Die wilden EidgenossenDas grosse Geschäft mit den Schweizer Söldnern
Neue Forschungen zeigen, wie reiche Schweizer Familien das Soldwesen organisierten und Frauen dabei eine wichtige Rolle spielten, auch die Entstehung der Neutralität erscheint in neuem Licht.
Die ersten Januartage brachten viel Ärger für Unternehmerin Maria Jakobea Zurlauben. Die Brüder Schwendbühl waren verschwunden, einfach so abgehauen, nachdem Zurlauben zuvor viel Geld in sie investiert hatte. Neue Schuhe hatten die Brüder bekommen und sich auf Zurlaubens Kosten mehr als zwei Wochen im Gasthaus Löwen verpflegt. Das hielt die Zugerin am 12. Januar 1705 in einer Abrechnung fest. Die Brüder hätten in Frankreich für den König kämpfen sollen, doch auf dem Weg in den Krieg überlegten sie es sich anders.
Das Geschäft der mächtigen Familie Zurlauben war das Vermitteln von Schweizer Söldnern. Hunderttausende Männer aus der Alten Eidgenossenschaft dienten vom 15. bis 18. Jahrhundert in europäischen Heeren. Die «Fremden Dienste», wie man das Söldnerwesen auch nennt, hat man lange mit der Armut der Schweizer Bevölkerung erklärt. Doch das ist nur ein Teil der Geschichte, wie ein grosses Nationalfondsprojekt der Universität Bern jetzt zeigt.
Diese neuen Forschungen zeichnen ein vielschichtigeres Bild des Söldnerwesens und werfen auch ein anderes Licht auf das Entstehen der Schweizer Neutralität. Die Zurlaubens waren mit ihrem Geschäft nämlich nicht allein. Organisiert war das Söldnertum von einflussreichen Militärunternehmer-Familien in der Alten Eidgenossenschaft, die damit viel Geld und Einfluss im In- und Ausland erwarben.
In diesen Familien waren nicht nur die Männer Militärunternehmer, auch Frauen spielten eine aktive Rolle in der Organisation des Soldwesens. Das zeigen Forschungen von Historikerinnen wie Nathalie Büsser (Uni Zürich) und Jasmina Cornut (Uni Lausanne). Die wichtigsten Punkte:
Krieg als länderübergreifendes Geschäft
In der frühen Neuzeit und bis Ende des 18. Jahrhunderts gab es keine Nationalstaaten und keine Wehrpflicht. Söldner waren der Normalfall, das Militär war nicht von den Ländern selbst, sondern von privaten Anbietern organisiert. Der Handel mit Soldaten, Waffen, Munition, Uniformen und Nachschub lief länderübergreifend. «Wir müssen komplett Abschied nehmen von nationalstaatlichen Vorstellungen für diese Jahrhunderte, erst recht bei der Kriegsfinanzierung», sagt André Holenstein, Professor für Schweizer Geschichte an der Universität Bern und Leiter des Nationalfondsprojekts. Verstehen könne man die Schweizer Söldner-Geschichte nur im europäischen Zusammenhang.
In dem länderübergreifenden Geschäft spielten Familien aus der Oberschicht der Alten Eidgenossenschaft wie die Zurlaubens eine wichtige Rolle. In Bern waren das die von Erlachs, in Luzern die Pfyffers, in Graubünden die Salis oder in Glarus die Tschudis.
Wie alles begann
Im 15. Jahrhundert dienten junge Eidgenossen als sogenannte Reisläufer in europäischen Heeren. Das Ganze war unstrukturiert, wurde meist nur in den Sommermonaten ausgeübt, und es lockte ein guter Verdienst. Doch die Obrigkeiten verboten das Reislaufen schon bald. «Das waren die ersten Versuche, das Geschäft unter Kontrolle zu bringen», sagt Holenstein. Denn nur mit Kontrolle war es den Eliten möglich, selbst mit den europäischen Kriegsherren Verträge auszuhandeln.
Lösen konnte man so auch ein Problem, das viele Länder in jener Zeit hatten. Waren die Kriege vorüber, zogen marodierende, arbeitslose Söldner umher und raubten die Bevölkerung aus. Die Professionalisierung des Heerwesens sollte das im 17. Jahrhundert ändern. Neu gab es stehende Heere, und die Söldner verpflichteten sich für mehrere Jahre.
Der Mythos von den wilden Eidgenossen
Neben der Armut wurde oft ein zweiter Punkt genannt, warum es so viele Schweizer Söldner gab: Die Eidgenossen seien tapfere, gefürchtete Kämpfer gewesen. «Darin steckt ein Körnchen Wahrheit, weil sie in den Burgunderkriegen in den 1470er-Jahren mit einer besonderen Infanterietechnik auf sich aufmerksam machten», sagt Holenstein. Schlachten liessen sich mit dieser Technik aber nur während weniger Jahrzehnte gewinnen. Das Aufkommen der Artillerie änderte schon bald alles. Doch die eidgenössischen Militärunternehmer nutzten genau jene Zeit, um die Verträge mit den grossen europäischen Kriegsherren auszuhandeln.
Ein anderer Blick auf die Entstehung der Neutralität
Vom 16. bis ins 18. Jahrhundert gab es in Europa zwei Grossmacht-Blöcke, die Franzosen und die Habsburger, die sich immer wieder bekriegten. Die Alte Eidgenossenschaft lag dazwischen und hatte so geostrategisch eine wichtige Rolle. Im frühen 16. Jahrhundert ging die Eidgenossenschaft zu einer Politik des «Stillesitzens», des Nicht-Eingreifens in andere Kriege, über.
