Chinesische Repression in der Schweiz«Für die Betroffenen herrscht ein Klima der Angst»
Ralph Weber hat untersucht, wie Tibeter und Uigurinnen hierzulande überwacht und bedroht werden. Im Interview spricht er über die perfiden Methoden und sagt, was die Schweiz dagegen tun kann.
![Ralph Weber, Professor für European Global Studies an der Universität Basel, sitzt lächelnd vor einem Bücherregal in seinem Büro.](https://cdn.unitycms.io/images/8JJq2bEGq-49UPXcwNgh7G.jpg?op=ocroped&val=1200,800,1000,1000,0,0&sum=Ahph9yyHdzM)
Repression. In der Schweiz. Gegen Minderheiten, und ausgeübt von China: Das ist die Erkenntnis einer brisanten neuen Studie. Der Autor, China-Experte Ralph Weber, hat diese im Auftrag des Bundesrats durchgeführt. Im Interview berichtet er, was Betroffene erlebt haben – und ordnet die Ergebnisse ein.
Herr Weber, kurz zusammengefasst: Was sind die wichtigsten Erkenntnisse Ihrer Untersuchung?
Transnationale Repression wird auch in der Schweiz angewendet. Und zwar gegenüber Personen, die aus Tibet und Xinjiang sind oder sich für diese Regionen engagieren. Dabei wird ein breites Spektrum von Methoden zur Überwachung und Bedrohung eingesetzt. Vieles davon wurde schon in anderen Ländern beobachtet.
Können Sie ein Beispiel machen?
Mit konkreten Beispielen muss ich aufpassen, weil die Betroffenen nicht identifizierbar sein dürfen. Was aber oft vorkommt, ist etwa, dass Personen, die sich politisch äussern, in der Schweiz fotografiert oder gefilmt werden. In Einzelfällen haben die Befragten berichtet, dass diese Aufnahmen in China ihren Verwandten gezeigt wurden. Diese wurden auf einen Polizeiposten bestellt. Dort wird ihnen gesagt, dass das politische Engagement ihrer Angehörigen ein Problem werden könnte für die Familie. Das ist eine perfide Methode, um Druck auszuüben – und eine der wirkungsvollsten. Die Personen in der Schweiz stehen vor der Wahl: Entweder schützen sie ihre Familie oder äussern ihre Überzeugungen, nehmen ihre eigenen Grundrechte wahr.
Welche weiteren Methoden wenden chinesische Akteure an?
Uns wurde oft von Telefonanrufen zu allen Tages- und Nachtzeiten berichtet. Die Anrufer machten dabei oft klar, dass sie zu den chinesischen Behörden gehören. Dabei geht es um Einschüchterung: Wir sehen dich. Wir wissen, was du machst. Es gibt auch Berichte von physischer Verfolgung. Manche der Befragten sagten uns, dass ihnen Menschen auf der Strasse folgen, bis nach Hause. In einem Fall wurde sogar von einer Drohne berichtet, die bis vor den Hauseingang mitgeflogen ist. Davon haben wir ein Video. Wir fanden in der Schweiz – im Gegensatz zu anderen Ländern – aber keine Fälle von Mord oder forcierter Repatriierung, dass also Menschen mit Gewalt zurück nach China gebracht wurden. In anderen Ländern gab es das.
Sind die Überwachungen und Druckversuche alarmierende Einzelfälle oder betrifft dies viele Personen?
In der Regel konnten wir Vorfälle, die nur einmal gemeldet wurden, in unserer Studie gar nicht erwähnen, weil wir die Persönlichkeit der Betroffenen schützen mussten. Das heisst: Es gibt eher mehr Fälle, als wir in der Studie thematisieren konnten.
Sie haben 46 Angehörige von Minderheiten befragt für Ihre Studie. Wie haben Sie diese ausgewählt?
Wir haben uns dagegen entschieden, nur über organisierte Vereinigungen zu gehen, die sich für diese Minderheiten einsetzen. Denn wir wollten herausfinden, ob auch Personen unter Druck gesetzt werden, die sich nicht politisch exponieren. Deshalb haben wir die Leute zufällig ausgewählt. Darunter waren Personen, die hier geboren und Schweizer Bürger und Bürgerinnen sind. Aber auch Leute, die erst kürzlich eingereist sind. Alle haben wir am Ende gefragt: Mit wem sollen wir noch sprechen? Das nennt sich Schneeballsystem. Wir haben vereinzelt auch Belege von Drohbriefen oder E-Mails von den Betroffenen erhalten, die sich mehr oder weniger direkt auf die kommunistische Partei zurückverfolgen liessen.
Wie stark beeinträchtigen die Überwachung und die Druckversuche den Alltag der Betroffenen?
Das Spektrum ist relativ gross: Manche Leute äussern sich wegen der Druckversuche nicht mehr politisch. Da kommt es zur Selbstzensur. Andere tun dies vorsichtiger. Gleichzeitig gibt es Leute in der Schweiz, die sehr offensiv an die Medien gehen. Letztere haben oft das Gefühl, sie hätten nichts mehr zu verlieren. Etwa, weil sie den Kontakt mit der Familie schon abgebrochen haben. Grundsätzlich kamen wir aber zum Schluss, dass für die Betroffenen ein Klima der Angst herrscht. Sie denken zwar nicht 24 Stunden an die Repression. Aber sie sind immer wieder damit konfrontiert, können dem nicht entkommen.
