Pentagon verfolgt Flug über MontanaChinesischer Spionage-Ballon über den USA aufgetaucht
Der Aufklärungsballon wird über einem Gebiet gesichtet, in dem sich ein Stützpunkt der US-Luftwaffe und Silos für Atomwaffen befinden. Er könnte auch andere Ziele verfolgen.
Am Donnerstagabend gab das Pentagon bekannt, über den USA sei ein Überwachungsballon unterwegs, «genau jetzt», so der Pentagon-Sprecher Pat Ryder bei einem Briefing. Er sei von der US-Regierung entdeckt worden und werde verfolgt. Der Ballon fliege in grosser Höhe, weit über den Routen der kommerziellen Luftfahrt und sei keine militärische oder physische Gefahr. Man habe ausserdem sofort gehandelt, «um die Sammlung sensibler Informationen zu verhindern». Von einem Abschuss sah die US Air Force bisher ab. Wegen der Gefahr herabstürzender Trümmer, wie es heisst.
Der Ballon dürfte unmittelbar zu neuen Spannungen zwischen den USA und China führen. US-Aussenminister Antony Blinken fliegt am Sonntag nach China und wird dann auch den chinesischen Präsidenten Xi Jinping treffen.
Es steht bereits nicht besonders gut um die Beziehungen zwischen den beiden grössten Volkswirtschaften der Welt. In einem Memo, das kürzlich öffentlich wurde, sagte der Vier-Sterne-General Mike Minihan, Chef des Air Mobility Command, für 2025 sogar einen Krieg zwischen beiden Ländern voraus, «ich hoffe, ich liege falsch».
Atomwaffen im Visier?
Eine Art Aufklärungsballon aus China fliegt also im Luftraum über den Vereinigten Staaten, an Bord mutmasslich Spionagegeräte. Aussergewöhnlich ist das nicht. Es sei in den vergangenen Jahren mehrfach passiert, antwortete Ryder auf Anfrage eines Journalisten. Aber diesmal scheine er sich länger zu halten, «hartnäckiger als bei früheren Vorfällen», sagte er. «Das wäre also ein entscheidender Faktor.»
Warum jetzt? Weshalb über Montana, über der Prärie? Das sind ein paar Fragen, auch wenn dies am Ende vielleicht doch nicht der ganz grosse Aufreger wird.
Für was genau sich die Chinesen da interessieren, ist unklar. Allerdings zählt das dünn besiedelte Montana zu jenen US-Bundesstaaten mit Silos für Atomwaffen. Die dortige Malmstrom Air Force Base ist Sitz der 341st Missile Wing, sie gehört zu den drei Stützpunkten der Luftwaffe, von der aus Interkontinentalraketen vom Typ Minuteman III gewartet und kontrolliert werden.
Das dürfte für China durchaus interessant sein. Wobei Ryder mehrfach darauf verwies, dass man zusätzliche Vorsichtsmassnahmen getroffen habe, um das Risiko durch ausländische Geheimdienste zu mindern. «Ich werde nicht näher darauf eingehen, worum es sich dabei handelt.»
Auch bringe dieser Ballon «keinen nennenswerten Mehrwert im Vergleich zu dem, was die Volksrepublik China wahrscheinlich durch Dinge wie Satelliten in der niedrigen Erdumlaufbahn sammeln kann.» Chinesische und amerikanische Satelliten können aus dem Weltraum Bilder machen und den Umgang mit Waffen beobachten, viele Staaten spionieren sich gegenseitig aus.
Kommunikation als mögliches Ziel
Ein Militäranalyst von CNN sieht aber noch ganz andere Einsatzmöglichkeiten eines solchen Ballons, wie er dem Nachrichtensender sagt. Die Chinesen könnten damit auch Telekommunikation abfangen, erklärt der pensionierte Colonel Cedric Leighton. «In anderen Worten, sie könnten so unseren Handyverkehr oder anderen Funkverkehr überwachen oder nach Kommunikationskanälen der Regierung und der Armee suchen», sagt der Analyst. Die Daten könnten zudem live via Satelliten zurück nach China geschickt werden.
