Loslösung durch FusionClariant will sich von den Saudis befreien
Der Spezialchemiekonzern soll fusionieren. Die Verhandlungen dazu sind bereits weit fortgeschritten. Ziel ist es, die arabische Beteiligung zu verwässern.
Clariant, der einzige verbliebene Konzern der einstmals grossen Basler Chemiebranche, ist in schon weit fortgeschrittenen Fusionsgesprächen, wie diese Zeitung aus gut informierten Kreisen erfahren hat. Clariant verhandelt dabei sogar zeitgleich mit vier möglichen Partnern aus der Branche. Dahinter steckt ein ausgeklügelter Plan, bei dem wie in einem Schachspiel Zug um Zug vorausgedacht wird. Das Ziel: Schach dem König. Der Konzern will sich aus den Händen des saudischen staatlichen Mehrheitsaktionärs lösen.
Die Saudis und die Ehre
Saudi Aramco ist die grösste Firma der Welt. Und mit einem Anteil von 31,5 Prozent ist der staatliche Ölriese auch der grösste Aktionär von Clariant. Dieses Aktienpaket hat Aramco quasi geerbt, da der Konzern vor kurzem den saudischen Chemiekonzern Sabic übernahm. Die Basler wissen: In dem Konglomerat mit 300 Milliarden Dollar Umsatz spielt die Clariant als «kleine Erbse» keine Rolle mehr. Die Schweizer wollen sich daher von ihrem Ankeraktionär befreien.
Clariant arbeitet daran, eine «gesichtswahrende Lösung für die Saudis» zu finden, wie es heisst. Denn die Saudis waren 2018 via Sabic als Hauptaktionär bei Clariant eingestiegen und hatten Clariant so vor einem aktivistischen US-Investmentfonds gerettet. Sabic zahlte damals für den Clariant-Anteil 2,4 Milliarden Dollar. Inzwischen ist das Aktienpaket nur noch rund die Hälfte wert. Die Ehre des Sabic-Chefs Yousef al-Benyan lässt es kaum zu, einzugestehen, gut 1 Milliarde mit dem Deal verlocht zu haben.
Zwischen Basel und Riad herrscht aktuell Funkstille: Die geplante Zusammenlegung des Polymergeschäfts von Sabic und Clariant ist letzten Sommer gescheitert – die Saudis wollten dem Vernehmen nach für die Aktivitäten von Sabic zu viel Geld. Und für Clariant entpuppte es sich bei der eingehenden Prüfung als zu wenig profitabel. Das Zerwürfnis zwischen Clariant und den Saudis – die zu viert im extra für sie erweiterten Verwaltungsrat in Basel vertreten sind – lässt sich nicht mehr kitten. Nun soll eine Exitstrategie her.
Der Plan für den Befreiungsschlag
Der entscheidende Schachzug ist die geplante Fusion: Sie soll Clariant zu einem der grössten, fokussierten Spezialchemiekonzerne machen – und den Saudis einen lautlosen Abgang ermöglichen. Der Sabic-Anteil würde durch ein Zusammengehen mit einem anderen Konzern verwässert und als Finanzinvestment in den arabischen Staatsfonds wandern, so der Plan.
Bei Clariant laufen die Vorbereitungen für eine Fusion derzeit auf Hochtouren. «In Basel hat kein Einziger im Management das Ziel aufgegeben, per Fusion ein Unternehmen mit 10 bis 12 Milliarden Umsatz zu werden und dann organisch auf 15 Milliarden zu wachsen», heisst es aus Konzernkreisen. Die Verhandlungen mit einem von vier möglichen Partnern sind demnach sogar schon weit fortgeschritten – mit den anderen stehen sie im frühen bis mittleren Stadium. Die Medienstelle des Konzerns will dies nicht bestätigen.
«Um das Geschäft mit Katalysatoren zu stärken, könnte ich mir ein Zusammengehen mit W. R. Grace vorstellen.»
Clariant hat seit 2016 ein siebenköpfiges Team, um Fusionsgespräche ohne externe Anwälte aufzugleisen. Der Chemie-Experte der Zürcher Kantonalbank, Philipp Gamper, zeigt sich von Fusionsplänen zwar überrascht, sieht aber die Firmen Ashland, Celanese wie auch W. R. Grace als komplementär für Clariant: «Sie sind in Nordamerika stark und würden die Basler regional ergänzen.» Und Daniel Buchta, Chemieanalyst der Bank Vontobel sagt: «Um das Geschäft mit Katalysatoren zu stärken, könnte ich mir ein Zusammengehen mit W. R. Grace vorstellen.»
