Öffnung der Aussenbereiche«Covid wird fast ausnahmslos in Innenräumen übertragen»
Die Gesundheitsdirektoren und Aerosol-Forscher fordern die schnelle Öffnung der Restaurant-Terrassen. Auch Erlebnisberichte aus Frankreich und Spanien unterstützen das Anliegen.
Endlich wieder ins Restaurant, das soll gemäss Lukas Engelberger, Präsident der Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren (GDK), schon am 19. April wieder möglich sein. Wobei genauer gesagt nicht in der Beiz, sondern auf der Terrasse oder dem Platz davor wieder Gäste bedient werden sollen. Damit gehe man nicht wirklich ein Risiko ein, sagte Engelberger am Sonntagabend im Westschweizer Fernsehen RTS.
Der Basler Gesundheitsminister forderte die Terrassenöffnung bereits im März, und auch bürgerliche Parteien drängen seit längerem auf diese Lösung (Lesen Sie dazu: Streit um rasche Öffnungen eskaliert). Am Montag verstärkte auch der Schweizerische Städteverband den Ruf nach einer «sicheren Öffnung der Restaurantterrassen» mit Schutzkonzepten. Das würde die Stimmung der Bevölkerung verbessern, den Wirtinnen und Wirten eine Perspektive geben und das Littering eindämmen, das in den Städten zunehmend ein Ärgernis sei, heisst es in einer Medienmitteilung.
Der Bundesrat entscheidet am Mittwoch über die nächsten Schritte, möglich wäre aber auch, dass er aufgrund der unklaren Lage mit Lockerungen noch etwas zuwartet.
Die Befürworter von einer rasch wieder offenen Aussengastronomie haben allerdings erheblich Rückenwind erhalten: Einerseits brachte der Frühling schon einige sonnige Tage, und nach dem aktuellen Kälteeinbruch dürfte es temperaturmässig vor allem nach oben gehen.
Und andererseits drängen auch führende deutsche Aerosolforscherinnen – und forscher in diese Richtung. In einem Brief an die Regierung von Angela Merkel fordern sie einen Kurswechsel bei den Corona-Massnahmen, wie das Onlinemagazin «Spiegel» heute berichtet. «Wenn wir die Pandemie in den Griff bekommen wollen, müssen wir die Menschen sensibilisieren, dass DRINNEN die Gefahr lauert», heisst es demnach in dem Brief von führenden Aerosolforschern.
Debatten über Biergärten, Restaurantterrassen, zu viele Leute am Fluss- oder Seeufer halten sie für kontraproduktiv. Die Ansteckungen fänden in Wohnungen, Büros, Klassenräumen, im ÖV und Betreuungseinrichtungen statt. Sie warnen, dass ein Infektiöser das Virus auch in einem schlecht belüfteten Raum hinterlassen kann, eine Übertragung könne so stattfinden, ohne dass sich zwei Personen begegnen. Im Freien seien Ansteckungen hingegen äusserst selten, im Promillebereich.
Maske auch auf Terrasse sinnvoll
Die Forscherinnen und Forscher nehmen mit ihrem Brief auch direkt Stellung gegen eine geplante Ausgangsbeschränkung ab 21 Uhr in Deutschland. «Heimliche Treffen in Innenräumen werden damit nicht verhindert, sondern lediglich die Motivation erhöht, sich den staatlichen Anordnungen noch mehr zu entziehen», schreiben sie. Es mache auch keinen Sinn, in Fussgängerzonen Masken zu tragen, wenn man sich danach im Wohnzimmer zum Kaffeekränzchen treffe. «Covid wird fast ausnahmslos in Innenräumen übertragen», heisst es im Brief.
Statt über Verbote in Aussenbereichen zu diskutieren, sollte die Energie dafür verwendet werden, dass Massnahmen in Räumen verbessert werden, damit dort Bedingungen wie draussen herrschen. Sprich: Mehr Stoss- und Querlüften, Luftreiniger und Filter installieren, Masken tragen. Werde das konsequenter angewandt, könne man den Menschen gleichzeitig mehr Freiheit im Aussenbereich zurückgeben.
Allerdings sollten auch draussen einige Massnahmen eingehalten werden, sagt der deutsche Virologe Marco Binder in einem neuen «Spiegel»-Artikel über das Ansteckungsrisiko. Wenn man Abstand halte, sei es sehr unwahrscheinlich, sich zu infizieren, das gilt auch für ein kurzes Aufeinandertreffen von Spaziergängern oder sogar keuchenden Joggern. Wer aber eng zusammensitzt, auf einer Bank, am See, vor dem Restaurant, könne sich auch im Freien über grössere Tröpfchen anstecken. Sitzen also zwei Leute an einem Tisch dicht beisammen, sollten sie lieber eine Maske tragen, auch draussen, sagt Binder.