Möglich wäre auch, dass die Chinesen ihre Erkenntnisse danach mit Russland teilen, es gebe einen Austausch der Geheimdienste der beiden verbündeten Länder. Dabei könnte es dann durchaus um Informationen über die Atomwaffen der USA gehen. Leighton teilt die offizielle Pentagon-Meinung nicht, dass ein solcher Ballon keinen Spionage-Mehrwert darstelle. Beim Überflug der Atomwaffen-Silos und der Luftwaffenbasis könne China durchaus mehr und bessere Daten erhalten, als mit Satelliten, sagt Leighton.
Ballone durch Winde gesteuert
Aufklärungsballone werden gemäss Militärexperten künftig vermehrt eingesetzt. Sie sind viel billiger als Satelliten und werden von Radargeräten nur schwer erkannt. Ein Abschuss ist mitunter schwierig, sie können auch mit einem Loch in der Hülle noch tagelang in der Luft schweben.
Um die Ballone zu steuern, werden die unterschiedlichen Windrichtungen in der Atmosphäre genutzt. Ein Computer errechnet dabei automatisch, wie die verschiedenen Windströme in der Luft genutzt werden können, um ans Ziel zu gelangen. Die Technik wird mit Solarenergie betrieben.
Die USA haben selber solche computergesteuerten Ballone schon ausführlich getestet und beispielsweise mit speziellen Radargeräten ausgerüstet, um einzelne Fahrzeuge bei Tag und Nacht verfolgen zu können. Ziel der Übung war es, dass Drogenschmuggler oder andere Sicherheitsbedrohungen entdeckt werden können.
Comeback dank neuer Technologie
Mit ähnlicher Technologie könnte nun ein solcher Spionageballon viel genauere Informationen registrieren, als weiter entfernte Satelliten. Experten bestätigen CNN, dass die dafür notwendigen Geräte heutzutage viel kompakter und leichter seien. Und im Gegensatz zu Satelliten könne ein Ballon an einer Stelle verharren und diese über längere Zeit überwachen.
Nachdem die im Kalten Krieg beliebten Spionageballone durch Satelliten abgelöst wurden, könnte der technologische Fortschritt nun zu einem Comeback der schwebenden Überwachungsgeräte führen. Momentan sehen Experten des britischen Guardian zwar noch keinen grossen Informationsgewinn, aber sie sagen auch, dass man solche Ballone mit allen möglichen Geräten bestücken könne. Es gebe da praktisch keine Grenzen.
In der Spionage sei wichtig, wer die bessere Sicht auf die Erde habe, sagt Sicherheitsexperte John Blaxland. Lange war dabei das Weltall entscheidend. Während dieses aber langsam mit Satelliten überladen sei, könnte sich der Fokus nun wieder auf die Atmosphäre verschieben.
Abschuss könnte noch erfolgen
Dass es sich über Montana um einen chinesischen Ballon handelt, daran hat das US-Verteidigungsministerium keinen Zweifel. Er soll über die Aleuten-Inseln, Alaska und Kanada diese amerikanische Gegend erreicht haben. Was es genau für ein Ballon ist, dazu mochte Ryder nicht viel sagen. Aber es gebe Berichte von Piloten, «die dieses Ding gesehen haben, obwohl es ziemlich hoch oben am Himmel ist. Also, wissen Sie, es ist beträchtlich.»
Das ist zumindest offiziell auch der Grund, weshalb der mysteriöse Eindringling nicht vom Himmel über Amerika geholt wurde. Kampfjets vom Typ F-22 stiegen am Mittwoch zwar auf. Es gebe auch Befugnisse, «gegen unbemannte Luftfahrtsysteme vorzugehen, zu denen dieser Ballon gehören würde», erläuterte der General Ryder. Gewöhnliche Flugzeuge mussten deshalb vorübergehend auf dem Billings Airport bleiben. Doch man habe ausschliessen wollen, dass am Boden jemand verletzt oder Eigentum zerstört werde, und deshalb keinen Schuss abgegeben. Das könne sich allerdings ändern.
