Millionenrekord für «Schweizer» CézanneEin Badener Museum empört die Kunstwelt
Das Museum Langmatt stand vor der Insolvenz. Letzte Chance: der Verkauf dreier Meisterwerke von Cézanne. Am Donnerstagabend gingen sie in New York für rund 40 Millionen Franken über den Tisch – ein Tabubruch.
Kurz vor neun Uhr geht im Rockefeller Center in New York der Hammer nieder. Der Auktionator beendet am Donnerstagabend mit diesem Schlag das Bieten um Lot-Nummer 41. «Fruits et pot de gingembre» von Paul Cézanne. Ein berühmtes Bild des französischen Meistermalers. Einer anonymen Person ist «Früchte und Ingwertopf» aus dem späten 19. Jahrhundert 33,5 Millionen Dollar wert.
Damit verschwindet das Bild in einer privaten Sammlung. Nachdem es knapp ein Jahrhundert lang im aargauischen Baden in einer ebenso alten Villa hing. Es ist möglich, dass die Öffentlichkeit dieses gemalte Stillleben nie mehr sehen wird.
Markus Stegmann sitzt am Donnerstagabend im «The James Christie Room», einem prunkvollen Saal im Rockefeller Center. Die Auktion von Christie’s läuft seit über zwei Stunden. Als der Museumsdirektor aus Baden schliesslich die Summe für seinen Cézanne hört, nickt er kurz. Die Schätzsumme des Bildes war 35 Millionen Dollar – Minimum. Aber der Kunstmarkt ist derzeit schwierig, der Krieg in der Ukraine, der Nahostkonflikt. Sammler halten sich zurück. «Wir müssen zufrieden sein mit diesem Erlös», sagt er später.
Zusammen mit den beiden anderen Bildern von Cézanne - «Quatre pommes et un couteau» (8,7 Millionen Dollar) und «La mer à l'Estaque» (2,6 Millionen Dollar) - bringt das Hauptbild aber genug Geld ein. Es sind umgerechnet 40,32 Millionen Schweizer Franken. Ziemlich genau der Betrag, den sich die Aargauer in New York zum Ziel gesetzt haben.
Versprechen für die Zukunft
Die Millionen sind ein Versprechen für die Zukunft. Mit einem Schlag hat das Museum Langmatt seine Existenz gesichert. «Wenn alles normal läuft», sagt Stegmann, «sind wir jetzt für die nächsten Jahrzehnte auf der sicheren Seite.»
Er sei sehr erleichtert, sagt der Museumsdirektor. Die Jahre der Ungewissheit sind vorbei.
Das Museum Langmatt ist untergebracht in einer Villa, die einmal Sidney Brown gehört hatte, dem Bruder des Gründers des Schweizer Technikkonzerns Brown Boveri (später ABB). Das Museum stand kurz vor der Insolvenz. «Es war wirklich ernst», sagt Stegmann. Cézanne war die letzte Rettung. «Doch ich hätte mir gewünscht, es wäre nicht so weit gekommen.»
Der finale Hammerschlag des New Yorker Auktionators sorgt darum bei Stegmann für Erleichterung, aber nicht für Freude. Er weiss, dass er nicht nur Geld erhält, sondern auch etwas verliert. «Ich bin Kunsthistoriker: Die Idee der Erhaltung des Kulturerbes ist in mir.»
Dass ein Museum ein Werk aus seiner Sammlung verkauft, ist selten. Denn der Zweck eines Museums ist es, wichtige Kunst zu erhalten und der Öffentlichkeit zuzuführen. Der Entzug ist ein Tabu.
«Das ist eine eindeutige Verletzung unserer Charta.»
Tobia Bezzola, Präsident der Schweizer Sektion des Internationalen Museumsrats Icom, sprach gegenüber dieser Zeitung «von einem absoluten No-go». Die ethischen Richtlinien der Icom würden es den Museen verbieten, Teile ihrer Sammlungen zu verkaufen. «Was das Museum Langmatt macht, ist eine eindeutige Verletzung unserer Charta.»
