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Indonesien in der Zwickmühle
Das nächste Öl-Problem

Die Arbeitsbedingungen bei der Ernte der Palmöl-Nüsse sind oft schlecht.
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Macht man junge Orang-Utans auf Borneo zu Waisen, wenn man in der Schweiz geschmeidiges Duschgel und Brotaufstrich im Supermarkt kauft? Das ist eine dieser Fragen, die sich in den Wertschöpfungsketten der globalisierten Wirtschaft und ihren moralischen Implikationen kaum noch klar beantworten lassen. Einen Hinweis lieferten die Märkte in dieser Woche, als sie wegen eines Exportverbots auf Palmöl in Panik gerieten, das die indonesische Regierung aussprach.

Präsident Joko Widodo, genannt Jokowi, hatte das Verbot, das am Donnerstag in Kraft trat, in der Vorwoche in Jakarta auf die Ausfuhr von Speiseöl und den zur Herstellung benötigten Rohstoffen angekündigt. Damit will die Regierung die steigenden Preise im eigenen Land unter Kontrolle bekommen – die Ankündigung liess dann allerdings die Speiseöl-Preise im Rest der Welt in die Höhe schnellen.

Diese waren bereits seit Februar auf einem Allzeithoch, bedingt durch Dürren in Ländern wie Kanada und Argentinien, durch den Arbeitskräftemangel im zweitgrössten Herstellerland Malaysia. Und zuletzt durch den Einmarsch Russlands in der Ukraine, der die Versorgung mit Sonnenblumenöl aus der Schwarzmeerregion unterbrach. Am Palmöl zeigt sich derzeit die Empfindlichkeiten einer Warenwelt, in der alles von allem abhängt.

In den vergangenen Wochen war es zu Demonstrationen in der indonesischen Hauptstadt Jakarta und anderen Städten des Inselstaates gekommen, die Zustimmungswerte für Widodo fielen gemäss «Jakarta Post» in kurzer Zeit um 12 Prozentpunkte. Gemäss einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts «Indikator Politik Indonesia» liess sich dies direkt auf die steigenden Preise zurückführen. Mehr als 60 Prozent der Befragten sprachen sich für einen Exportstopp aus.

Auswirkungen bis nach Alaska

Das ist insofern bizarr, als dass Indonesien in normalen Zeiten der weltweit grösste Exporteur von Palmöl ist. Das Land produziert jeden Monat etwa vier Millionen Tonnen des begehrten Stoffs und verbraucht davon nur etwa eineinhalb Millionen Tonnen. Der Handel bringt zwischen 2,5 und 3 Milliarden US-Dollar monatlich ein.

Der Ausfuhrstopp wird nun erst einmal die kostensensiblen Verbraucher in Asien und Afrika zusätzlich belasten, die Preise für Speiseöle wie Sojaöl, Sonnenblumenöl und Rapsöl werden steigen. Pakistan und Bangladesh beziehen fast 80 Prozent ihres Palmöls aus Indonesien. Indien ist derzeit der grösste Importeur von Palmöl weltweit. Wenn das riesige Land mit mehr als 1,3 Milliarden Einwohnern sich auf anderen Märkten eindecken muss, wird das Auswirkungen bis nach Alaska haben. Auch China gehört zu den Empfängern. Je länger der Bann andauert, umso grössere Kreise wird er ziehen.

In der Schweiz dürften die direkten Auswirkungen eines Exportverbots geringer sein: Obwohl vor der Abstimmung über das Freihandelsabkommen mit Indonesien im März 2021 eines der grossen Diskussionsthemen, ist indonesisches Palmöl in der Schweiz nicht marktbeherrschend. Laut dem Wirtschaftsdepartement machte es an den gesamten Palmöl-Importen der Schweiz zwischen 2012 und 2019 nur 2,5 Prozent aus. Indirekt dagegen dürften Schweizer Konsumentinnen über die Preissteigerungen an den internationalen Märkten trotzdem von einem Ausfuhrstopp betroffen sein. 

«Die Entscheidung Indonesiens hat nicht nur Auswirkungen auf die Verfügbarkeit von Palmöl, sondern auf Pflanzenöle weltweit», sagte James Fry, Vorsitzender der Rohstoffberatungsfirma LMC International, der Nachrichtenagentur Reuters. Auch Rasheed JanMohd, Vorsitzender der «Pakistan Edible Oil Refiners Association», erklärte: «Niemand kann den Verlust von indonesischem Palmöl kompensieren. Jedes Land wird darunter leiden.»

Aus der Palmöl-Frucht wird das begehrte Öl gewonnen, das in immer mehr Lebensmitteln steckt, aber auch in Pflegeprodukten oder Plastikspielzeug.

Dabei will die Regierung die Ärmeren eigentlich entlasten, die sich nach zwei Jahren Pandemie das eigene Erzeugnis nicht mehr leisten konnten. So wie die Bauern in Peru, Bolivien und Ecuador kein Quinoa mehr essen, weil es im Export so viel Geld bringt; stattdessen gibt es in den Anden nun billige, ungesunde Pommes frites.