«Die Kriegsparteien hatten ein grosses Interesse an einem neutralen Raum, um sich dort mit Soldtruppen einzudecken und den Zwischenhandel des Kriegsmaterials zu organisieren. Und die Eidgenossen nutzten diese Neutralität geschickt für ihr Geschäftsmodell», sagt Holenstein. Neutralität sei historisch erfolgreich, wenn sie den Interessen der Mächtigen diene. Sei dies nicht der Fall, gelinge es oft nicht, diesen Status zu halten, wie die Beispiele von Holland und Belgien im 2. Weltkrieg zeigten.
«Unser Land lebt davon, dass es sich in gewissen Bereichen immer wieder sehr nützlich macht. In der frühen Neuzeit waren das die Söldner, im 20. Jahrhundert der Finanzplatz, im Moment ist es der Rohstoffhandel», sagt Holenstein. Man gestehe sich das nicht so gerne ein, weil man nicht so richtig stolz darauf sein könne. Deshalb kreiere man lieber Heldenerzählungen, die das Ganze überdeckten. «Doch die historischen Fakten sprechen eine andere Sprache.»
Wie alles organisiert war
Vor allem Familien in den Kantonen Bern, Luzern, Solothurn, Freiburg und den Länderorten der Innerschweiz und des Wallis waren in dem Geschäft aktiv, das Kapital kam aber auch aus Zürich, Basel oder Genf. Die Familien zahlten den jungen Männern den Sold, führten eigene Soldkompanien bei den jeweiligen Kriegsherren und bezogen ihre Einkünfte direkt von den Auftraggebern. Um das Geschäft zu organisieren, war der Grossteil der Familie in der Schweiz, aber immer auch ein gewisser Teil vor Ort am Hof. Zudem übernahmen Brüder, Ehemänner oder Cousins hohe Posten in den Soldkompanien.
In den Kantonen gehörten die Militärunternehmer-Familien zur Obrigkeit und unterhielten ein breites Netz an Günstlingen. «Es gab eine enge Verflechtung zwischen der politischen Elite und den Sold-Unternehmerfamilien», sagt Holenstein. Eine Familie wie die Zurlaubens übernahm lokale Ämter. Das ermöglichte es ihr über Generationen Netzwerke für die Rekrutierung aufzubauen. So half die Familie beispielsweise Bauern mit Krediten, organisierte Ausbildungsplätze oder leistete Unterstützung in Gerichtsfällen.
Die Frau Hauptmannin
Die Soldkompanien waren ein Familiengeschäft, und in ihm waren – wie die Anfangsepisode zeigte – längst nicht nur die Männer der Familie aktiv. «Das wurde in der Forschung lange vernachlässigt», sagt Historikerin Nathalie Büsser, die verschiedene Studien zur Rolle der Unternehmerinnen im Schweizer Soldwesen veröffentlicht hat.
Frauen wie Maria Jakobea Zurlauben (1658–1716) waren kein Einzelfall. «Frauen leiteten die Geschäftsstelle und waren Kapitalgeberinnen», sagt Büsser. Mehrmals pro Woche schrieben sich Maria und ihr Bruder Beat, der in Frankreich Hauptmann war, Briefe, um das Geschäft zu organisieren. In der Korrespondenz wird Maria Zurlauben von anderen denn auch als Frau Hauptmannin angesprochen. Nicht nur im Kanton Zug hatten Frauen diese wichtigen Rollen. Wie Jasmina Cornut in ihrer Dissertation aufzeigt, gab es auch im Kanton Wallis Frauen, die Söldner rekrutierten und die Kontoführung übernahmen.
Wer waren die Söldner?
Es gibt nur wenige Quellen von den Söldnern selbst, deshalb sind ihre Motive nicht leicht zu rekonstruieren. «Der Solddienst war in vielen Regionen der alten Schweiz über Generationen für viele Familien hinweg eine normale Tätigkeit und gehörte zur Lebens- und Haushaltsplanung», sagt Holenstein. Die Söldner waren unverheiratete Bauernsöhne, Knechte oder Familienväter, die Geld brauchten. Es war ein gefährlicher Job, nur rund ein Drittel der Männer kehrte gesund zurück.
Bekannt ist der Bericht des Toggenburgers Ulrich Bräker, der sich 1756 von der preussischen Armee anwerben liess. Wie die beiden Brüder, die Maria Jakobea Zurlauben das Geschäft vermiesten, desertierte auch Bräker bei der erstbesten Gelegenheit. Um das zu verhindern, versuchten die Unternehmer die Söldner finanziell abhängig zu machen. Sie mussten ihre Uniform kaufen und dann abarbeiten.
Die internationale Schweiz
Unser Blick auf die Vergangenheit ist geprägt vom Bild, dass die Menschen als Bauern kaum über ihr Dorf hinauskamen. Doch für die frühe Neuzeit ist dieser Eindruck nur die halbe Wahrheit. Nur der älteste Sohn konnte den Hof übernehmen. Die Gesellschaft war damals mobiler, als man sich das vorstellt. Und weil viele junge Männer in die Fremde zogen, fand auch ein kultureller Austausch statt. Bei den wohlhabenden Familien bestand dieser sowieso. Sie verkehrten an verschiedensten Höfen Europas. Erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurden dann Stimmen laut, die eine stärkere Besinnung der Schweiz auf sich selbst forderten. «Zuvor lebte der alpine Raum dank der Mobilität», sagt Holenstein.
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