Internationale Medien berichteten über den Fall aus Baden. Zu Wort kam auch Alfred R. Sulzer, früherer Präsident der Stiftung Langmatt - und Grossneffe von Jenny Brown-Sulzer. Der Nachkomme der bedeutenden Kunstsammlerin kämpft seit Jahren gegen den Verkauf. Auch juristisch. Bisher erfolglos.
Zum abgeschlossenen Deal in New York will sich Sulzer nicht äussern. Der gut vernetzte Kunstkenner sagt nur: «Der Imageschaden fürs Langmatt ist gross. Und ich hoffe, dass dieses Beispiel nicht Schule macht.»
Eine andere Dimension
Rechtswidrig ist die Aktion des Aargauer Museums nicht. Es kam in den letzten Jahren immer wieder mal vor, dass ein Museum ein Werk verkauft. Meist wird aber damit der Kauf eines anderen Werks finanziert. Oder wie im Fall des Berner Kunstmuseums: die vertiefte Provenienzforschung ermöglicht.
Der Fall Langmatt jedoch hat für die Kunstwelt eine andere Dimension, eine tiefgreifende. In Baden wird schlicht ein zentrales Stück der Sammlung verkauft, um die Zukunft der ganzen Institution zu sichern.
Selbst die «New York Times» widmete sich diesem Fall und berichtete vom umstrittenen Rettungsversuch des «swiss museum».
«Wir hatten wirklich keine andere Wahl mehr.»
Die Aktion stellt Grundsätzliches infrage: Wie stark muss die öffentliche Hand solche Institutionen noch stützen, wenn die Rettung in den eigenen Wänden hängt?
Markus Stegmann kennt die Frage. Und er weiss, wie heikel sie ist. Auch sein Museum erhält von der Stadt Baden und dem Kanton Aargau Gelder. Er sagt: «Wir hatten wirklich keine andere Wahl mehr.»
Ein Museum öffnet sich
Vor acht Jahren übernahm der Kunsthistoriker die Langmatt. Er öffnete das luxuriöse Haus mit grossem Umschwung einem breiteren Publikum.
Mittlerweile besuchen jährlich 20’000 Menschen die zu einem Museum umfunktionierte Villa. Doch trotz des Publikumsinteresses, trotz der Unterstützung der öffentlichen Hand: «Es ist uns schon seit Jahren klar, dass wir so nicht durchkommen.»
Das Haus aus der Jahrhundertwende sei noch nie richtig renoviert worden, sagt Stegmann. Allein die baulichen Notmassnahmen für den Unterhalt des denkmalgeschützten Gebäudes verschlangen über die letzten Jahre rund eineinhalb Millionen Franken.
Es gebe private Gönner, führt der Museumsdirektor aus. «Aber das reicht nicht aus.»
Gleichzeitig schreibt der Stiftungszweck vor, dass die Sammlung vor Ort zu bleiben hat und im Kontext der Industriellenfamilie gezeigt werden muss. Einziger Ausweg: der Verkauf eines Bildes. Ein Befreiungsschlag. «Ein einmaliger», wie Markus Stegmann versichert. Das Ziel sei, so etwas nie mehr tun zu müssen, sagt er.
Komplexe Besitzerverhältnisse
Nun geht es darum, die eingenommenen 40 Millionen Franken richtig anzulegen. Mit den Zinsen wollen sie in Baden die Zukunft des Museums sichern. Das Kapital soll nicht angerührt werden.
Bald schliesst das Museum. Denn ab kommenden Frühling startet die aufwendige Sanierung des Gebäudes. Sie kostet 20 Millionen Franken und wird wesentlich auch durch Stadt und Kanton gestützt. Die Wiedereröffnung ist auf 2026 geplant.
Vorher fliesst aber noch ein nicht genau bekannter Prozentsatz der 40 Millionen bereits ab, Insider sprechen von 30 Prozent der Verkaufssumme. Die Besitzverhältnisse des Cézanne-Bildes sind komplex. Der «Ingwertopf» gehörte einst zur Hälfte einem jüdischen Sammler, der ihn in der Nazi-Zeit verkaufen musste.
Im letzten Moment, kurz vor der Auktion in New York, konnten Stegmann und sein Team einen Vergleich mit den Nachkommen des Sammlers erzielen.
Kunst kann kompliziert sein. Sie zu besitzen, noch mehr.
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