Leser fragen Wie definiert Freud Humor?
Die Antwort auf eine Leserfrage zur Psychologie des Witzes.
Sigmund Freud beschreibt den Humor als «Lustgewinn durch ersparten Gefühlsaufwand». Hinter der Aussage dürfte eine Art Erkenntnis stecken, die mich zu diffus fasziniert, als dass ich sie in Wort fassen kann. Können Sie mir zum Schmunzeln verhelfen? H. S.
Lieber Herr S.
Das Standardbeispiel für diesen Lustgewinn ist der Galgenhumor: Ein Delinquent wird an einem Montag in aller Frühe zum Galgen geführt und begrüsst seinen Henker mit den Worten «Die Woche fängt ja gut an». Freud kommentiert: «Der Humor ist ein Mittel, um die Lust trotz der sie störenden peinlichen Affekte zu gewinnen; er setzt sich an die Stelle derselben.» An die Stelle der Todesangst setzt der arme Mann, der demnächst hingerichtet wird, einen humoristischen Triumph. «Die Lust des Humors entsteht auf Kosten dieser unterbliebenen Affektentbindung (Entwicklung von Todesangst, Red.), sie geht aus erspartem Affektaufwand hervor.»
Mir leuchtet diese Erklärung nicht ein. Ich kann mir zwar vorstellen, dass ein Todeskandidat mit einem solchen Spruch eine gewisse Souveränität zur Schau stellen möchte. Dass aber deshalb seine Todesangst unterbleibt und er sich damit einen Affektaufwand erspart, wobei diese Ersparnis dann Lust erzeugt, scheint mir sehr unplausibel.
Beim Humor muss man sein eigenes Publikum sein.
Den Gedanken der lustvollen Aufwandersparnis hatte Freud im Zusammenhang mit Witz entwickelt, und zwar innerhalb einer Zwei-Personen-Psychologie. Dort funktioniert dieses Schema: Der Witz-Erzähler schenkt dem Witz-Hörer den Aufwand, den es bei der Witzproduktion für die Überwindung von (sexuellen, aggressiven, logischen) Hemmungen braucht, erspart damit dem Hörer eben diesen Aufwand und erhält als Gegengeschenk das Lachen.
Beim Humor aber muss man sein eigenes Publikum sein. Oder aber, um beim Beispiel zu bleiben, wenigstens dem Henker ein Lächeln entlocken. Selbst dann dürfte sich der Lustgewinn in engen Grenzen halten. Von mehreren seiner Biografen wird übrigens eine Anekdote kolportiert, bei der Freud selbst durch grossartigen Galgenhumor glänzt. Bevor er Wien verlassen darf, muss er eine Erklärung unterschreiben, von den Nazis korrekt behandelt worden zu sein. Er habe diese Erklärung mit dem Zusatz ergänzt: «Ich kann die Gestapo jedermann auf das Beste empfehlen.»
Freuds Humor hätte das durchaus entsprochen; aber verständlicherweise war die Einsicht stärker, dass es unklug gewesen wäre, die Nazis unmittelbar vor der Ausreise unnötigerweise zu reizen. So lautet der letzte Satz denn lediglich und ohne Lustgewinn: «Behörden und Funktionäre der Partei sind mir und meinen Hausgenossen ständig korrekt und rücksichtsvoll entgegen getreten. Wien, den 4. Juni 1938. Prof. Dr. Sigm. Freud».
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