Bewusste Kommunikation vor China-Besuch
Präsident Joe Biden wurde informiert. Verteidigungsminister Lloyd Austin, da nach auf den Philippinen, berief ein Krisentreffen hochrangiger Militärs ein. Man habe China auch übermittelt, wie ernst man die Sache nehme, sagte Ryder.
Der Reise Blinkens nach Peking, die erste eines US-Aussenministers seit sechs Jahren, wird die Ballonfahrt nicht guttun, das Verhältnis ist angespannt genug wegen Spannungen im Pazifik, wegen Taiwan, und dem Krieg in der Ukraine. Die USA werfen Xi vor, zu nachsichtig gegenüber Russland zu sein.
Dennoch sucht die Biden-Administration den Kontakt. Dass Washington den Ballon-Vorfall über Montana genau jetzt öffentlich machte, dürfte auch damit zusammenhängen. Die USA lassen China wissen, dass sie über den Ballon genau Bescheid wissen – und der Gastgeber gerät schon vor Blinkens Ankunft in Erklärungsnot.
China warnt vor «voreiligen Schlüssen»
Der australische Sicherheitsexperte John Blaxland sieht im Ballon aber auch eine Nachricht von China an die USA. Man habe wohl erwartet, dass das Flugobjekt entdeckt wurde. Es könne den Chinesen darum gegangen sein, die USA zu blamieren, indem sie es schaffen, ihre Atomwaffenstützpunkte zu überwachen. Zudem zeige das präzise Ansteuern, dass China aufgeholt und die US-Technologie erfolgreich kopiert habe.
China warnte dagegen vor «voreiligen Spekulationen» über die Herkunft des Ballons. Man habe keine Absicht, den Luftraum eines anderen Landes zu verletzen. China hoffe, dass die involvierten Parteien die Sache mit kühlen Kopf betrachteten.
Politiker fordern Aufklärung
Abgeordnete sind mit ihren Reaktionen wenig zurückhaltend. Die Kommunistische Partei Chinas dürfe keinen Zugang zum US-Luftraum haben, verkünden der demokratische und der republikanische Vorsitzende des China-Ausschusses im Repräsentantenhaus in einer gemeinsamen Erklärung. Dies sei nicht nur eine Verletzung der amerikanischen Souveränität, sondern beweise auch, dass die Annäherungsversuche der KP keine wesentliche Änderung der Politik darstellen, und zeige, dass die Bedrohung durch China «nicht auf ferne Küsten beschränkt» sei – sie sei auch hier, «und wir müssen handeln, um dieser Bedrohung zu begegnen».
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Parlamentssprecher Kevin McCarthy, Republikaner, erklärte in einem Tweet, dies sei «eine destabilisierende Massnahme, die angegangen werden muss, und Präsident Biden darf nicht schweigen». Er verlangt eine Sondersitzung mit führenden Kongressmitgliedern. Die New York Times dagegen zitiert einen weniger aufgeregten Pensionär, früher Bezirksrichter in Montana. Der hält den Ballon aus China auch für eine Provokation, kann aber «nicht glauben, dass sie Billings ausspionieren», über der Stadt im Bundesstaat wurde das Ding geortet. «Dort gibt es nicht viel.»
Kanada verfolgt «möglichen zweiten Vorfall»
Kanada arbeitet eigenen Angaben zufolge zusammen mit den USA an der Verfolgung des Beobachtungsgsballons und überprüft zudem einen «möglichen zweiten Vorfall».
Es werde alles getan, um die Sicherheit des kanadischen Luftraums zu gewährleisten, «einschliesslich der Überprüfung eines möglichen zweiten Vorfalls», hiess es weiter. In der kanadischen Erklärung wurde China nicht erwähnt.
(Mit Material der Agentur AFP)
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