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UNO-Kritik an Schweizer Pressefreiheit
«Das ist Krimi­nali­sierung von Journalismus»

Sie erfuhr erst letzten Februar von den scharfen Schweizer Gesetzen gegen die Presse. Irene Khan, UNO-Berichterstatterin für Meinungsfreiheit.
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Ende Februar berichteten Journalisten weltweit über ein Datenleck bei der Credit Suisse. Doch diese Zeitung musste auf die Recherche verzichten. 2015 hatte das Parlament Artikel 47 des Bankengesetzes derart verschärft, dass Journalisten Daten aus einer Bankgeheimnisverletzung nicht mehr weitergeben dürfen.

Reporter ohne Grenzen, die Europäischen Journalistenföderation und der Schweizer Journalistenverband protestierten scharf gegen das Gesetz. Irene Khan, die UNO-Berichterstatterin für Meinungsfreiheit, verschickte einen sechsseitigen Brief an Aussenminister Ignazio Cassis. Der Bund antwortete letzten Freitag mit einem kurzen Schreiben und versicherte, das Gesetz werde nun im Parlament nochmals geprüft. Kommenden Donnerstag gibt es dazu eine Anhörung in der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrats.

Hat die Schweiz ein Problem mit der Pressefreiheit?

Der pauschale Schutz des Bankgeheimnisses im Schweizer Gesetz verstösst gegen internationales Recht. Namentlich gegen Artikel 19 des UNO-Zivilpakts und gegen Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention. Diese beiden Konventionen garantieren die Meinungs- und Pressefreiheit. Die Schweiz hat beides unterschrieben – und ist daher verpflichtet, sich daran zu halten.

Was heisst das konkret?

Im Schweizer Bankengesetz wird schon die Weitergabe von gewissen Bankdaten mit hohen Strafen oder sogar Gefängnis belegt. Und zwar unabhängig davon, ob solche Daten auch im öffentlichen Interesse stehen. Meine Meinung ist: Das verstösst gegen die Menschenrechte.

In den Konventionen ist auch festgehalten, dass man die Meinungsfreiheit einschränken kann.

Das ist richtig, aber die Kriterien dafür sind sehr eng. Eine Einschränkung muss gesetzlich genau definiert sein. Sie muss notwendig und verhältnismässig sein und darf nur dazu dienen, die Rechte und den Ruf anderer zu achten oder die nationale Sicherheit, die öffentliche Ordnung, die öffentliche Moral und die öffentliche Gesundheit zu schützen. Der UNO-Menschenrechtsausschuss hat eindeutig festgestellt, dass eine Einschränkung nicht so weit gefasst sein darf, dass sie das Recht auf freie Meinungsäusserung selbst gefährdet.

In diesem Fall ist jegliche Veröffentlichung illegal, selbst wenn sie ein Verbrechen belegt.

Das Problem dabei ist, dass das Verbot zu weit gefasst ist und keine Ausnahmeregelung im Fall überragenden öffentlichen Interesses enthält. Auch die Strafe ist sehr hart. Das hat eine abschreckende Wirkung und veranlasst Journalisten zur Selbstzensur. Es handelt sich um eine Vorzensur, also um eine Zensur der Medien, bevor sie überhaupt recherchieren oder veröffentlichen können. Das wäre ein klarer Verstoss gegen das Recht auf freie Meinungsäusserung.

«Die Interessen der Banken dürfen nicht mit der nationalen Sicherheit gleichgesetzt werden.»

Inwiefern?

Es gibt auf der einen Seite ein Recht auf Privatsphäre. Auf der anderen aber auch ein öffentliches Interesse, über illegale Finanzgeschäfte informiert zu werden. Das Gesetz muss es erlauben, dass Journalisten diese beiden Dinge gegeneinander abwägen. Aber dieses Schweizer Gesetz stellt jegliche Publikation von vornherein unter Strafe ohne Ausnahme. Das geht zu weit.

Bei der Entstehung des Gesetzes im Jahr 2015 war die Schweiz wegen Datendiebstählen international unter Druck.

Man kann nicht argumentieren, dass es hier um die nationale Sicherheit geht. Der UNO-Menschenrechtsrat hat klargemacht, dass die Interessen der Banken nicht mit der nationalen Sicherheit gleichgesetzt werden dürfen, um die Meinungsfreiheit einzuschränken.

