Leser fragenWarum darf ein Arzt keine Placebos verschreiben?
Die Antwort auf eine Leserfrage zum Thema Scheinbehandlung.
Warum soll ein Arzt nicht Placebos verschreiben dürfen oder können? C.C.
Lieber Herr C.
Das geläufigste Argument gegen die Verwendung von Placebos lautet, dass sie gegen die Aufklärungspflicht gegenüber dem Patienten verstösst. Der Patient wird bewusst getäuscht. Dieses Problem hat sich nicht immer in gleicher Weise gestellt. Man kann vermuten, dass die (wohltätige) Täuschung – z.B. auch bei der Mitteilung einer fatalen Diagnose – umso unproblematischer erscheint, je paternalistischer das Arzt-Patient-Verhältnis ist. Die Veränderung des Status des Arztes verändert also auch die Einschätzung der Legitimität des Einsatzes von Placebos.
Eine Studie einer Schweizer Forscherinnengruppe, die auf der Befragung von 233 Haus- und Kinderärzten im Kanton Zürich in den Jahren 2007 und 2008 beruhte, zeigte, dass dennoch mehr als zwei Drittel der Befragten Placebos verschreiben – viele freilich mit schlechtem Gewissen. Nur 17 Prozent verabreichten «reine» Placebos – also Zuckerpillen oder Kochsalzinjektionen; 57 Prozent «unreine» Placebos wie unspezifische Vitaminpillen, also Medikamente, in denen wenigstens «irgendetwas» Pharmazeutisches enthalten war.
Einerseits haben sich die Placebos offenbar therapeutisch bewährt; andererseits schützt die Maxime «Wer heilt, hat recht» nicht vor grossen Bedenken bei deren Einsatz. Diese Bedenken sind nicht nur ethischer, sondern nicht zuletzt epistemischer Natur. In ihrem Buch «The Powerful Placebo» beschreiben Elaine und Arthur K. Shapiro, wie in den 50er-Jahren, mit der Etablierung von Doppelblind-Studien als Goldstandard zur Überprüfung der Wirksamkeit von Medikamenten, Placebos zu einer zwiespältigen Angelegenheit werden. Einerseits werden sie von Ärzten als wirksame Mittel verabreicht; andererseits werden sie in den pharmakologischen Studien als wirkungsloses Scheinmedikament verwendet, um die Wirkung des richtigen Medikaments («besser als Placebo») zu beweisen. Diese Janusköpfigkeit von Placebos macht sie unheimlich.
In einem von der deutschen Bundesärztekammer herausgegebenen Bericht über «Placebo in der Medizin» (2011) hört man darum geradezu den Stein von der Seele der Autorinnen plumpsen, wenn sie feststellen: «Eine der wichtigsten Erkenntnisse ist, dass Placebo- und Verumeffekt (die Wirkung eines «echten» Medikaments, PS) hirnphysiologisch und -anatomisch lokalisierbar sind ... Dies ist epistemologisch betrachtet ein Meilenstein in der Placeboforschung.» Mehr als das: Es ist die Rettung des Placebos. Was sich im Hirn nachweisen lässt, ist Objekt der Wissenschaft und keine Quacksalberei. Das mit der Verwissenschaftlichung der Medizin (die nicht nur «Heilkunst» sein will) anrüchig gewordene Placebo ist rehabilitiert.
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