Wer sind die Personen, die andere überwachen?
Es kommt auf die Form der Repression an. Es gibt eine gute Evidenzlage, dass es zum Teil Mitarbeitende der Botschaft sind oder Personen, die man nachrichtendienstlichen Kreisen der Volksrepublik China zuordnen kann. Manchmal üben sie sogar Druck aus, indem sie sagen: «Ich gehöre den chinesischen Sicherheitsbehörden an und ich möchte mit Ihnen sprechen.» Es werden aber auch Drittpersonen eingesetzt.
Was will China damit konkret erreichen? Geht es primär darum, Kritiker zum Schweigen zu bringen?
Unter anderem. Aber damit sind auch viel grössere Ziele verbunden. Propaganda, etwa in der Frage, wie es mit Tibet weitergeht. Die Loyalität dem Dalai Lama gegenüber soll geschwächt werden, indem Tibeterinnen und Tibeter untereinander streiten. Was auch wichtig ist zu betonen: Wenn auf Regierungsebene eine gute Kooperation vorangetrieben wird zwischen der Schweiz und China, hat das natürlich einen Einfluss auf die Betroffenen. Dieser Punkt ist der Elefant im Raum, der im Bericht des Bundesrats nicht thematisiert wird.
Inwiefern?
Es geht um die Wirtschaftsbeziehungen zu China. Diese möchte man natürlich aus vielen Gründen vorantreiben. Gleichzeitig gibt es Grundrechte, die in unserer Verfassung stehen und die Schweiz garantieren muss. Was aus der Sicht eines Unbeteiligten in der Schweiz schwierig zu verstehen ist: Wie wirkt das eigentlich auf jemanden, der Opfer von Repression ist, wenn ein Mitglied unseres Bundesrats nach Peking reist und sich dort lachend mit Xi Jinping fotografieren lässt? Inzwischen ist es üblich, mit Autokraten aufzutreten. In der Schweiz sagen wir: «Das macht man halt, weil man die Wirtschaftsbeziehungen will oder diplomatische Ziele erfüllen möchte.» Aber manche Tibeter oder Uiguren hierzulande fragen sich: Schützt mich der Schweizer Staat noch vor Repression, wenn er so mit dem chinesischen Präsidenten auftritt? Es ist nicht an mir, zu beurteilen, ob das gut oder schlecht ist. Aber bei solchen Fragen sind liberale Demokratien in einem Dilemma. Es wäre wichtig, dass darüber diskutiert wird.
Welche Verantwortung hat die Schweiz, Personen, die hier leben, vor Repression zu schützen?
Ein Teil der Repressionen sind strafrechtlich relevant, das geht bis zu Offizialdelikten. Da hat der Staat eine hohe Verantwortung, etwas zu unternehmen. Andere Dinge sind unangenehm, aber es ist kein strafrechtlicher Tatbestand erfüllt – dafür handelt es sich um eine Grundrechtseinschränkung. Auch das muss eine liberale Demokratie interessieren. Inwieweit eine Schutzpflicht besteht, ist eine juristische Frage. Ich bin nicht qualifiziert, die zu beantworten.
Was könnte die Schweiz denn unternehmen bei Fällen, die nicht strafrechtlich relevant sind?
Falsch wäre, Massnahmen zu ergreifen, die auf alle Chinesinnen und Chinesen abzielen. Man sollte auch nicht Tibeter und Tibeterinnen oder Uiguren, die Kontakt zur Volksrepublik China unterhalten, einem Generalverdacht unterstellen und sie als Spitzel bezeichnen. Die Vereinigten Staaten neigen dazu, sehr breit Massnahmen zu ergreifen, die oft zu Diskriminierung führen. Das sollte man vermeiden.
Heisst das, die Schweiz kann wenig tun?
Nein, es gibt Verbesserungspotenzial in der Schweiz. Etwa bei der Frage, in welchem Rahmen Demonstrationen erlaubt werden, wenn etwa Xi Jinping nach Bern kommt. Da wurde die Demonstrationsfreiheit zuletzt ziemlich stark beschränkt. Ich verstehe, wenn sich Leute während des Besuchs nicht auf den Dächern aufhalten dürfen – das ist eine Sicherheitsfrage. Aber wenn es nur darum geht, dass Xi Jinping nicht beleidigt ist, weil er tibetische Fahnen sieht, dann hat das nichts mehr mit Sicherheit zu tun. Ich habe selten eine tibetische Fahne einen Angriff ausüben sehen. Überspitzt ausgedrückt darf man irgendwann nur noch drei Jahre vor einem Staatsbesuch auf dem Matterhorn demonstrieren. Bei solchen Einschränkungen sollte die Schweiz meiner Meinung nach aufpassen. In einer liberalen Demokratie muss man seine Meinung sagen dürfen.
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