Kontroverse in DeutschlandDas Klischee von den SUV liebenden Grünen
In Deutschland wird Grünen-Wählern Heuchelei vorgeworfen. Das wirkliche Problem ist aber eine irreführende Umfrage über Geländewagen.
Eine umstrittene Umfrage zu den politischen Vorlieben und präferierten Automarken sorgt in Deutschland für zahlreiche Diskussionen. Die Studie der Beratungsfirma Puls wurde von der «Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung» (FAS) aufgegriffen. «Die Liebe der Grünen zum SUV», titelte die angesehene Zeitung. «Eine Umfrage zeigt: Niemand fährt so gerne Geländewagen wie die Öko-Klientel», hiess es in der verblüffenden Schlagzeile. «Ausgerechnet. Das Phänomen hat System.»
Die Grünen als Fans der dicken Klimasünder auf der Strasse? Ja, schrieb die FAS zum Ergebnis der Puls-Umfrage: «Grünen-Wähler entscheiden sich derzeit am häufigsten für Geländewagen, also SUV, das Feindbild schlechthin für alle Klimaschützer.» Denn laut der zitierten Puls-Studie, bei der 1042 Personen befragt wurden, fahren 16,3 Prozent der Grünen-Anhänger einen solchen nicht besonders umweltfreundlichen Wagen. Darauf folgen mit einem marginalen Abstand SPD-Anhänger (16,0 Prozent) und AfD-Wähler (15,9 Prozent). Am seltensten besitzen Anhänger der Linken (7,7 Prozent) einen SUV.
Demnach habe jeder sechste Grünen-Sympathisant einen Geländewagen vor der Haustür stehen, folgert der Autor des FAS-Artikels und doppelt nach: «Es steckt folglich ein Kern Wahrheit im weitverbreiteten Spott über das bessergestellte, grün angehauchte Bürgertum, das im SUV vor dem Ökoladen vorfährt.»
Umfrage kaum repräsentativ
Doch die FAS kriegte für ihre Interpretation zur Studie rasch heftigen Gegenwind. Das Onlineportal «Volksverpetzer» warf der Zeitung vor, «eine Nicht-Nachricht zum nur scheinbaren Beweis» aufzublasen, dass «Grünen-Anhänger:innen angeblich heuchlerisch oft in Geländewagen herumlungern». Dabei nimmt der Anti-Fake-News-Blog die Datenauswahl der Umfrage genauer unter die Lupe: Befragt wurden für die Studie 1042 Personen, die in den nächsten sechs Monaten eine Autoanschaffung planen oder in den vergangenen zwölf Monaten getätigt haben. Das wurde laut «Volksverpetzer» mit der politischen Präferenz ins Verhältnis gesetzt, wodurch das Puls-Ergebnis entstanden sei.
Was die Studie jedoch laut dem Blog nicht berücksichtigte: die grosse Menge von Öko-Aktivisten, die gar kein Auto besitzen. Die Umfrage sei demnach nicht aussagekräftig – und sage auch über die Grünen erst mal gar nichts aus. Der «Volksverpetzer» untermauert dieses Argument mit der hypothetischen Annahme, dass 75 Prozent der Grünen-Wählerinnen kein Auto haben. Die 16,3 Prozent aus der Puls-Statistik müssten dann auf 4,1 Prozent runterkorrigiert werden, «um eine Aussage über die Grünen in ihrer Grundgesamtheit zu machen». Auch nicht mit einbezogen wurde die grosse Gruppe der Menschen, die ein älteres Auto besitzen.
Ausserdem beging der Autor bei der Interpretation der Umfrage einen logischen Fehler – den sogenannten Umkehrschluss. Wenn jemand ein Auto kaufen will und Grün wählt, heisst das noch lange nicht, dass alle, die Grün wählen, auch ein Auto kaufen wollen.
«Spiegel» kommt auf anderes Ergebnis
Auch das Design der Umfrage wirft Fragen auf. Hinsichtlich der Antriebsarten scheint die Puls-Umfrage keinen Unterschied zwischen Verbrennern, Hybriden, Plug-in-Hybriden und reinen Elektroautos gemacht zu haben. Anstatt Modelle wurden laut FAS zudem lediglich die Automarken abgefragt. «Ist eine Grünen-Wählerin, die angibt, sich einen VW gekauft zu haben, eine SUV-Liebhaberin, weil es ja ein Touareg sein könnte, obwohl sie in einem kleinen Polo herumfährt?», schrieb der «Volksverpetzer». «Das klappt vielleicht noch bei Leuten, die sich einen Land Rover gekauft haben, dürfte aber ansonsten eine extrem ungenaue Erhebungsmethode sein.»
Tarik Abou-Chadi, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Zürich, kritisierte die Redakteure der FAS ebenfalls. «Die Umfrage zeigt, dass es keinen Zusammenhang gibt zwischen Parteiwahl und SUV fahren ausser einen niedrigeren Wert bei der Linken», twitterte Abou-Chadi. «Basale Kenntnisse von Umfrageforschung sollte man einfach erwarten können. Oder ignoriert man sie, weil es besser ist für die Schlagzeile?», fragt er.
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Inzwischen hat auch der «Spiegel» eine eigene Befragung gemacht – und kommt zu einem ganz anderen Ergebnis. So zeigt eine repräsentative Civey-Umfrage für den «Spiegel», dass sich nur 24 Prozent der Anhänger der Grünen grundsätzlich vorstellen können, ein SUV zu kaufen – der zweitniedrigste Wert nach den Anhängern der Linken. Dagegen könnten sich 48 Prozent der Wähler von CDU/CSU einen SUV-Kauf grundsätzlich vorstellen. Bei der FDP liege dieser Wert bei 52 Prozent, bei der AfD seien es sogar 54 Prozent. Das Bild des Grünen-Wählers, der anstatt mit dem Velo mit dem BMW X5 herumflitzt, also Wasser predigt und Wein trinkt, ist somit auch laut «Spiegel» bloss ein Klischee.
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