EU-Parlament hob Immunität aufCarles Puigdemont fühlt sich als politisch Verfolgter
Die Aufhebung der Immunität dreier katalanischer Abgeordneter ist gemäss EU-Parlament eine Formalität.
Aus Barcelona kam «eine Umarmung», aus Madrid ein Stossseufzer. Spanien hat die Entscheidung des EU-Parlaments, drei katalanischen Europaabgeordneten die Immunität zu entziehen, mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Der regierende katalanische Vizepräsident Pere Aragonès kritisierte das Ergebnis der Abstimmung und sicherte Carles Puigdemont, Toni Comín und Clara Ponsatí seine Solidarität zu. Spaniens Aussenministerin Arancha González Laya teilte dagegen mit, als das Ergebnis am Dienstagmorgen bekannt wurde: Die Botschaft sei klar, ein EU-Abgeordneter dürfe seine Stellung nicht ausnutzen, um sich nationalen Gerichten zu entziehen.
Dass der Entzug der Immunität in Barcelona kritisiert wird, überrascht nicht: Der Linksrepublikaner Aragonès ist mit der Bildung einer neuen Regierung in Katalonien beschäftigt, der er als Regionalpräsident vorstehen möchte. Die Separatisten haben bei der Wahl am 14. Februar erneut die absolute Mehrheit der Sitze im katalanischen Parlament errungen. Nun ist es an Aragonès, mit der separatistischen Partei Junts per Catalunya eine neue Koalition auszuhandeln. Und der Kopf von Junts per Catalunya ist trotz seines belgischen Exils Carles Puigdemont.
Vorwurf der Rebellion
Aus Sicht der spanischen Regierung aber ist Puigdemont ein per europäischem Haftbefehl gesuchter Justizflüchtling. Puigdemont war es, der am 1. Oktober 2017 als Präsident der katalanischen Regionalregierung ein Unabhängigkeitsreferendum abhielt, obwohl dieses zuvor vom spanischen Verfassungsgericht verboten worden war. Die spanische Justiz wirft ihm unter anderem Rebellion vor – ein Straftatbestand, der in vielen anderen Ländern nicht existiert und auf den in Spanien lange Haftstrafen stehen. So wurde etwa Oriol Junqueras, damals Puigdemonts Vize, zu 13 Jahren Haft verurteilt.
Zu den grössten Kritikern dieser harten Strafen gehören die Linkspopulisten von Unidas Podemos, die in Madrid der Regierung angehören. Sie stimmten nun brisanterweise gegen die Aufhebung der Immunität. Insgesamt votierten bei den drei Abstimmungen 400 bis 404 Abgeordnete für den Entzug der Immunität und jeweils 247 oder 248 dagegen. Damit waren die Mehrheiten deutlich knapper als bei zwei anderen Immunitätsentscheidungen, die am selben Abend stattfanden. Clara Ponsatí schrieb auf Twitter, dieses Ergebnis gebe ihr Hoffnung und Kraft für den nächsten Kampf.
Haftbefehl könne vollstreckt werden
Trotz der heftigen Diskussionen über eine Begnadigung der in Spanien verurteilten Separatisten begrüsste die Regierung in Madrid am Dienstag die Aufhebung der Immunität. Jetzt könne der europäische Haftbefehl vollstreckt und der Konflikt aus dem internationalen Raum wieder in den nationalen Rechtsrahmen verlegt werden, in den er aus Sicht von Madrid gehört, heisst es aus dem Aussenministerium.
Puigdemont und Comín wurden 2019 ins EU-Parlament gewählt, während in Spanien Verfahren wegen der Organisation des Unabhängigkeitsreferendums gegen sie liefen. Die beiden Politiker leben in Belgien, Clara Ponsatí in Schottland. Spanien beantragte ihre Auslieferung, die Gesuche wurden aber mit Verweis auf die parlamentarische Immunität abgelehnt. Nach der Aufhebung der Immunität behalten die drei Abgeordneten ihre Sitze im EU-Parlament; ob sie tatsächlich nach Spanien ausgeliefert werden, liegt in den Händen der Justiz.
Und hier kann sich das Trio gute Chancen ausrechnen. Zumindest entschied ein Brüsseler Berufungsgericht vor zwei Monaten, dass Lluís Puig – ein weiteres ehemaliges Mitglied der katalanischen Regionalregierung – nicht überstellt werden muss. Die belgischen Strafverfolger beschlossen, das Urteil nicht anzufechten, womit das Ansinnen Spaniens endgültig abgelehnt sein dürfte. Die Richter argumentierten, wegen der aufgeheizten Stimmung sei die Unschuldsvermutung in Gefahr.
Dass sich das Parlament für die Aufhebung der Immunität entschied, hat formale Gründe: Die Strafverfahren hatten begonnen, bevor die drei ins EU-Parlament gewählt wurden, und die Anklage habe «eindeutig keinen Bezug» zu ihrer Tätigkeit als Europaabgeordnete, heisst es in den Beschlüssen. Puigdemont sagte am Dienstag, dies sei «ein trauriger Tag» für das Europaparlament: «Das ist ein klarer Fall von politischer Verfolgung.» Seine Anwälte erwägen, gegen die Entscheidung beim Europäischen Gerichtshof zu klagen.
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