England enttäuscht an der EMDas Mutterland verliert die Geduld
England sieht sich wegen seiner Stars als Mitfavorit – bleibt den Nachweis aber bisher schuldig. Trainer Southgate gerät vor dem Duell mit Tschechien in Bedrängnis.
Die Kritik am englischen Nationalteam hat in der Aufarbeitung des Inselklassikers gegen Schottland eine Eigendynamik entwickelt, und so wurden Captain Harry Kane und Trainer Gareth Southgate am Wochenende fast genötigt, die als Anstifter der Aufregung fungierende Boulevardpresse zu beruhigen: «Don't panic!», nur keine Panik!, verfügten Kane und Southgate sinngemäss aus dem nationalen Trainingszentrum St. George's Park, in dem Englands Team Quartier für die EM bezogen hat.
Angesichts des ohnehin schon enormen Unmuts stellt sich die interessante Frage, wie gross die Empörung wohl ausgefallen wäre, wenn das Duell mit dem «Auld Enemy» verloren gegangen wäre. Das hat sich offenbar auch Trainer Southgate gedacht, als er beim inspirationslosen 0:0 der Engländer in der Endphase der Verlockung widerstand, mit einer offensiveren Ausrichtung nur auf Sieg zu spielen.
Die Enttäuschung über die verbesserungswürdige Offensive verdeckte die Leistungen der makellosen Defensive – jedoch bei längerer Betrachtung dieses Verhältnisses stieg deren Nutzwert. Denn das Resultat garantiert England aller Voraussicht nach bereits jetzt das Weiterkommen. Mit vier Punkten sind die Three Lions wegen des schlechteren Torverhältnisses zwar hinter Tabellenführer Tschechien (ebenfalls vier Punkte) zurückgefallen. Vor dem direkten Aufeinandertreffen im Wembley-Stadion am Dienstag um 21 Uhr (bei uns im Liveticker) hat es Southgates Team jedoch in der eigenen Hand, ob es das Tableau auf dem ersten oder zweiten Platz abschliessen möchte.
Das Team ist nicht eingespielt
Ein Sieg über Tschechien würde England die Annehmlichkeit einbringen, den Achtelfinal wieder als Heimspiel in London austragen zu können, wobei der Gegner höchstwahrscheinlich Weltmeister Frankreich, Europameister Portugal oder Deutschland hiesse – jenes Deutschland, das England den Titeltraum bei der Heim-EM 1996 vermasselt hatte. Den entscheidenden Elfmeter im Shoot-out des Halbfinals versemmelte damals Gareth Southgate.
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Ein weiteres Remis im Duell mit den Tschechen hätte für England dagegen den zweiten Platz in der Gruppe D zur Folge. In der nächsten Runde müssten die Engländer dann nach Kopenhagen reisen, wo nur der Zweite der Gruppe E warten würde, möglicherweise die Slowakei. In einer vergleichbaren Konstellation befand sich England vor dem letzten Vorrundenspieltag bei der WM 2018: Ohne mehrere Stammspieler, die geschont wurden, rutschte das Team durch ein 0:1 gegen Belgien ins vermeintlich weniger anspruchsvolle Turniertableau – und scheiterte erst im Halbfinal an Kroatien.
Im Vergleich zu den damaligen Wechselspielen verfügt Nationaltrainer Southgate momentan nicht über eine gut funktionierende, eingeübte Mannschaft. Seit der WM vor drei Jahren hat er in jedem der 31 Länderspiele eine Startelf nominiert, die in der jeweiligen personellen Besetzung zuvor noch nie zusammen aufgetreten war. Ein Grund dafür ist, dass 16 der 26 Kaderspieler erst nach dem letzten Turnier neu zum Nationalteam gestossen sind und sieben am Champions-League-Final beteiligte Profis erst verspätet in die EM-Vorbereitung einsteigen konnten.
Southgates Zeitspiel missfällt
Auf der Suche nach der idealen personellen Besetzung verliert das Mutterland des Fussballs allerdings langsam die Geduld. Die Engländer sehen sich wegen der Anzahl an hochbegabten Spielern im Aufgebot als Mitfavorit im Turnier – wodurch Southgate in Bedrängnis gerät. Die Sunday Times stellte zum Beispiel die Quizfrage, ob Southgate selbst seine Mannschaft im Jahr 2017, im Jahr 2018 oder 2021 als einen Entwicklungsprozess («work in progress») bezeichnet habe. Die Antwort: Natürlich in allen Jahren. Der Versuch, auf Zeit zu spielen, wird in der Bevölkerung mittlerweile überwiegend mit Missvergnügen zur Kenntnis genommen.
Gegen Tschechien muss Southgate nun eine Aufstellung liefern, die begeistert und England zugleich durchs Turnier trägt, am besten bis in den Final am 11. Juli im heimischen Wembley. Die Personalwahl spitzt sich bei einigen Entscheidungen zu: beim Stürmer Harry Kane, beim Mittelfeldduo Declan Rice und Kalvin Phillips, den Routiniers Harry Maguire und Jordan Henderson sowie Jadon Sancho.
Die Rolle des Captains gerät trotz dürftiger Leistungen nicht ins Wanken – wohl aber die Frage, welche Position Harry Kane eigentlich zugedacht wird: Häufig lässt er sich zurückfallen als hängende Spitze, wie er das bei Tottenham Hotspur gewohnt ist, ohne dass jedoch ein Kollege in den Freiraum nachrücken würde. Dieses Muster erklärt sich auch damit, dass er kaum mit adäquaten Vorlagen versorgt wird.
Im zentralen Mittelfeld vertraut Southgate den Stabilisatoren Rice (22 Jahre/18 Länderspiele) und Phillips (25/9 Länderspiele). Einen der beiden halten Experten für ersetzbar, um mit einem weiteren offensiven Spieler für mehr Schwung und Spielwitz zu sorgen. Eine Alternative wäre etwa Henderson, der nach überstandenen Hüftproblemen für das Tschechien-Spiel rechtzeitig fit werden dürfte. Dasselbe gilt für den am Sprunggelenk lädierten Abwehrchef Maguire, dessen Einsatz jedoch die bislang stabile Innenverteidigung auseinanderreissen würde.
Sancho fehlt in der Heimat das Renommee
Und dann wäre da noch der bei Borussia Dortmund unter Vertrag stehende Sancho, 21, einmal gar nicht im Kader, einmal nur Reservist in den beiden ersten EM-Spielen. Auf der Insel fehlt ihm im Vergleich zu seinen in der Premier League kickenden Altersgenossen ein wenig das Renommee. In den Sonntagszeitungen fand er kaum Erwähnung. In 19 Länderspielen kommt Sancho auf drei Tore.
Seine fehlenden Einsatzzeiten fussen eher nicht auf einem Disput oder unzureichenden Trainingsleistungen, sondern auf Southgates vorsichtiger Herangehensweise. Als ehemaliger Abwehrspieler zieht Southgate dem unberechenbaren Sancho häufig Spieler vor, auf die er sich im Zweifel mehr verlassen kann. Durch dieses Vorgehen hat England stets ordentliche Ergebnisse erzielt, aber selten begeisternden Fussball – wie beim 0:0 im Duell mit Schottland.
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