Frankreich: Partys trotz Ausgangssperre
Was offene Terrassen bedeuten können und wie Ausgangssperren dem Kampf gegen Covid-19 sogar schaden können, berichtet ein Reporter des deutschen Nachrichtensenders NTV. Der Frankreichkorrespondent beobachtete in seiner Wohnstadt Bordeaux, wie die Bevölkerung die strengen Massnahmen umgeht. Ab 19 Uhr darf man sich dort nur noch mit einem ausgefüllten Zettel draussen bewegen, etwa um von der Arbeit nach Hause zu kommen, für einen Arztbesuch oder um Sport zu treiben.
Weil sich die Franzosen also nicht draussen treffen dürfen, machen sie es einfach drinnen, schreibt der Reporter. Am Wochenende beobachtete er Partys in privaten Wohnungen, sah Leute zusammen an den Fenstern stehen und rauchen, Geselligkeit im Wohnzimmer statt im Park.
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«Das Wochenende wird gefeiert, egal, ob nun Ausgangssperre ist oder nicht. Es ist Geselligkeit, es ist Frankreich», schreibt der Korrespondent. Auf seine Frage, wie die Partygäste denn wieder nach Hause kommen, erhält er simple Antworten: Entweder wird bis zum Morgengrauen durchgefeiert, oder sie kreuzen auf ihren Zetteln irgendwas an, das reiche meist schon. Zudem könne die Polizei ja nicht überall kontrollieren.
Sein Fazit: Die Politik zwingt die Menschen zu (illegalen) Treffen in Innenräumen, wo eine Ansteckung fast garantiert ist, wenn nur ein Positiver unter den Gästen ist. Das sei kontraproduktiv, mit dem Frühling wäre es epidemiologisch sinnvoller, wenn sich die Leute draussen treffen würden. Es erstaune ihn deshalb nicht, dass die Fallzahlen auch mit Ausgangssperre in Frankreich kaum runtergehen, schreibt der Journalist in seinem Kommentar.
Spanien: Glücklich in der Beiz
Er fordert, man solle stattdessen von Spanien lernen. Der Korrespondent reiste von Bordeaux nach San Sebastián und erlebte dort eine ausgelassene Stimmung: Viele Menschen in den Gassen, volle Aussenbereiche von Restaurants und Cafés, Stuhl an Stuhl. Und er sah vor allem glückliche Gesichter, wie es im Bericht heisst. In Spanien sei das schon seit Januar so, die Inzidenz ist trotzdem tiefer als in der Schweiz oder Deutschland.
Die offenen Terrassen, mit Sitz- und Maskenpflicht, scheinen im warmen Süden nicht zu einer erhöhten Infektionsrate geführt zu haben – die Wirte verdienen Geld, die Bevölkerung erhält ein Stück Normalität zurück, auch wenn es in San Sebastián eine für spanische Verhältnisse sehr frühe Sperrstunde um 20 Uhr gibt. In anderen Regionen gilt diese schon ab 17 Uhr oder erst ab 23 Uhr.
Mancherorts sind auch die Innenbereiche der Restaurants geöffnet, mit 30 oder 50 Prozent der Kapazität. Trotzdem steht das Land im internationalen Vergleich derzeit nicht schlecht da – allerdings spricht man mittlerweile auch in Spanien von einer möglichen nächsten Welle, nach der dritten im Januar wäre es bereits die vierte.
England: Pubs wieder offen
Mit Aussenbereichen der Gastronomie machen auch andere Länder vorwärts. In England dürfen die Pubs und Restaurants seit Montagmorgen wieder Gäste draussen bewirten. Premier Boris Johnson mahnt dabei zur Vorsicht und daran, nicht über die Stränge zu schlagen. Ob das funktioniert, wird sich noch zeigen, schon kurz nach Mitternacht öffneten die ersten Pubs, und die Briten standen trotz Regen und Kälte Schlange für ihr lang ersehntes Pint.
In Grossbritannien – die Pubs öffnen auch in Schottland, Wales und Nordirland – ist allerdings die Impfrate wesentlich höher als in der Schweiz oder der EU, ein direkter Vergleich ist somit kaum zulässig. Viel erstaunlicher ist indes, dass in England auch die Coiffeursalons erst ab Montagmorgen wieder öffnen dürfen – hierzulande wurden sie schon in der zweiten Welle von Lockdown-Schliessungen ausgenommen.
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Auch in einzelnen deutschen Bundesländern oder Städten ist die Aussengastronomie testweise wieder zugelassen, solange gewisse Grenzwerte nicht überschritten werden, beispielsweise im Saarland oder Schleswig-Holstein (mehr zum Thema: Das Experiment Tübingen). Die unsichere Lage und das aktuell kalte Wetter führen aber dazu, dass einzelne Wirte freiwillig trotzdem nicht öffnen. Zu gross wäre der Aufwand, die Mitarbeitenden aus der Kurzarbeit zu holen und Waren einzukaufen, wenn dann wegen des Winterwetters doch niemand kommt oder die Regierung den Öffnungsentscheid wieder rückgängig macht, berichtet der Sender NDR.
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