Palmöl steckt in unglaublich vielen Produkten, die in westlichen Haushalten für Wohlbefinden sorgen, nicht nur in Duschgel und Nuss-Nougat-Creme. Es macht Plastikspielzeug biegsamer, es mischt sich aber auch unter Biodiesel, Gesichtscremes, Reinigungsmittel und Rasierschaum. Einiges davon lässt sich vermeiden, aber nicht alles. Und den meisten aufgeklärten Konsumentinnen und Konsumenten ist seit langem klar, dass der heimische Luxus ausgebeutete Arbeiter in Südostasien bedingt, gerodete Regenwälder und vertriebene Tiere.

«Wenn wir bei Produkten nicht auf Nachhaltigkeit achten, können wir den Ölpalmen-Anbauern auch keinen Vorwurf machen», sagt Signe Preuschoft, die für die Tierschutzorganisation «Vier Pfoten» auf Borneo eine Schule für Orang-Utan-Waisen leitet, deren Eltern bei Brandrodungen ums Leben gekommen sind. Preuschoft hat im Alltag allerdings nicht nur mit traumatisierten Affen zu tun. Es stehen auch Ölpalmen neben dem Haus, in dem sie wohnt. Sie kennt Bauern, die davon leben. Sie weiss, wie wichtig der Anbau für die Region ist.

Borneo ist die drittgrösste Insel weltweit, es sind auch andere Tierarten betroffen, Gibbons, Makaken, Malaienbären, Nebelparder und Nashornvögel. Doch die Orang-Utans wurden in den vergangenen Jahren zu Symbolen des exzessiven Palmöl-Verbrauchs. Borneo gehört zu einem kleineren Teil zu Brunei, den Rest teilen sich Malaysia und Indonesien, und diese beiden Länder produzieren gemeinsam etwa 80 Prozent des weltweiten Bedarfs.

Die Palmen, auf denen die Fruchtbüschel mit den Nüssen darin wachsen, sind etwas gedrungener als diejenigen, die man von Postkarten aus Urlaubsparadiesen kennt. Um die Nüsse zu ernten, braucht man Billiglohnkräfte. Die Orang-Utan-Waisen sind also nicht die einzigen Opfer, auch die Ausbeutung der Arbeiter ist ein Problem, das die Lieferketten an ihrem Ursprung erzeugen, dazu kommen Landraub und Brandrodungen.

Gleichzeitig ist der Anbau dieser Bäume eine klare Verbesserung gegenüber Kautschuk oder Zuckerrohr, die sonst hier wachsen würden. Der grösste Feind ist ohnehin der Kohleabbau. Die Palmen bieten Möglichkeiten für verschiedene Tierarten, in einer Plantage zu leben. Sie lassen sich enger anbauen, liefern mehr Rohstoff zu besseren Preisen und sind relativ robust. Für die Bauern in Malaysia und Indonesien sind sie die beste Möglichkeit, sich ein kleines Einkommen zu sichern.

Orang-Utans werden oft Opfer der weltweiten Palmöl-Nachfrage: Bild aus einer Aufpäppelungsstation in Malaysia.

Die moralischen und wirtschaftlichen Probleme lassen sich also kaum bei den Arbeitern und Bauern in Indonesien lösen. Vielleicht aber auch nicht in den westlichen Supermärkten. Eigentlich sollte so etwas Aufgabe der Politik sein – und genau das versucht der indonesische Präsident Joko Widodo derzeit.

Das Exportverbot soll vorerst nur so lange gelten, bis die Preise für Speiseöl auf 14’000 indonesische Rupiah (etwa 90 Rappen) pro Liter gesunken sind, sagte Wirtschaftsminister Airlangga Hartarto. Gleichzeitig berichtete die Nachrichtenagentur Reuters, dass die Regierung in Jakarta das Verbot ausweiten wolle, «wenn es einen Mangel an raffiniertem Palmöl gibt». Nach Entwarnung hörte sich das nicht an.

Bald wären die Tanks voll

Die Aussicht auf weitere Ausfuhrbeschränkungen macht nicht nur die Märkte, sondern auch die indonesischen Palmöl-Produzenten nervös. Nicht nur, weil die Preise für frische Fruchtbündel seit der Ankündigung bereits um 400 bis 1000 Rupiah pro Kilogramm gefallen sind, wie der indonesische Ölpalmenbauern-Verband in einer Erklärung bekannt gab.

«Nach einer einfachen Berechnung wären bei einem totalen Verbot schon in einem Monat alle Tanks voll», sagte Verbands-Generalsekretär Eddy Martono. Dem Land steht keine Infrastruktur zur Verfügung, um das Öl längerfristig zu lagern. Sobald der Platz in den Tanks erschöpft ist, können die Ölmühlen die frischen Fruchtbündel nicht mehr verarbeiten, diese würden rasch verrotten, erklärte Martono.

Die Regierung bekommt also Druck von innen und von aussen, den Handel wieder unbeschränkt zuzulassen. Aber ob das eine gute Idee ist? Zumindest wird den Verbraucherinnen und Verbrauchern in Europa bald noch bewusster werden, in wie vielen Produkten des täglichen Bedarfs der Rohstoff tatsächlich eingesetzt wird. Je nachdem, wie lange die Blockade dauert, wird sich das nicht mehr nur auf dem Karmakonto auswirken, sondern auch in der Haushaltskasse.