Beziehungen China - TaiwanDas Debakel in Kabul verunsichert Taiwan
Peking nutzt den desaströsen Abzug der westlichen Truppen aus Afghanistan, um Taipeh weiter zu verunsichern. Kann sich die Insel noch auf die USA verlassen?
Washington als Verbrecher gegen die Menschenrechte, als herzloser Besatzer, Chaosstifter und Pinocchio mit langer Nase: Genüsslich berichten die chinesischen Staatsmedien in diesen Tagen über den katastrophalen Abzug der US- und Nato-Truppen aus Afghanistan. Als klar wurde, wie ernst die Lage in Kabul ist, veröffentlichte die ultranationale «Global Times» noch eine weitere Zeichnung. Darauf die taiwanische Präsidentin Tsai Ing-wen, die von einem Weisskopfseeadler, Wappentier der USA, die Richtung gewiesen bekommt. Die Präsidentin läuft, ohne es zu bemerken, auf ein tiefes Loch zu.
Der Abzug, so heisst es in dem Kommentar zur Karikatur, habe in Asien viele schockiert. Doch am stärksten sei Taiwan vom Schutz Washingtons abhängig, dementsprechend gross sei nun angeblich die Angst in Taipeh. Schnell griffen auch andere chinesische Medien diese These auf. Afghanistan sei der letzte Beleg für das Ende des amerikanischen Führungsanspruchs in der Welt. Verbündete und Partner wie Taiwan werden sich zukünftig nicht mehr auf das Land verlassen können, so die einhellige Meinung der Kommentatoren.
Bedrohliche Militärübungen
Wenige Tage später hielt die chinesische Volksarmee Militärübungen in unmittelbarer Nähe zu Taiwan hab. Als Antwort auf externe Einmischung und Provokationen durch Unabhängigkeitskräfte, erklärte die Armee. Die Lage in Afghanistan und die Verpflichtungen gegenüber Taiwan sind, und das dürften chinesische Kommentatoren im besten Fall selbst wissen, kaum miteinander zu vergleichen, die meisten vermeintlichen Analogien wirken hanebüchen.
Die USA und Taiwan pflegen seit dem Bürgerkrieg enge Beziehungen, die im Taiwan Relations Act von 1979 geregelt sind. Die Unterstützung der Insel ist in Washington parteiübergreifend unumstritten. Dennoch ist die Bedrohung für den kleinen Inselstaat 160 Kilometer vor der Küste Chinas heute grösser denn je. Und das hat auch mit Afghanistan zu tun.
Unter Xi Jinping hat sich der Ton geändert
Taiwan und China sind seit Ende des Chinesischen Bürgerkriegs voneinander getrennt. 1949 setzten sich die Kommunisten gegen die rivalisierenden Nationalisten durch und riefen auf dem Festland die Volksrepublik China aus. Die unterlegenen Gegner flohen nach Taiwan und bildeten dort eine eigene Regierung. Eine militärische Einnahme der Insel war die längste Zeit eher Fantasie als konkretes Szenario. Das ändert sich.
Chinas Präsident Xi Jinping hat ein klares Ziel ausgegeben: 2017 sagte er, die Wiedervereinigung sei eine «unumstössliche Voraussetzung», um den Wiederaufstieg des Landes zu einer Weltmacht zu vollenden. Zwei Jahre später drohte er Taiwan offen. Die Lage dürfe nicht von einer Generation zur nächsten weitergegeben werden. Eine Wiedervereinigung müsse her, mit «allen erforderlichen Mitteln».
Die Folgen sind für die Taiwaner jeden Tag spürbar. Permanent dringen chinesische Kampfflieger in den taiwanischen Luftraum ein. Begleitet werden die militärischen Drohgebärden von Cyberattacken, Desinformationskampagnen und Wahleinmischung, wie sie die Demokratie nie zuvor erlebt hat. Die Nachrichtenagentur Reuters dokumentierte im Februar, wie Armeen von Baggerschiffen Stück für Stück den Sand um die taiwanischen Matsu-Inseln abtragen. Längst sprechen Experten von einem Konflikt an der Grenze zu einem Krieg.
Die Machtverhältnisse haben sich verschoben
Dazu hat Peking seine Bemühungen verstärkt, das Land diplomatisch zu isolieren. In den letzten 25 Jahren hat China mehr als ein Dutzend Länder dazu gebracht, ihre offiziellen Beziehungen zu Taipeh zu kappen. Mit dem Rückzug der Amerikaner aus Afghanistan hat das alles wenig zu tun. Pekings Reaktion zeigt jedoch eine Gefahr. Lange Zeit dürfte niemand in Chinas Hauptstadt ernsthaft erwartet haben, einen militärischen Konflikt mit Taiwan zu gewinnen.
Doch die Machtverhältnisse in der Region haben sich verschoben. Viele chinesische Kommentatoren scheinen in diesen Tagen davon überzeugt zu sein, dass ein Eingreifen der USA keinesfalls mehr sicher erscheint. Bisher waren die Drohungen gegen Taiwan ein billiges Instrument, die Bevölkerung hinter sich zu versammeln. Die grösste Gefahr für den Frieden in der Region dürfte sein, dass Peking anfängt, seinen eigenen Worten zu glauben.
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