Leser fragenDarf man für den Klimastreik
Autos anzünden?
Die Antwort auf die Frage, wie frustriert-extremistisch man sein darf, um seine Ziele zu erreichen.
Die Tochter meiner Kollegin ist engagierte Umwelt- und Klimaaktivistin. Sie ist jedoch immer frustrierter und mutiert zur Extremistin. Sie findet, dass die ganzen Klimastreiks und Proteste nichts bringen und dass es vielleicht zielführender sei, wenn man z.B. die Autos und die Häuser der verantwortlichen Politiker*innen und Firmenbosse kaputtmache. Ich kann ihren Frust sehr gut verstehen. Was würden Sie dem Teenager antworten? T.A.
Lieber Herr A.
Dass sie aufhören soll, ihre Gewaltfantasien mit realen politischen Problemen zu verknüpfen. Sie merken, meine Geduld mit dergleichen Aktivismus ist arg beschränkt. Der Grund dafür liegt in meiner sehr tiefgreifenden Aversion gegen Gewalt. Ich will nun gar nicht über mögliche Rechtfertigungsgründe für Gewalt debattieren (denn die gibt es natürlich auch in einem demokratischen Rechtsstaat) und auch nicht mit dem Argument kommen, dass in einer globalen und arbeitsteiligen Wirtschaftsordnung die Verantwortung eher ein strukturelles Prinzip ist als etwas, das sich persönlich zurechnen lässt.
Ich will stattdessen ein Gedankenexperiment anstellen: Möchte ich (möchten Sie) in einem Staat und einer Gesellschaft leben, in der Anschläge auf die Häuser von bestimmten Politikerinnen und Firmenbossen als legitim erachtet würden? Möchte ich, dass meine Sicherheit von der Einschätzung engagierter Aktivisten abhängt, ob man mich für irgendetwas verantwortlich zu halten und darum zu bestrafen hat? Vor welcher Instanz könnte ich mich verteidigen? Warum sollte ich mich überhaupt vor einem Lynchmob rechtfertigen müssen, der als Ankläger und Vollstrecker gleichzeitig auftritt?
Sie ahnen es: Ich möchte so nicht leben müssen – in der Angst, von irgendeinem Aktivisten als «verantwortlich» gebrandmarkt zu werden und mit der einzigen Beruhigung, mich werde es schon nicht treffen, sondern nur die wirklich Verantwortlichen. Das alles heisst nicht, dass ich die Frustration der jungen Frau nicht verstehen kann – ihren Widerwillen dagegen, «so regiert zu werden» (Foucault). (Vielleicht können Sie ihr diesen kleinen Text der Berner Genderforscherin Patricia Purtschert zum Verhältnis von Wut und Kritik zu lesen geben.)
Aber ich spüre einen nicht minder geringen Widerwillen, mich (und andere) vom Gutdünken von Aktivisten «regieren» zu lassen, die ihre Legitimation einzig aus dem guten Zweck herleiten, dem sie sich verschrieben haben, selbst wenn ich deren Ziele in vielen Zügen teile. Wahrscheinlich sehe ich auch Probleme, welche die Aktivistinnen in Kauf nehmen würden, ich aber nicht. Darum ist mein Vertrauen in die demokratischen Prozesse grösser als in den Aktivismus.
Der Psychoanalytiker Peter Schneider beantwortet Fragen zur Philosophie des Alltagslebens. Senden Sie uns Ihre Fragen an gesellschaft@tagesanzeiger.ch.
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