Buchta hält auch die deutsche Evonik für einen geeigneten Fusionspartner. Doch davon will man in Basel nichts wissen, betonen Konzernkreise. Bei Evonik seien die Gewerkschaften viel zu stark; durchgreifende Restrukturierungen seien so unmöglich. Und auch der Konzernsitz könne nicht wie geplant in der Schweiz bleiben.
«Sicherlich machen die weltweiten Einschränkungen in Sachen Covid-19 das Vorgehen bei einem Merger derzeit nicht einfach, aber es ist nicht unmöglich und mit Sicherheit kein Showstopper – maximal gibt es Zeitverzug», sagt Uwe Nickel, Chemieexperte der M&A-Berater Proventis Partners.
Verkauf von Randbereichen
Clariant will nicht einfach grösser werden. Der Plan ist vielmehr, sich nur noch auf aussichtsreiche Aktivitäten zu konzentrieren. Daher sollen vor einem erneuten Fusionsanlauf weniger profitable Teile verkauft werden, so die Strategie von Verwaltungsratspräsident Hariolf Kottmann. Die Einheit Masterbatches, die Granulate zum Einfärben von Kunststoffen produziert, ist bereits an die US-Firma Polyone versprochen. Der Deal soll noch diese Woche über die Bühne gehen. Beim vereinbarten Kaufpreis von 1,56 Milliarden Dollar bleibt es trotz der Corona-Krise, wie zu hören ist.
Der Verkauf des Pigmentegeschäfts ist aufgegleist. Der Deal soll noch einmal rund 1 Milliarde Dollar in die Kassen spülen. Somit sei Clariant in der Lage, einen Zukauf in der Grössenordnung zwischen 3 bis 4 Milliarden Dollar zu stemmen, heisst es aus Konzernkreisen. Wird es teurer, müsste Clariant sein Kapital erhöhen – wozu die Saudis vermutlich wenig Lust haben. Der Königsweg wäre deshalb eben eine Fusion, bei der kein Geld fliesst, sondern nur Aktien getauscht werden.
Es gibt auch einen Plan B, der aber kostet 1000 Jobs
Hat Clariant die oben genannten Geschäftsbereiche verkauft, bleibt ein Konzern mit rund 4,5 Milliarden Franken Umsatz übrig – für den Fall, dass die Fusion nicht gelingt. Bleibt Clariant allein, rutscht der Konzern in der Rangliste der weltweit grössten Spezialchemie-Anbieter auf Platz 20 ab – und damit unter ferner liefen.
Um die drei verbliebenen Geschäftsbereiche zu managen (Care Chemicals: Substanzen für die Kosmetik- und Pharmaindustrie; Katalysatoren: Beschleunigung von Prozessen etwa in der Petrochemie ; Natural Ressources: u.a. Produkte für die Öl- und Gasindustrie), braucht Clariant in der Verwaltung weniger Leute. Daher wird hinter den Kulissen am Projekt «Clariant 2021» gearbeitet. Neben dem bereits im Februar angekündigten Stellenabbau von bis zu 600 Arbeitsplätzen könnten dabei noch einmal bis zu 1000 Jobs – etwa in IT, Personalwesen oder Einkauf – zusätzlich gestrichen werden, sagen eingeweihte Personen. Immerhin: In der Schweiz sollen den Quellen zufolge kaum weitere Jobs wegfallen.
Suche nach einem neuen CEO – Kottmanns Abgang
In der Partie mit dem saudischen Königshaus um die Zukunft Clariants und seiner 17’000 Mitarbeitenden spielt auch der exekutive Verwaltungsratspräsident Hariolf Kottmann mit hohem Einsatz: Kann der promovierte Chemiker die jüngste Achterbahnfahrt vergessen machen und seinen Abgang mit einem gelungenen Fusionsdeal krönen? Davon hängt auch ab, wer Kottmann auf dem Chefposten beerben wird.
Bei seiner Nachfolge als CEO musste der 64-Jährige ebenfalls einen Rückschlag hinnehmen. Im Oktober 2018 hatte er die operative Leitung Clariants an Ernesto Occhiello übergeben, der vom saudischen Grossaktionär Sabic kam. Als der Deal zur Zusammenlegung mit Sabic-Spezialchemie scheiterte, ging dann auch Occhiello Knall auf Fall. Seit vergangenem Sommer amtet Kottmann daher wieder als geschäftsführender Präsident. Die Suche läuft zwar auf Hochtouren. Aber die Verpflichtung einer neuen Chefin oder eines neuen Chefs macht nur dann Sinn, wenn klar ist, ob Kottmanns letzter Fusionsanlauf gelingt. Und dabei müssen die Saudis letztlich auch mitmachen. In diesem Spiel können sie König Kottmann noch schachmatt setzen.
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