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Neue Regierung 
Das bulgarische Experiment: Konservative und Reformer wollen rotieren

Das politische Rotationsprinzip: Marija Gabriel (l.) von der konservativen Gerb-Partei und Nikolai Denkow von der liberalen PP wollen sich auf dem Posten des Ministerpräsidenten von Bulgarien abwechseln. 
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Bei der Wahl in Bulgarien im April konnte die konservative Gerb-Partei des ehemaligen Ministerpräsidenten Bojko Borissow zwar knapp die meisten Stimmen holen. Aber einmal mehr hat sich die Bildung einer Regierung in Sofia als schwierig erwiesen. Nun haben sich die Konservativen offenbar mit dem Reformbündnis PP-DB auf ein Modell geeinigt, um gemeinsam zu regieren – wenigstens die kommenden eineinhalb Jahre.

Bekommt Bulgarien nun wirklich eine neue Regierung?

Fünfmal sind die Bulgaren schon wählen gegangen in den vergangenen zwei Jahren. Die konservative Gerb-Partei lag beim letzten Urnengang im April mit 26 Prozent der Stimmen knapp vor dem Reformbündnis PP-DB, das aus «Wir setzen den Wandel fort» (PP) und Demokratisches Bulgarien (DB) besteht. Gibt es in den kommenden Tagen keine Einigung zwischen den beiden grössten, im Parlament vertretenen Parteien, dann könnte im Herbst ein sechstes Mal gewählt werden.

Aber die Chancen stehen gut, dass es diesmal klappt: Die konservative Gerb-Partei hatte vor zwei Wochen mit der bisherigen EU-Kommissarin für Forschung, Kultur und Jugend, Marija Gabriel, eine Überraschungskandidatin für das Amt der Ministerpräsidentin aus dem Hut gezaubert.

Auf Gabriel, so hoffte man, könnten sich auch linksliberale Kräfte im Parlament einlassen. Denn bisher war eine Koalition immer daran gescheitert, dass kaum eine relevante Kraft in Bulgarien mit Gerb und ihrem Vorsitzenden, Langzeit-Ex-Premier Bojko Borissow, kooperieren wollte. Nun gibt es offenbar einen Deal, der aber anders aussieht als vermutet. Bulgarischen Medien zufolge wurde er am Montag als Absichtserklärung öffentlich gemacht.

Was ist diesmal anders als bisher?

Nun wollen Gerb und PP-DB doch zusammenarbeiten – auf Rotationsbasis. Geplant ist, dass zuerst der PP-Politiker Nikolai Denkow, studierter Physiker und ehemaliger Bildungsminister, für neun Monate das Amt des Ministerpräsidenten übernimmt, dann Gerb-Politikerin Marija Gabriel. Offenbar soll der Vizechef von «Wir setzen den Wandel fort», Assen Wassilew, Finanzminister werden; er hatte das Amt schon einmal während der kurzen Ära einer Reformregierung vor anderthalb Jahren inne. Wie es nach anderthalb Jahren weitergeht, wurde noch nicht ausgeführt. Offenbar will man erst einmal ausprobieren, wie stabil die neue, grosse Koalition ist.

Eine Zusammenarbeit mit der Partei der türkischen Minderheit und den Sozialisten hat die bisherige EU-Kommissarin, mit ihrem Förderer Borissow im Hintergrund, offenbar schnell ausgeschlossen, weil, wie sie sagte, Bulgarien endlich eine reguläre Regierung brauche, die das Land eine, nicht spalte. 

Sind solche rotierenden Regierungen häufig?

Für Bulgarien ist eine geteilte Regierungszeit ein Novum. Das zeigt einerseits, wie gross der Druck im Inneren war, eine Einigung herbeizuführen und endlich die grossen Krisen der Zeit gemeinsam anzugehen, belegt aber auch den Druck im Äusseren: Die Koalition mit russlandfreundlichen Kräften, mit der Gerb drohte, wäre in der EU nicht gut angekommen.

Sonst sind Regierungen, in denen sich die Führungskräfte abwechseln, jedoch gar nicht so selten: Im Nachbarland Rumänien etwa wird der amtierende Ministerpräsident Nicolae Ciuca von der liberalen PNL Ende Mai abtreten und nach anderthalb Jahren Platz machen für seinen Nachfolger, den Sozialdemokraten Marcel Ciolacu. Es hatte zwar einige Spekulationen über Neuwahlen gegeben, weil es den Verdacht gab, dass Ciuca den Deal nicht einhalten würde, um «die Stabilität des Landes» nicht zu gefährden. Aber der amtierende rumänische Ministerpräsident liess zuletzt keinen Zweifel daran, dass er verabredungsgemäss Ende Mai gehen werde. Auch in Irland und Israel wurde solch ein Modell schon praktiziert.

Was passiert derweil hinter den Kulissen?

In den vergangenen Wochen ist ein zuvor schwelender Machtkampf zwischen Ex-Premier Borissow, bulgarischen Oligarchen und Generalstaatsanwalt Iwan Geschew offen ausgebrochen. Geschew ist oberster Aufseher über alle Ermittlungsverfahren, also auch alle Korruptionsermittlungen, die in Bulgarien jedoch nicht vom Fleck kommen. Er selbst gilt als höchst korrupt; Massendemonstrationen im Herbst 2020 hatten neben einem Rücktritt Borissows auch das Aus für Geschew gefordert.