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Ouvertüre zu einem unschönen Schauspiel
Das Oberste Gericht der USA gerät aus dem Gleichgewicht

Trump und sein konservatives Erbe: Der US-Präsident hat Bundesrichterin Amy Coney Barrett im Rosengarten des Weissen Hauses als seine Kandidatin fürs Oberste Gericht vorgestellt. 
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Dass es eine ungewöhnliche Sitzung des Justizausschusses des US-Senats war, die am Montag begann, exakt 22 Tage vor den Präsidentschaftswahlen, machte schon die Gestaltung des Versammlungsraums im Kapitol deutlich. Mit Abstand waren die Stühle verteilt, auf den Tischen standen Hand-Desinfektionsmittel, zum Trinken gab es lediglich Plastikbecher. Dass zudem sämtliche Anwesenden Masken trugen, zeigte, dass die Pandemie im Senat ernster genommen wird als im Weissen Haus. Vor allen Dingen aber war es eine ungewöhnliche Sitzung, weil erstmals in der Geschichte der USA eine freie Stelle am Supreme Court so kurz vor der Wahl besetzt werden soll.

Die Republikaner sind fest entschlossen, die 48 Jahre Amy Coney Barrett für den Posten zu nominieren, der durch den Tod von Ruth Bader Ginsburg Mitte September frei geworden ist. Das würde die Mehrheitsverhältnisse am Gericht zementieren. Wenn Barretts Nominierung Ende Oktober bestätigt wird, wovon fest auszugehen ist, sitzen sechs konservative Richterinnen und Richter lediglich drei liberalen Kolleginnen und Kollegen gegenüber. Da die Posten auf Lebenszeit vergeben werden, wird die Ernennung Barretts weit über die Präsidentschaft von Donald Trump hinausweisen, ganz gleich, ob er am 3. November wiedergewählt wird.

Historische Chance der Republikaner

Bis zum Donnerstag stellt sich Barrett den Fragen der 22 Mitglieder des Justizausschusses. Es ist davon auszugehen, dass es ein langes, mitunter unschönes Schauspiel wird, was viel damit zu tun hat, dass auf der einen Seite sich die Republikaner die historische Chance nicht entgehen lassen wollen, die Mehrheit am Gericht auf lange Sicht zu verändern, und auf der anderen Seite die Demokraten der Ansicht sind, der ganze Prozess hätte nie begonnen werden dürfen. Ihrer Ansicht nach soll die freie Stelle erst nach der Wahl besetzt werden.

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Exakt diesen Punkt griff der Ausschuss-Vorsitzende Lindsey Graham am Montag in seinen einleitenden Bemerkungen auf. Seine Äusserungen wirkten wie die gewundene Rechtfertigung von jemandem, der weiss, dass er etwas Fragwürdiges tut, aber die Sache jetzt trotzdem durchzieht. Er betonte mehrmals, dass Vorgehen der Republikaner stehe im Einklang mit der Verfassung. Zudem werde ein Präsident für vier Jahre gewählt und nicht für drei, weshalb Trump das Recht habe, den freien Posten zu besetzen. Beides ist richtig.

Die Demokraten berufen sich jedoch darauf, dass es in Barack Obamas letztem Amtsjahr einen ähnlich gelagerten Fall gab. Im Februar 2016 war der konservative Richter Antonin Scalia gestorben. Obama wollte ihn mit dem moderaten Merrick Garland ersetzen. Die Republikaner weigerten sich, Garland überhaupt anzuhören. Das war möglich, weil sie über eine Mehrheit der Sitze im Senat verfügten, der letztlich über die Nominierung entscheidet. Ihre Begründung damals, neun Monate vor der Wahl: So kurz vor Präsidentschaftswahlen solle kein Posten am Supreme Court besetzt werden. Dieses Recht müsse dem nächsten Präsidenten oder der nächsten Präsidentin zufallen.

Die alten Zeiten der Harmonie im Senat sind vorbei

Von dieser Argumentation wollen die Republikaner heute nichts mehr wissen. Sie verweisen unter anderem darauf, dass sie noch immer über die Mehrheit im Senat verfügen. Auch Lindsey Graham nicht, zumal er als Vorsitzender des Ausschusses die treibende Kraft ist bei dieser Neubesetzung.

Zunächst sprach Graham ein wenig über die verstorbene Ruth Bader Ginsburg. Er verwies darauf, dass sie im Jahr 1993 vom Senat mit einer Mehrheit von 96 zu 3 Stimmen bestätigt wurde. Fast ungläubig wiederholte er diese Zahl. «Diese Zeiten sind vorbei», sagte er und fragte: «Was ist zwischen damals und heute passiert?» Die simple Antwort ist, dass sich die Fronten zwischen den beiden Parteien extrem verhärtet haben, was nicht zuletzt daran liegt, dass man dem Wort der Gegenseite kein Vertrauen mehr schenken kann. «Vielleicht», mutmasste Graham, «müssen wir alle einen Teil der Schuld auf uns nehmen.» Klar dürfte jedenfalls sein, dass von den Demokraten niemand für Barrett stimmen wird, was nicht nur am Verfahren liegt, sondern auch an der Richterin selbst.

Katholikin, Mutter von sieben Kindern und Mitglied einer Sekte: Judge Amy Coney Barrett nimmt im Senat Platz für ihre Anhörung.  

«Wer ist sie?», fragte Graham, um kurz selbst zu antworten: Barrett wuchs in New Orleans auf, sie hat sieben Kinder, zwei davon aus Haiti adoptiert. Sie war eine brillante Studentin und Jura-Professorin an der Universität von Notre Dame. Zuletzt arbeitete sie als Bundesrichterin an einem Berufungsgericht. Was Graham nicht erwähnte: Barrett ist Katholikin und gehört mit ihrem Mann Jesse Barrett einer Gruppe namens «People of Praise» an, die circa 1650 Mitglieder hat und unter anderem die Tradition pflegt, dass Gott durch besonders Fromme zu seinen Anhängern spricht. Kritiker sprechen von einer Sekte.

Verfassung soll wörtlich ausgelegt werden

Ebenso wenig erwähnte er, dass Barrett eine Anhängerin des «Originalismus» beziehungsweise «Textualismus» ist, einer Rechtsauslegung, die davon ausgeht, dass die Verfassung heute exakt so verstanden werden müsse, wie sie die Gründerväter der USA im 18. Jahrhundert verstanden haben. Diese Rechtsauslegung wird in konservativen Kreisen beliebter, während liberalere juristische Zirkel eher der Frage nachgehen, was die Verfassung angewandt auf heutige Verhältnisse bedeuten könnte.

Lindsey Graham sagte, er wolle seinen «demokratischen Freunden» alle Zeit geben, die Nominierung Barretts zu prüfen. Er räumte allerdings ein, dass es in der Anhörung wohl eher nicht darum gehe, irgendjemanden zu überzeugen. Wie die Abstimmung ausgeht, ist ohnehin klar.

Tribut an Richterin Ginsburg

Amy Coney Barrett hatte den Senatoren vorab ein schriftliches Statement zukommen lassen. «Ich bin nominiert worden, um den Sitz von Richterin Ginsburg zu füllen, aber niemand wird jemals ihren Platz einnehmen», hiess es darin, «ich werde auf ewig dankbar sein für den Weg, den sie eingeschlagen hat, und das Leben, das sie lebte.»