Entscheid zu Chemieareal UetikonGericht pfeift Kanton im Streit um Altlasten im Zürichsee zurück
Die Baudirektion wollte Schadstoffe im Seegrund belassen. Das Baurekursgericht bemängelt nun: Der Kanton hat dafür zu wenig Messdaten gesammelt. Das Urteil hat Tragweite.

- Das Baurekursgericht rügt den Kanton Z¨ürich bezüglich Seegrundsanierung vor dem Chemieareal in Uetikon.
- Ob Teile der Schadstoffe im Zürichsee belassen werden können, ist damit unklar.
- Der Kanton muss weitere Bohrungen durchführen und zusätzliche Daten sammeln.
- Die Realisierung des Seeuferparks wird sich verzögern.
Es ist ein gewichtiger Entscheid, den das Baurekursgericht diese Woche gefällt hat. Auf 164 Seiten erklärt es in allen juristischen und geologischen Details, weshalb der Kanton Zürich die Seegrundsanierung vor dem Chemieareal Uetikon nicht wie geplant verwirklichen kann.
Der Kanton wollte einen Teil des mit Schadstoffen belasteten Seegrunds mit Kies überschütten, statt das kontaminierte Material aus dem Zürichsee zu holen. Das Gericht urteilt nun: Der Kanton habe seine Entscheidung aufgrund einer «ungenügenden Sachverhaltsabklärung» getroffen. Er muss deshalb nochmals über die Bücher. Das Urteil dürfte weitreichende Konsequenzen haben.
Kanton änderte Strategie
Doch von Anfang an: Auf dem Areal der ehemaligen Chemiefabrik sollen ein neuer Ortsteil inklusive Kantons- und Berufsfachschule sowie ein Park entstehen. Weil die Fabrik jedoch während fast zweier Jahrhunderte Schwefelsäure und Dünger produziert hatte, sind Boden und Seegrund mit Arsen, Blei und teils radioaktivem Material belastet. Was mit den Schadstoffen an Land passiert, ist noch unklar. Im Wasser hingegen hatte der Kanton bereits eine Strategie, die sich im Verlauf der Planung änderte.
Ursprünglich wollte die kantonale Baudirektion alle Schadstoffe im See mit einem riesigen Sauger entfernen. 80 Prozent des belasteten Gebiets sind denn letztes Jahr auch auf diese Weise abgesaugt worden. Weil die Baudirektion aber bemerkte, dass die Altlasten in Ufernähe wesentlich tiefer im Seegrund liegen als die einst angenommenen 1,5 Meter, hat sie neue Varianten geprüft. Sie hat sich entschieden, dass die Fläche entlang des Ufers mit einer 60 Zentimeter dicken Schicht Kies überschüttet wird.
Diesen Teil des belasteten Materials zu entfernen, könnte gemäss Kanton zu «schwer kalkulierbaren Risiken» führen, wie beispielsweise zur Instabilität der Ufermauer. Diesen Teil im Boden zu lassen, sei daher bezüglich Risiken «verhältnismässiger», da für Menschen und das Trinkwasser keine Gefahr bestehe.
Das rief die Gruppierung «Lobby für Uetikon» auf den Plan. Sie bemängelt, dass die angeblich hohen Schadstoffkonzentrationen in den tieferen Schichten nicht belegt seien, und will, dass das gesamte belastete Material aus dem See kommt. Mehrere Mitglieder haben deshalb den Rekurs eingereicht, der zum aktuellen Gerichtsurteil führte.
Bisherige Bohrungen reichen nicht
Der Entscheid des Baurekursgerichts liegt dieser Redaktion vor. Das Gericht anerkennt zwar, dass giftiges Material freigelegt würde, wenn der Kanton nur die obersten 1,5 Meter im Uferbereich abtragen würde. An welchen Stellen genau der Seegrund wie tief und stark belastet ist, sei jedoch unklar. Der Kanton hatte zwar Bohrungen durchgeführt. Deren Analysen sind gemäss Gericht jedoch lückenhaft.
Die Analysen der Bohrungen würden nämlich lediglich die Sedimente bis in eine Tiefe von rund zwei Metern dokumentieren. Die tieferliegenden Ebenen nicht. Dies mit Ausnahme von zwei Bohrungen, die laut Gericht jedoch nur eine «punktuelle Aussage liefern».
Wie die Belastung im Seegrund vor dem Chemieareal genau verteilt ist, sei «in den Akten nicht rechtsgenügend dokumentiert», urteilt das Gericht und schickt die Sache an den Kanton zurück. Das Gericht überlässt es nun diesem, weitere Bohrungen zu tätigen und weitere Daten zu sammeln. Zudem muss der Kanton die Gerichtskosten von 40’000 Franken fast vollständig übernehmen.
«Verzögerung auf unbestimmte Zeit»
Die Baudirektion teilt auf Anfrage mit, dass sie den Entscheid des Baurekursgerichts zur Kenntnis genommen hat. «Wir werden uns nun vertieft damit befassen und anschliessend darüber befinden, ob der Entscheid weitergezogen wird oder nicht», sagt Mediensprecher Markus Pfanner.
Auf die grundsätzliche Umnutzung des Areals habe der Entscheid keinen Einfluss. Aber: «Durch den Rekurs verzögert sich die Realisierung eines Teils des öffentlichen Seeuferparks auf unbestimmte Zeit», sagt Pfanner. Zudem sei nicht auszuschliessen, dass auch der Bau der Schulgebäude für rund 2000 Kantons- und Berufsschüler verzögert wird. Vorgesehen gewesen wäre eine Eröffnung von Schule und Park im Jahr 2031.
Zu Verzögerungen an Land könnte es nun kommen, weil sich die Baustelleninstallationen für die Schulbauten und die Seegrundsanierung dereinst in die Quere kommen könnten. Der Kanton suche dafür jedoch Lösungen.
Freude herrscht derweil bei den Rekurrenten. «Das ist ein wegweisender Entscheid, der die Rechte der Bevölkerung um den Zürichsee hochhält», schreibt die «Lobby für Uetikon» in einer Mitteilung. Das schreibt sie auch, weil die Mitglieder der Lobby als Kläger zugelassen wurden, weil sie gemäss Gericht als Konsumenten von Trinkwasser dazu berechtigt sind. Gemäss Lobby sei es dank des Entscheids jetzt möglich, «zeitnah eine nachhaltige, auf Fakten gestützte Lösung für die Entfernung der belasteten Sedimente im See zu finden». So würden Seeuferpark und Kantonsschule nicht weiter verzögert.
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