Das hässlichste Tier im Zoo ZürichNacktmulle sind lebendige Bettflaschen
Hübsch anzuschauen sind diese haarlosen Nagetiere wirklich nicht. Doch sie sind herzerwärmend. Und sie kuscheln, bis ihnen die Luft wegbleibt.
Oh, mein Gott, die sind alle tot. Hin und wieder kommen aufgeregte Zoobesuchende mit dieser Nachricht zu den Tierpflegern des Zoos Zürich. Bei den Nacktmullen sei ein Massensterben eingetreten, berichten sie.
Und tatsächlich, die kleinen, nackten Nager liegen in Massen drunter und drüber und scheinen nicht mehr zu atmen. Dabei kuscheln sie nur, wie am Mittwochmorgen Zoodirektor Severin Dressen den Medien erklärte.
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Nacktmulle werden zuweilen als die hässlichsten Tiere der Welt bezeichnet. Mit ihrem bis auf einige Sinneshaare nackten Körper, der faltigen Haut und den ausgeprägten Nagezähnen sind sie wirklich keine Streicheltiere mit Jöö-Faktor.
Das ist ihnen aber wahrscheinlich ziemlich egal, denn diese Eigenschaften ermöglichen ihnen ein unterirdisches Leben, wo sie nur wenigen Feinden begegnen (und sie ohnehin kein Mensch sieht).
Sie empfinden kaum Schmerzen
Weil sie keine Haare haben, können sich Parasiten kaum ansiedeln. Die Hautfalten dienen als Puffer, wenn sie sich durch enge Gänge zwängen, und schützen so die inneren Organe. Und die kräftigen Nagezähne, die sie einzeln bewegen können, sind beim Graben ausgezeichnete Schaufeln.
Sollte ein Nacktmull sich trotzdem einmal verletzen, ist das nur halb so schlimm. Denn diese Tiere nehmen zwar Stiche, Schnitte oder Hitze wahr, empfinden dies aber nicht als schmerzhaft.
Das hat damit zu tun, dass ihrer Haut ein aus verschiedenen Aminosäuren bestehendes Molekül fehlt. Dieses sorgt bei allen anderen Säugetieren – und auch bei uns Menschen – dafür, dass sie Schmerzen wahrnehmen.
Zehnmal älter als Rennmäuse
Wie Zoodirektor Dressen ausf¨ührte, sind diese Tiere auch sehr interessant für die medizinische Forschung. Denn sie werden für Nager uralt – sicher dreissig Jahre und damit zehnmal älter als etwa Rennmäuse.
Das hat laut Dressen damit zu tun, dass ihre Zellteilung aussergewöhnlich korrekt verläuft. Dadurch entwickeln sich kaum Krebsgeschwüre, und die Alterung verläuft ganz langsam.
Wechselwarm wie Amphibien
Nacktmulle sind grundsätzlich sonderbare Tiere. Sie sind Säugetiere, aber wechselwarm wie Amphibien. Ihre Körpertemperatur können sie nicht selber regulieren. Wird es ihnen zu kalt, dann kuscheln sie sich zusammen. Manchmal nur eine Handvoll, manchmal aber auch so viele wie möglich.
Laut dem Zootierpfleger Marco Brunner drängeln sich zuweilen aber auch gegen dreissig in dem Gemeinschaftsraum des Baus. Dann liegen sie eben dicht nebeneinander und übereinandergestapelt, bis sie kaum mehr Luft bekommen. Das schadet ihnen aber nicht. Nacktmulle können bis zu achtzehn Minuten ohne Sauerstoff auskommen.
Das tun sie, indem sie in eine Art Schockstarre verfallen, ihren Herzschlag verlangsamen und den Stoffwechsel umstellen. «Eine einmalige Fähigkeit unter Säugetieren», sagt Dressen.
Wenn all das Kuscheln nicht reicht, damit allen warm ist, löst sich einer aus der Gruppe und sprintet so lange durch die Gänge, bis er erhitzt ist. Dann kuschelt er sich wieder zu den anderen und wärmt sie. Eine lebende Bettflasche.
Das Schulbussystem
Im Zoo Zürich leben derzeit 35 Nacktmulle. Angefangen hat er mit 9 Tieren. Nachwuchs gab es zuletzt vor fünf Monaten. Ein Wurf umfasst bis zu 28 Jungtiere, wobei nur das dominante Weibchen, die Königin, fruchtbar ist.
Damit all die Babys Platz in der Königin finden, ist diese länger als ihre Artgenossen. Forschende nennen das «Schulbussystem», da die Embryonen im Körper nacheinander angeordnet sind wie in einem Schulbus.
Klare Arbeitsteilung
Innerhalb der Kolonie gibt es eine klare Arbeitsteilung, die an gewisse Insektenstaaten erinnert. Es gibt Arbeiter, die für das Gangsystem zuständig sind, Soldaten, welche die Ausgänge des Baus bewachen, Ammen für die Brutpflege – und eben eine Königin, die als einziges Weibchen Nachwuchs zeugt.
Der Bettflaschenmull ist aber, nach heutigem Stand der Forschung, keine eigens verteilte Aufgabe. Und Kuscheln tun sie, wenigstens von aussen gesehen, ohnehin ganz unhierarchisch. Dann sind sie zwar immer noch hässlich, aber trotzdem «Jöö …».
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