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Mit allen Wassern bewaffnet
China gräbt halb Asien das Wasser ab

«Der Reinigende»: In Tibet heisst der Fluss noch Yarlung Tsangpo. Auf dem Weg zum Meer wird daraus der Brahmaputra. An seinem Oberlauf plant China ein gewaltiges Wasserkraftwerk. 
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Auch im Osten gibt es einen «Grand Canyon», grösser, tiefer und noch wilder als der berühmte westliche Bruder im amerikanischen Bundesstaat Arizona. Weitgehend unerschlossen liegt er im Himalaja, wo sich einer der mächtigsten Ströme Asiens seinen Weg durchs Gebirge bahnt: der Brahmaputra. Als Quell des Lebens verehren ihn die Menschen seit Jahrtausenden. Doch in den vergangenen Wochen speiste der Fluss Sorgen und Ängste, weil China ganz Grosses mit ihm vorhat.

Von seinem Ursprung am Angsi-Gletscher fliesst der Brahmaputra, der im Gebirge noch Yarlung Tsangpo («Der Reinigende») heisst, zunächst Hunderte Kilometer nach Osten. Dann verlässt er das tibetische Hochplateau, zieht eine Schleife nach rechts und sucht sich seinen Weg in die Ebene. Durch zerklüftete Schluchten tosen die Wassermassen abwärts, streben nach Südwesten, fliessen durch das indische Assam und ins Delta von Bangladesh, wo sie sich – zusammen mit Ganges und Meghna – in den Ozean ergiessen.

Wer den Oberlauf kontrolliert, hat Macht über den Unterlauf

Der Brahmaputra sichert auf einer Länge von fast 3000 Kilometern das Leben Hunderter Millionen Menschen. (Mehr zur Bedeutung der Wasserspeicher im Hochgebirge Asiens lesen Sie hier.) Wer den Oberlauf kontrolliert, hat Macht über diejenigen, die stromabwärts leben und darauf angewiesen sind, dass auch bei ihnen noch genügend Wasser ankommt. So verwundert es nicht, dass sich Unruhe in Indien und Bangladesh verbreitet, seitdem Peking Pläne bekannt machte, eine gewaltige Staumauer im Gebirge zu errichten.

«Das ist eine ernste Bedrohung», sagt E.A.S. Sarma, Physiker und ehemals hochrangiger Beamter der indischen Regierung. «Indien und China haben nie einen Vertrag über die gemeinsame Nutzung des Wassers am Brahmaputra abgeschlossen.» Bisher beschränken beide Staaten ihre Kooperation auf den Austausch von Informationen bei Überschwemmungen. «Es sieht so aus, als wollten sie das Projekt am Brahmaputra als Hebel benutzen, als eine Art Wasserwaffe», fürchtet Sarma mit Blick auf Chinas Bauvorhaben in der Schlucht.

«Historische Chance für die Wasserkraftindustrie»

Um den Plan vom Mega-Kraftwerk zu verkünden, nutzte Peking die staatlich kontrollierte «Global Times». Das Blatt zitierte Yan Zhiyong, Chef des staatseigenen Energiekonzerns Powerchina, der das Vorhaben als «historische Chance für die Wasserkraftindustrie» lobte und verkündete: «Es gibt in der Geschichte keine Parallele.»

Damit spielte Yan auf Standort und Grösse an. Seit dem Bau des Drei-Schluchten-Damms am Jangtse hat es kein so ehrgeiziges Projekt Pekings mehr gegeben. Der Geograf Sayanangshu Modak von der Observer Research Foundation in Kalkutta spricht vom Versuch, «einen der wildesten Flussabschnitte der Erde zu zähmen».

Es wäre das leistungsstärkste Wasserkraftwerk der Welt

Über die exakten Koordinaten wird noch spekuliert, Peking hält sich bedeckt, bekannt ist aber, dass das geplante Kraftwerk mit einer Kapazität von 60 Gigawatt in den nächsten Fünfjahresplan einfliessen soll. Laut «Global Times» ist er im zerklüfteten «Grand Canyon» des Yarlung Tsangpo geplant, wo das Wasser auf einer Strecke von 50 Kilometern 2000 Meter an Höhe verliert. Kommt der Damm, würde dort dreimal so viel Energie gewonnen wie am Drei-Schluchten-Damm. Es wäre das leistungsstärkste Wasserkraftwerk der Welt.

Das extreme Gefälle zur Gewinnung von Energie zu nutzen, ist für Chinas Technokraten verlockend, für Ingenieure kompliziert und für Umweltpolitiker ein äusserst kniffliger Fall. Einerseits drohen irreparable Eingriffe in ein natürliches Flusssystem, andererseits öffnet Wasserkraft eine Chance, Treibhausgase zu mindern und das Klima zu schützen, ein Argument, das China nun betont.

