Porträt über Cem ÖzdemirDer anatolische Schwabe kehrt nach Hause zurück
Er war Grünen-Chef, ist Landwirtschaftsminister, nun will Cem Özdemir Winfried Kretschmann beerben, den Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg. Das wird schwer – selbst für ihn.

- Cem Özdemir soll die baden-württembergischen Grünen 2026 in die Landtagswahl führen.
- Özdemir eckt mit seinen konservativen Ansichten bei der Bundespartei oft an.
- Der Politiker mit türkischen Wurzeln verlangt mehr Härte bei Migration und Integration.
- In den Umfragen hat die CDU die Grünen weit überflügelt.
Medienleute, die Cem Özdemir dieses Jahr öfters auf Reisen begleiteten, meinen, der Minister aus Berlin schwäble umso mehr, je weiter er in Deutschlands Süden komme. Der 58-Jährige ist in Bad Urach geboren, einem Städtchen auf der Schwäbischen Alb, unweit von Tübingen. Seine Eltern stammten aus der Türkei, sein Vater war Arbeiter, seine Mutter Schneiderin. Fragt man Özdemir nach seiner Herkunft, sagt er gern, er sei ein anatolischer Schwabe.
Als 15-Jähriger trat er den Grünen bei, mit 17 wurde er Vegetarier, Fan des VfB Stuttgart ist er, seit er denken kann. Als Politiker machte sich Özdemir aber in der Ferne einen Namen – in Berlin. Von 2008 bis 2018 führte er als Chef des sogenannten Realo-Flügels die Grünen an. 2021 wurde er Landwirtschaftsminister der Regierung von SPD, Grünen und FDP. Seit Jahren gilt Özdemir als einer der bekanntesten und beliebtesten Politiker Deutschlands.
Für Özdemir würde sich ein Kreis schliessen, persönlich und politisch
Schon lange hiess es, Winfried Kretschmann, der grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg, wünsche sich Cem Özdemir als Nachfolger. Nun ist es öffentlich: Özdemir will die baden-württembergischen Grünen im Frühling 2026 in die Landtagswahl führen. Kretschmann tritt dann, nach 15 Jahren, als Regierungschef des «Ländle» ab. Gelingt es Özdemir, ihm nachzufolgen, schlösse sich für ihn ein Kreis, persönlich wie politisch. Und wie Kretschmann, der als erster Grüner Ministerpräsident wurde, würde er Geschichte schreiben: als erster mit türkischen Wurzeln.
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Der 76-jährige Kretschmann, der wie Özdemir ursprünglich als Pädagoge ausgebildet wurde, ist bei den Grünen ein Solitär: Einst Maoist, gilt der Katholik heute als Inbegriff eines bedächtigen, pragmatischen und wirtschaftsnahen Grün-Konservativen. Ministerpräsident wurde er 2011, weil zwei Wochen vor der Wahl in Japan das AKW von Fukushima in die Luft geflogen war. Seit er regiert, ab 2016 mit der CDU, wurde er immer beliebter. 2021 siegten seine Grünen mit sensationellen 33 Prozent. Sie seien mittlerweile die besseren, moderneren Christdemokraten, fanden im ländlich geprägten Baden-Württemberg viele.
Soll Kretschmanns Amtszeit nicht nur eine Episode bleiben, benötigen die Grünen also einen Nachfolger mit ähnlichem Profil. Einen, der ebenfalls gewählt wird, obwohl er grün ist – nicht weil. Özdemir passt so gut in dieses Schema wie wenig andere Grüne. In der Bundespartei und in Berlin eckte er mit seinen eher konservativen Ansichten zu Themen wie Einwanderung oder Eigenverantwortung oft an. In Baden-Württemberg aber spricht er damit zur Mitte. Seinen Bundestagswahlkreis in Stuttgart gewann er 2021 jedenfalls mit 40 Prozent.

Die zunehmend Grünen-skeptische Mitte hatte Özdemir auch im Blick, als er kürzlich in der konservativen «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» einen langen Gastbeitrag veröffentlichte. Solange die Grünen beim Thema Migration und Integration nicht strenger würden, so seine These, werde man ihnen auch beim Klimaschutz nicht mehr zuhören. Deutschland müsse rigoroser zwischen jenen unterscheiden, die man als Arbeitskräfte brauche, und jenen, die das Land für ihren Schutz bräuchten. Und für alle anderen sei kein Platz.
Am meisten zu reden gab freilich eine Episode, in der Özdemir als Vater sprach. Seine bald erwachsene Tochter, schrieb er, fühle sich in Berlin oft von jungen Männern mit Migrationshintergrund «unangenehm begafft oder sexualisiert». Solche Erfahrungen trieben viele junge Frauen um. Gerade als Politiker mit Migrationshintergrund sei er nicht mehr bereit, darüber zu schweigen, nur weil das Reden darüber vielleicht «den Rechten» nütze, wie in seinen Kreisen immer gewarnt werde.
Linke Grüne warfen Özdemir darauf prompt vor, er stigmatisiere Muslime und leiste dem Rassismus Vorschub. Dabei hatte er in seinem Artikel eigens betont, dass seine Tochter auch schon rassistisch beleidigt worden sei, was genauso inakzeptabel sei. Deutschland gebe Einwanderern viel, schreibt Özdemir – müsse von ihnen aber künftig mehr verlangen: dass sie arbeiteten etwa, Deutsch lernten und sich an die Regeln hielten. Auch wenn er mit solchen Forderungen bei linken Grünen auf Widerspruch stösst, in Baden-Württemberg kann ihm der eigenständige Ton nur helfen.
Die Christdemokraten drängen an die Spitze zurück
Die Aufgabe, die Grünen auch nach Kretschmanns Abgang als stärkste Kraft im deutschen Südwesten zu behaupten, ist nämlich nicht nur anspruchsvoll, sondern eine Art «Mission impossible». In den Umfragen ist die Partei von 33 auf 18 Prozent abgestürzt. Die lange gedemütigten Christdemokraten, angeführt von der 36-jährigen Zukunftshoffnung Manuel Hagel, stehen mit 34 Prozent so hoch wie zuletzt 2016.
Verantwortlich für den Vertrauensverlust, da stimmen die Beobachterinnen und Beobachter vor Ort überein, ist nicht Ministerpräsident Kretschmann, der im «Ländle» immer noch sehr beliebt ist. Sondern die Krise der Grünen im Bund, denen das Regieren mit Sozialdemokraten und Liberalen zunehmend schlecht bekommt.
Die Grünen in Stuttgart haben es aber auch selbst verpasst, Özdemir eine bessere Ausgangslage zu verschaffen. Kretschmann schreckte 2022 davor zurück, zurückzutreten und die CDU zu zwingen, Özdemir als seinen Nachfolger zu wählen. Als Ministerpräsident hätte es dieser 2026 leichter gehabt, sich im Amt zu halten. Nun braucht Özdemir wohl ein Wunder, um es zu erobern – wie 2011 Kretschmann.
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