Das droht Europa bei einem Nato-Austritt der USA
Militärexperten haben berechnet, wie teuer der Ausstieg für Europa wäre – und welche Folgen er für einen Konflikt mit Russland hätte.
Es ist nur ein Gedankenspiel, aber eines, das dereinst eintreten könnte: Die USA machen ihre Drohung wahr und verlassen im Jahr 2021 die Nato. Sie verlegen alle US-Streitkräfte aus Europa in die Heimat und andere Regionen, ziehen ihr Führungspersonal ab. Was würde dann mit dem Atlantischen Militärbündnis passieren? Dieser Frage ist die renommierte Denkfabrik International Institute for Strategic Studies (IISS) auf den Grund gegangen – und warnt vor drastischen Folgen.
Laut der Analyse, die vom Deutschen Auswärtigen Amt angeregt und mitfinanziert wurde, ist ein Nato-Austritt der USA unter Präsident Donald Trump nicht länger undenkbar. Dieser drohte schon mehrmals mit Konsequenzen, sollten die anderen Länder des Bündnisses nicht endlich ihre Verteidigungsbudgets hochfahren.
Aus Sicht der US-Regierung profitieren die Verbündeten in Europa viel mehr von Amerikas Stärke als umgekehrt. Trump fordert eine faire «Lastenteilung», indem alle mindestens 2 Prozent ihres Bruttoinlandprodukts in Verteidigung investieren. Momentan ist das nur bei sieben von 28 Mitgliedern der Fall.
Die USA investieren mit Abstand am meisten in das Militär mit 3,39 Prozent ihres Bruttoinlandprodukts. Griechenland, Grossbritannien sowie die osteuropäischen Staaten Polen, Estland, Lettland und Litauen schaffen den geforderten Grenzwert. Aber die Mehrheit der Mitglieder, darunter wichtige Länder wie Frankreich und Deutschland, bleibt darunter.
Wie wichtig die USA für die Nato sind, zeigen die absoluten Zahlen: Ihre Verteidigungsausgaben belaufen sich auf über 600 Milliarden US-Dollar. Alle europäischen Staaten kommen zusammen mit Kanada auf gerade einmal gut die Hälfte. Die USA machen damit zwei Drittel der gesamten Verteidigungsausgaben der Nato aus.
Zum Nato-Budget, das etwa 2 Milliarden US-Dollar beträgt, tragen die USA mit gut 22 Prozent ebenfalls am meisten bei. Es wird für Verwaltungskosten, einen militärischen Teil und von der Nato genutzte Einrichtungen in Mitgliedsländern gebraucht.
Ein Austritt der Amerikaner käme Europa deshalb teuer zu stehen. Die europäischen Nato-Mitgliedstaaten müssten Hunderte von Milliarden Franken zusätzlich investieren, um den Ausfall zu kompensieren. Wie hoch die Kosten genau ausfallen würden, haben die Militärexperten des IISS anhand von zwei unterschiedlichen Szenarien berechnet:
Im ersten Krisenszenario ist die Nato gezwungen, internationale Seewege zu sichern, die für Europas Wirtschaft überlebenswichtig sind. Dazu muss sie die Kriegsschiffe und Flugzeuge der USA ersetzen. Die Kosten dafür belaufen sich laut der Studie auf bis zu 110 Milliarden Dollar. Das zweite Szenario ist noch teurer: Nach einem Angriff Russlands auf einen osteuropäischen Nato-Mitgliedsstaat kommt es zu einem Landkrieg. Die Nato muss «Patriot»-Abwehrraketen, schwere Kampfpanzer, Kriegsschiffe und Kampfflugzeuge beschaffen, um Russland die Stirn bieten zu können. Kostenpunkt: 288 bis 357 Milliarden Dollar.
«Die Aufstockung des Militärs würde bis zu 20 Jahre dauern.»
Ein US-Austritt hätte nicht nur finanzielle, sondern auch militärische Folgen für die Nato. Denn sie wäre auf einen Schlag stark geschwächt und müsste Kommandostrukturen neu aufbauen, mehr Soldaten rekrutieren und ausbilden, mehr Ausrüstung und Waffen produzieren. Das alles dauert. Das IISS geht davon aus, dass die Refinanzierung und Aufstockung des Militärs «bis zu 20 Jahre dauern» würde.
Derzeit stellen die USA über 40 Prozent der Nato-Streitkräfte. Mehr als 1,3 Millionen Soldaten fielen bei einem Ausstieg weg. Insgesamt hat die Nato eine Truppenstärke von gut 3 Millionen Soldaten.
Um die gleiche Truppenstärke wieder zu erreichen und auch wirksam nutzen zu können, brauchten die verbliebenen Nato-Staaten also zwei Jahrzehnte – viel zu lange, sollte es tatsächlich zu einer Konfrontation mit Russland kommen.
Die angesprochenen Milliarden-Investitionen reichten zudem lediglich aus, um in einem begrenzten regionalen Krieg «wahrscheinlich» die Oberhand zu behalten, wie das IISS schreibt. Die Kosten eines kontinentalen Kriegs in Europa hat es gar nicht erst geschätzt.
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