fülscher» «das Kochen nicht verkitscht» werde. Es ist das Nichtvorhandensein von Trends (Diäten, Wundermitteln und so weiter), das die Rezeptsammlung so wertvoll macht.
Ein schönes Beispiel sind die Haselnussstängeli. Im Originalrezept sind mehr Butter und Zucker und viel weniger Haselnüsse rezeptiert. Das neue Rezept gelingt mühelos, und selbst wenn der frühere Hinweis fehlt, die Stängelchen zwecks schöner Form während des Backens mit einem Spachtel zusammenzuschieben, sehen sie gut aus. Und schmecken wie eine Packung Totenbeinli aus dem Supermarkt. Nur besser.
Die Guetsli passen im Übrigen wie keine anderen in diese Zeit im Spätherbst, jetzt, wo die Grenze zwischen Lebenden und Toten so durchlässig ist, wie man sagt, und man auch in der Küche ein wenig makaber werden darf. Haselnussstängeli heissen etwa im Tessin «Oss da mord», wobei nicht ganz geklärt ist, ob das «mord» für die Toten oder für «beissen» steht. Sie sind eine Spezialität, die zu Allerheiligen aufgetischt wird, im Bündnerland wurden früher Totenbeinli vor dem Leichenschmaus gereicht.
Fülschers Haselnussstängelchen, die sie mit dem schicken Zusatz «bâtonnets aux noisettes» versah (diese Weltoffenheit!), halten vielleicht nicht hundert Jahre, aber ganz sicher weit über Halloween und Allerseelen hinaus.
Weitere Rezepte auf www.elisabeth-fuelscher.ch
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