Netflix-Serie «The Chair»Das Problem mit dem Hitlergruss
«The Chair» auf Netflix thematisiert die Krisen der Geisteswissenschaften – Cancel Culture und Budgetkürzungen inklusive.
Das mit dem Hitlergruss war in jedem Fall keine gute Idee. Bill Dobson (Jay Duplass) ist eigentlich ein beliebter Professor, aber seit dem Tod seiner Frau vor einem Jahr ist er etwas zerstreut. Er gibt gut besuchte Seminare mit Titeln wie «Death and Modernity» und als er in eben diesem Seminar auf den Faschismus zu sprechen kommt, zeigt er kurz ironisch den Hitlergruss, inklusive zackigem Hackenschlag.
Natürlich hat ein Student das Ganze gefilmt, schnell ist der Clip digital mit einer Uniform aufgepeppt und geht viral. Statt eines kleinen wird aus der Sache ein riesiger Skandal und ein grosses Problem für Ji-Yoon Kim (Sandra Oh), die gerade erst die Leitung des Instituts für Englische Literatur an der fiktiven Pembroke University übernommen hat. Als erste Frau und als erste Nicht-Weisse. Dabei hätte sie doch mit den zurückgehenden Studentenzahlen, den Personalkürzungen und dem institutionellen Sexismus schon genug zu tun.
«The Chair erzählt von einer untergehenden Welt: den Geisteswissenschaften in der speziellen Form eines Departments für Englische Literatur an einer schicken amerikanischen Ostküsten-Universität. Der Mikrokosmos eines Universitätscampus ist eigentlich das perfekte Setting für eine Fernsehserie.
Nur ist die derzeitige Lage vieler geisteswissenschaftlicher Institute wegen der geringen Zahl von Studierenden alles andere als witzig. Vielleicht ist es aber gerade deshalb richtig, dass die beiden Serien-Erfinderinnen Amanda Peet und Annie Wyman beschlossen haben, sich nicht nur allen Problemen zu stellen, die an den Uni-Instituten gerade für Unruhe sorgen, sondern das auch noch in Form einer Liebeskomödie zu tun und ihr ganzes Setting zur Karikatur zu machen.
Ein Kurs heisst «Sex and the Novel»
Unter dem Deckmantel einer flachen Liebesgeschichte zwischen der Professorin und ihrem wegen seines Hitler-Ausrutschers in Ungnade gefallenen Kollegen schmuggelt Netflix also mal so eben die Krisen der Geisteswissenschaften auf Fernsehbildschirme in aller Welt. Bei den superachtsamen Studenten ist Bill längst zum Faschisten hochskandalisiert worden, während die zahllosen alten weissen Professoren im Department weiter unbehelligt der jungen, schwarzen Professorin Steine in den Karriereweg legen können.
Die lockt mit populistischen Seminartiteln wie «Sex and the Novel» zwar Dutzende Studenten an, ob Singen und Klatschen am Ende das Fach Englische Literatur retten können, lässt die Serie aber offen. Die Uni hat eh längst andere Pläne: Als Gastdozent soll gegen den Willen Ji-Yoon Kims der Schauspieler David Duchovny eingeladen werden, um wenigstens ein paar Studenten zu halten.
Das ist alles tatsächlich nur ganz leicht überzeichnet und könnte aber gerade deshalb zwischen den Witzen auch als Nachruf auf Teile des akademischen Lebens durchgehen. Natürlich sind nicht alle alten Professoren Intriganten und alle jungen Populisten, natürlich wollen nicht alle Studenten nur canceln, was ihnen nicht passt.
Es ist geradezu wie im antiken Drama: Alle machen aus ihrer jeweiligen Perspektive alles richtig, und gerade daraus entstehen unlösbare Konflikte. Das Traurigste an dieser oft sehr witzigen Serie ist aber: Man versteht sehr gut, warum akademische Berufe gerade für die Menschen, die dort dringend gebraucht würden, in den letzten Jahren so unerträglich geworden sind.
6 Folgen, auf Netflix.
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