Kommentar zur neuen Bührle-AusstellungDas Kunsthaus verneigt sich vor seinem Mäzen
Vor lauter Huldigung des Waffenproduzenten Emil G. Bührle kann sich das Kunsthaus nicht zu einer echten Würdigung der jüdischen Sammler durchringen. Direktorin Ann Demeester hat ihre Feuertaufe nicht bestanden.
Die wichtigste Frage, die sich dem Kunsthaus Zürich seit 20 Jahren stellt, heisst: Wie geht ein grosses Schweizer Kunstmuseum mit der Bührle-Sammlung um, die erstens mit Erlösen aus Waffenverkäufen an Hitler-Deutschland finanziert wurde und zweitens zu einem nicht geringen Teil aus dem Besitz von Juden stammt, die auf ihrer Flucht vor den Nazis Kunstwerke verkaufen mussten.
An dieser Frage ist der langjährige Direktor Christoph Becker gescheitert. Er hat die Bührle-Sammlung ans Kunsthaus geholt, weil er überzeugt war, dass das Kunsthaus damit an Attraktivität gewinnt. Um diese Frage zu beantworten, wurde Ann Demeester als Direktorin gewählt. 13 Monate nach ihrer Amtsübernahme im Oktober 2022 präsentiert sie nun ihre Version der Geschichte in Form einer Neuhängung, die viele Mängel aufweist.
Bei der Entwicklung der neuen Bührle-Schau wurden Fehler gleich reihenweise gemacht. So wurde jener langjährige Sammlungskurator des Kunsthauses Zürich, der 2011 von Christoph Becker angestellt worden war, mit der Neuhängung beauftragt. Die Zeichen waren also von vornherein auf Kontinuität und nicht auf Umbruch gestellt.
Statt eine offene Debatte zu lancieren, werkelte man im Stillen.
Dann gab sich das Kunsthaus eine zu sportlich angesetzte Deadline. Sicher, die seit der Eröffnung des Chipperfield-Baus ausgestellte Bührle-Schau war schon am Eröffnungstag überholt, weil sie zu sehr die Schönheit dieser umstrittenen Bilder in den Vordergrund rückte. Gut, dass etwas Neues kam. Aber in der kurzen Frist von nur einem Jahr konnte man offenbar nur zusammenschreiben, was schon publiziert war. Eigenständige Forschungen und ein Katalog zur Ausstellung lagen einfach nicht drin.
Dann wählte das Kunsthaus als Motto für die neue Ausstellung schon früh die musikalische Metapher der «Polyphonie». Diese ist in der Auseinandersetzung über historische und moralische Verantwortlichkeiten zu Kulturgut, das in Zusammenhang mit der NS-Verfolgung steht, im besten Falle beschönigend.
In Sachen Bührle-Sammlung geht es nicht um verschiedene Haltungen, die man einnehmen könnte, sondern um eine Abkehr von der Besitzerperspektive und eine Hinwendung zu den Opfern des Nationalsozialismus, die ihre Kunstwerte verkaufen mussten. Warum funktioniert man die Ausstellung nicht in einen Gerichtssaal um, in dem man interaktiv mit den Besuchern zusammen herauszufinden versucht, welche Bilder zu Recht oder zu Unrecht in der Sammlung sind?
Warum funktioniert man die Ausstellung nicht in einen Gerichtssaal um?
Das Kunsthaus wollte nie über das Konzept dieser seit einem Jahr geplanten Ausstellung informieren. Statt im Sinne der so oft beschworenen Transparenz eine offene Debatte mit den Museumsbesuchern zu lancieren, werkelte man im Stillen und wehrte alle Fragen zu der neuen Ausstellung ab. Man konnte den Eindruck gewinnen, dass da ein Überraschungspaket geschnürt würde, dessen Inhalt man erst am 3. November, am Tag der Eröffnung der Schau, auspacken darf.
Schliesslich ernannte das Kunsthaus einen Beirat, der die Ausstellung kritisch begleiten sollte. Da waren bei weitem nicht die schärfsten Kritiker der Bührle-Sammlung darunter. Dabei hätte der Beirat, statt als Feigenblatt zu dienen, für historische Genauigkeit und eine zeitgemässe Inszenierung der Schau bürgen sollen.
Aber die Ausstellungsleitung, die sich schon von den Medien nicht in die Karten blicken lassen wollte, zeigte dem Beirat bis kurz vor Schluss nicht, wie in der neuen Bührle-Schau die jüdischen Vorbesitzerinnen und Vorbesitzer, von denen Bührle direkt oder über Vermittler Kunstwerke gekauft hat, gewürdigt werden. Und wie ihre Biografien im Vergleich zu jener von Bührle gewichtet werden.
Vielleicht hätte man sich von den Kunstmuseen in Bern (Gurlitt) und Basel (Glaser) beraten lassen sollen.
Und in der Tat, wenn man auf den Wandtexten die Biografien der Menschen liesst, aus deren Sammlungen die Bührle-Bilder stammen, dann erfährt man nicht mehr, als dass es sich eben um Vorbesitzerinnen und Vorbesitzer handelt. Sie sind in dieser Darstellung keine Personen eigenen Rechts, die bedeutende Rollen im gesellschaftlichen und kulturellen Deutschland einnahmen, bevor sie von den Nationalsozialisten entwürdigt, enteignet, verfolgt und ermordet wurden. Sie sind keine Individuen, deren nicht selten riesige Kunstsammlungen zerstört wurden und deren Bilder heute in alle Winde zerstreut sind. Sie sind blosse Objekte einer Provenienzforschung, die sich nur für die Momente interessiert, in denen eine Person zum Verkäufer wurde.
Der Beirat, der sich vor allem an der Missachtung der jüdischen Kunstsammler in der neuen Ausstellung störte, trat am 13. Oktober geschlossen zurück. Er bescherte dem Kunsthaus einen weiteren Eklat in der von Eklats reichen Geschichte in seinem Umgang mit der Bührle-Sammlung. Vielleicht hätte Ann Demeester sich vor dieser Bührle-Ausstellung von den Kunstmuseen in Bern (Gurlitt) und Basel (Glaser) beraten lassen sollen? Das Resultat der Zürcher Anstrengungen, das seit dem 3. November im Chipperfield-Bau zu sehen ist, erscheint als wenig überzeugend.
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