Auch Indien baut Dämme

Wenn es Empörung im indischen Kabinett gab, so hielt es sich öffentlich stark zurück. «Die Regierung überwacht sorgfältig alle Entwicklungen am Fluss Brahmaputra», erklärte das Aussenministerium. Indische Fernsehsender hingegen schäumten und produzierten Schlagzeilen wie diese: «Dragon Dam Dare» – die trauen sich was, mit ihrem Drachen-Damm. Der Tenor: Wie kommt China dazu, seine Nachbarn mit einem Super-Damm einzuschüchtern?

Delhi muss bereits damit leben, dass Peking kleinere Kraftwerke am Oberlauf plant und baut, eines ist seit 2015 in Betrieb. Das neue Projekt im Canyon aber ist von anderer Dimension. Und es fällt in eine Zeit, in der sich enorme Spannungen aufgebaut haben. Im Sommer waren indische und chinesische Truppen in Ladakh aneinandergeraten, bei Nahkämpfen mit Fäusten und Keulen starben viele Soldaten.

Spannungen nach dem Grenzzwischenfall in Ladakh: Inder verbrennen in Ahmedabad ein Porträt des chinesischen Präsidenten Xi Jinping.

Angesichts der Baupläne Pekings warnte der «Indian Express», dass Staumauern grosse Mengen an Schlamm mit Nährstoffen zurückhalten, sie fehlen dann in den Ebenen. Die Landwirtschaft leidet, ausserdem sind artenreiche Biotope bedroht. Ein weiteres Risiko ergibt sich aus der Erdbebengefahr im Himalaja. Das allerdings hat auch Delhi nicht davon abgehalten, andernorts im Gebirge Dämme zu bauen, etwa in Tehri weiter westlich.

Stauung des Mekong führte zu Wassermangel

Mit besonderem Interesse blickt Indien auf Entwicklungen am Mekong in Südostasien. Dort lässt sich studieren, wie sich Dämme am Flussoberlauf – in China und Laos – auf die Länder am Unterlauf auswirken. Thailand, Kambodscha und Vietnam litten wiederholt unter Wassermangel, es gefährde Fischer, Bauern und damit Millionen Verbraucher. Vorwürfe, dass China in trockenen Zeiten Wasser zurückgehalten habe, weist Peking zurück. (Mehr zu Chinas Macht übers Wasser lesen Sie hier.)

Am Brahmaputra wiederum gibt es nicht nur Ängste vor Wassermangel, sondern auch vor blitzartigen Fluten, je nachdem, welche Stellschrauben China bedienen könnte. In Bangladesh klingen Wasserexperten ohnmächtig:»China sitzt ganz oben am Brahmaputra. Wir haben offiziell noch gar nicht erfahren, was sie da machen», klagte Mahmudur Rahman in Dhaka. «Wir haben vom Bau des Damms aus den Medien gehört, haben keine Daten.»

Rahman gehört zur Joint River Commission, die Indien und Bangladesh schufen, um sich in Wasserfragen zu koordinieren. In Bangladesh gibt es schon länger Beschwerden, dass Indien zu viel Wasser aus Flüssen entnehme. Nun kommen Pekings Pläne hinzu. Nur dass Dhaka seine Sorgen nicht so laut artikuliert, weil China auch als Investor gebraucht wird.

Es dauerte nicht lange, bis Peking beschwichtigte, man solle nicht zu viel hineininterpretieren in die Pläne, die sich noch in einem frühen Stadium befänden. Im Übrigen habe China stets eine «verantwortungsvolle Haltung» eingenommen. Weder in Indien noch in Bangladesh dürfte das die Nervosität mindern. Der indische Politologe Brahma Chellaney kommentiert, Indien werde nun nicht nur «chinesische Aggression» an Land erleben und maritim von Peking bedrängt. Nun sei sein Land auch noch durch «Wasserkriege» gefährdet.

Wasserkonflikt zwischen Atommächten

Zwar hat Peking zugesichert, es werde nichts unternehmen, was sich am Unterlauf negativ auswirke, doch Delhi kann kaum abschätzen, was solche Zusagen in Zeiten wachsender Spannungen wert sind. Das weiss man auch in Peking; die Staatspresse weist darauf hin, dass Delhi kein «ausreichendes politisches Vertrauen» in Peking habe und sich nun – leider – von nationalistischen Gefühlen hinreissen lasse, statt die Chancen der Kooperation im Energiesektor zu erkennen.

So droht sich die Rivalität der beiden Atommächte an der Wasserfront aufzuschaukeln. Indien erwägt sogar den Bau einer eigenen Staumauer, um mögliche Folgen des chinesischen Damms besser im Griff zu haben. Ein Reservoir nahe der Grenze soll eine Möglichkeit schaffen, den Wasserstand nach eigenen Bedürfnissen zu regulieren. So hat ein Wettlauf ums Wasser begonnen. Nur dass die am Unterlauf immer am kürzeren Hebel sitzen.