Die Probleme wurden erst letzten Februar bekannt, als diese Zeitung erklärte, sie habe wegen des Bankgeheimnisses Daten der Credit Suisse nicht auswerten können.

Ja, auch ich wusste vorher nichts von diesem Gesetz. Ich habe dann umgehend einen Brief an das Departement für Auswärtige Angelegenheiten geschrieben und die Bedenken der UNO dort klar geschildert. Ich habe den Bundesrat gebeten, zu erklären, wie dieses Gesetz mit den internationalen Verpflichtungen der Schweiz im Bereich der Menschenrechte zu vereinbaren ist.

Und haben Sie aus der Schweiz Antwort erhalten?

Ja, vor wenigen Tagen. Die Schweizer Regierung sagt, dass sie sich voll und ganz für die Meinungsfreiheit einsetzt. Ausserdem sei noch nie ein Journalist aufgrund des Gesetzes verfolgt worden, und das Parlament überprüfe das Gesetz derzeit.

«Die Schweiz darf nicht nur predigen, sie muss auch handeln.»

Was halten Sie davon?

Ich hoffe, dass das Schweizer Parlament das Gesetz endlich ändert, damit es im Einklang mit internationalen Menschenrechtsstandards ist. Am 24. Juni werde ich dem UNO-Menschenrechtsrat einen Bericht zur globalen Situation der Pressefreiheit vorlegen. Dort werde ich die Situation rund um das Bankgeheimnis in der Schweiz kritisch thematisieren. Das Schweizer Bankengesetz ist ein Beispiel für die Kriminalisierung von Journalismus. Das ist normalerweise ein Problem in autoritären Staaten.

Die CS-Daten zeigen, dass Bankkunden in zahlreiche Verbrechen verwickelt waren: von Korruption und Bestechung bis hin zu Drogen- und Menschenhandel.

Bei Verbrechen gibt es ein öffentliches Interesse, die finanziellen Hintergründe zu erfahren. Als ich persönlich zum Beispiel ein Bankkonto in der Schweiz eröffnen wollte, musste ich einen Lebenslauf einreichen und wurde wochenlang geprüft, weil ich eine politisch exponierte Person bin. Wenn ich mir aber ansehe, welche Kunden in der Schweiz Konten erhielten, stellen sich mir da schon Fragen.

Doch das Bankengesetz verbietet es eben auch, über verurteilte Kriminelle oder politisch Exponierte zu schreiben.

Auch verurteilte Straftäter und politisch exponierte Personen haben ein Recht auf Privatsphäre, aber nicht, wenn es gute Gründe für die Annahme gibt, dass sie in finanzielle Vergehen verwickelt sind. Ich glaube, die Schweizer Regierung ist in einer schwierigen Lage, zu erklären, warum eine Weitergabe von solchen Informationen mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft werden soll. Insbesondere wenn Journalisten und Whistleblower auf echte Probleme in einer Bank hinweisen. Das Gesetz darf das nicht unter Strafe stellen.

Ist es ein Problem, dass hier die Schweiz am Pranger steht?

Die Schweiz setzt sich für Menschenrechte und Pressefreiheit ein und ist zudem ein sehr aktives Mitglied des UNO-Menschenrechtsrats. Ihre Regierung hat immer wieder das Vorgehen anderer Länder gegen Journalisten angeprangert. Deshalb ist es wichtig, dass die Schweiz nun auch selbst reagiert und ein so problematisches Gesetz wieder ändert. Die Schweiz darf nicht nur predigen, sie muss auch handeln.

Was geschieht, wenn das Parlament das Gesetz nicht ändert?

Westliche Demokratien wie die Schweiz gelten international als Vorbilder, wenn es um die Meinungs- und Pressefreiheit geht. Andere Länder beziehen sich darauf. Bleibt das Gesetz so stehen, können autoritäre Staaten darauf verweisen und sagen: «Seht ihr? Sogar die vorbildliche Schweiz kriminalisiert Journalisten bei Enthüllung von Finanzdaten.» Das könnte den investigativen Journalismus zu Korruption in anderen Ländern erschweren. Deshalb bereitet mir dieses Gesetz so viel Sorgen. Die Botschaft, die es international aussendet, schadet den Menschenrechten.