Cenk testet LebensweisenMein Monat als Macher
Wir haben die Produktivität längst zu einem unserer höchsten Ideale erhoben. Idealerweise sollte ich also versuchen, meine Produktivität zu maximieren. Die Frage ist nur, ob das Maximum gut genug ist.
pro·duk·tiv
Adjektiv
viel (konkrete Ergebnisse) hervorbringend; ergiebig
schöpferisch
Ich habe es getan. Einen ganzen Monat lang versuchte ich, das personifizierte Äquivalent einer Produktivitätsmaschine zu sein. Produktivität war mein Mantra, mein Morgenkaffee, mein nächtlicher Schlummertrunk. Die Frage war simpel: Kann ich einen Monat lang maximal produktiv sein, ohne dabei völlig den Verstand zu verlieren?
Ich muss sagen, eines beherrsche ich mittlerweile sehr gut. Listen erstellen. Von Aufgaben. Das kann ich. Sortieren nach Dringlichkeit. Und Wichtigkeit. Aufteilen auf Wochenpläne. Einteilen in Tagespläne. Unterteilen in Stundenpläne. Einfärben. Ampelsystem. Doch die Umsetzung und der effektive Output – ist eine völlig andere Geschichte.
Die ersten Tage fühlten sich an, als hätte ich Superkräfte. Ich war Der Flash der To-do-Listen. Aber dann, irgendwo um Tag 10, wurde mir klar: Ich bin nicht Der Flash. Ich bin eher ein Typ, der versucht, auf einem Laufband zu rennen, das viel zu schnell eingestellt ist. Denn nach der ersten Woche war die Bilanz ziemlich ernüchternd. Ich hatte zwar einiges erledigt und Projekte vorangetrieben – was ohne die guten Vorsätze ebenfalls liegen geblieben wäre – aber die Diskrepanz zwischen dem, was ich erreichen wollte und was ich tatsächlich abhaken konnte, war grösser als erwartet. Unerreichte Tagesziele hatte ich jeweils auf den nächsten Tag verlegt, und so stauten sich die To-dos. Als ich Ende Woche die komplette Liste betrachtete, schien sie auf einmal endlos.
Bei der Produktivität geht es nicht nur darum, Dinge zu tun. Es geht darum, die richtigen Dinge zu tun.
Gut, ich habe mich vielleicht nebst den wirklich wichtigen Dingen wie Steuererklärungen und Rechnungen auch mit unwichtigen Dingen beschäftigt. Dinge, von denen ich nie gedacht hätte, dass ich sie tun würde. Ich habe zum Beispiel meine Sockenschublade organisiert. Wer macht das? Und warum habe ich so viele einzelne Socken? Wo sind ihre Partner? Soll ich ein Socken-Dating-App-Projekt starten für einsame Socken? Jemand sollte das machen. Meine Liste ist leider schon voll.
Zudem beschloss ich, mein Wohnzimmer mit Pflanzen aufzufrischen. Ich dachte, ein Kaktus wäre pflegeleicht. Leider fielen zwei von ihnen beim Aufstellen um und griffen das Sofa an. Es dauerte Stunden, die Stacheln aus dem Stoff zu ziehen.
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Zumindest habe ich so gelernt, dass es bei der Produktivität nicht nur darum geht, Dinge zu tun. Es geht darum, die richtigen Dinge zu tun. Und manchmal bedeutet das auch, nichts zu tun. Manchmal ist das Produktivste, was man tun kann, einfach mal innezuhalten, durchzuatmen und sich zu fragen: Was mache ich hier eigentlich?
In der Stille der Nacht begann ich, die Grenzen meiner eigenen Produktivität zu hinterfragen. Dabei fiel mir auf, dass dieses Streben relativ starke Auswirkungen auf die jeweilige Tätigkeit selbst hat. Ist es möglich, dass bei all dem Eifer der wahre Sinn der Tätigkeit verloren geht? Weil ich sie nur hinter mich bringen und zur nächsten Aufgabe rennen will, anstatt sie mit Achtsamkeit auszuüben? Könnte es sein, dass wahre Produktivität nicht in der Quantität meiner Taten liegt, sondern in der Qualität? Wir messen den Wert eines Individuums oft an seiner Fähigkeit, Dinge zu produzieren, zu schaffen, zu vollbringen. Doch in diesem unermüdlichen Streben nach Mehr kann man auch den Blick für das Wesentliche verlieren.
So war es alles in allem ein Monat voller Erkenntnisse. Ich habe nicht nur die Grenzen meiner eigenen Produktivität ausgelotet, sondern auch erkannt, dass die Balance zwischen Quantität und Qualität von grosser Bedeutung ist. Produktivität ist so gesehen ein zweischneidiges Schwert. Sie kann zu Höchstleistungen antreiben, aber auch in die Abgründe der Sinnlosigkeit führen – oder gar ins Burn-out. Oberflächlich ging es mir zwar um Tatendrang, Zielsetzung, Zielerreichung, Zeitmanagement und vielleicht noch um eine realistische Selbsteinschätzung. Aber unter der Oberfläche scheint die Produktivität tatsächlich ein Zusammenspiel von Tun und Sein zu sein.
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