Konflikte im StrassenverkehrBundesrat streicht E-Bike-Nutzern ein Privileg
Immer mehr E-Bike-Fahrerinnen und -Fahrer verunfallen schwer. Nun führt der Bundesrat eine Tachopflicht ein. Die Lenkerinnen und Lenker haben bis 2027 Zeit, ihr Velo nachzurüsten. Das sorgt für Kritik.
Autofahrer müssen in Zukunft stärker vom Gaspedal, als vielen von ihnen lieb sein dürfte. Verschiedene Schweizer Städte planen einen teils massiven Ausbau der Tempo-30-Zonen, so etwa Zürich. Autolenkerinnen, aber auch Töfffahrer müssen sich ans neue Tempolimit halten, ansonsten drohen Bussen. Wer 1 bis 5 km/h zu schnell unterwegs ist, muss 40 Franken zahlen. Bei 6 bis 10 km/h sind es 120 Franken, bei 11 bis 15 km/h sind es 250 Franken. Bei Überschreitungen von 40 km/h und mehr drohen im Extremfall mehrere Jahre Gefängnis.
Auch für Velofahrerinnen und Velofahrer gilt grundsätzlich Tempo 30 – also auch für jene, die ein sogenannt schnelles Elektrovelo fahren. Das sind jene Modelle, die Tretunterstützung bis 45 km/h bieten, über eine gelbe Fahrzeugnummer verfügen und beim Strassenverkehrsamt angemeldet sein müssen. Doch anders als Automobilisten und Töffflenker haben E-Bike-Fahrerinnen und -Fahrer (und alle anderen Velofahrer) in der Praxis einen Vorteil, wenn sie das Tempolimit missachten: Sie dürfen von Gesetzes wegen ohne Tacho unterwegs sein – und können somit im Streitfall argumentieren, nicht gewusst zu haben, wie schnell sie unterwegs gewesen sind.
Damit soll nun Schluss sein. Der Bundesrat führt für schnelle E-Bikes eine Tachopflicht ein. Sein erklärtes Ziel: die Sicherheit im Verkehr erhöhen. So beliebt E-Bikes auch sind: Mit ihnen gibt es auch mehr Unfälle, meist sind es Schleuder- oder Selbstunfälle. Bei den Schwerverletzten stieg die Zahl von 201 (2016) auf 521 (2020), bei den Getöteten von 9 auf 15. Für Fachleute kein Zufall: Bei höheren Tempi verlängert sich der Bremsweg, es bleibt weniger Zeit, um richtig zu reagieren. Gleichzeitig wächst bei höheren Tempi das Risiko für schwere Verletzungen.
Der Bundesrat hat die Verschärfung kurz vor Weihnachten in einer Verordnung verabschiedet. Die Neuerung ist im Grundsatz unbestritten. Für Unverständnis sorgen aber die Übergangsfristen. Für schnelle E-Bikes, die neu in Verkehr gesetzt werden, gilt die Tachopflicht ab dem 1. April 2024. Solche, die bereits auf der Strasse unterwegs sind, müssen bis zum 1. April 2027 nachgerüstet werden. «Das dauert viel zu lange», sagt Nationalrat Thomas Hurter (SVP). «Wir haben leider schon viel zu viele Unfälle mit E-Bikes.» Ein Tacho könne helfen, die eigene Geschwindigkeit besser einzuschätzen und damit die Geschwindigkeit den eigenen Fahrfähigkeiten anzupassen.
Auch Nationalrat Christian Wasserfallen (FDP) findet, das gehe «extrem lange». «Ich weiss nicht, was so schwierig daran sein soll, die Tachopflicht innerhalb eines Jahres umzusetzen.» Bei einer anderen beschlossenen Verschärfung tut der Bundesrat just dies: Ab dem 1. April 2022 müssen sämtliche E-Bikes auch tagsüber mit Licht fahren, also auch jene, die nur Tretunterstützung bis 25 km/h bieten.
Pro Velo begrüsst Verschärfung
Das Bundesamt für Strassen (Astra) begründet die Fristen 2024 und 2027 mit der «Planung und Umstellung der Produktion»; das erfordere Zeit. «So können bereits produzierte Lagerfahrzeuge, die keinen vorschriftskonformen Geschwindigkeitsmesser haben, noch verkauft werden», sagt Astra-Sprecher Benno Schmid. Bei einer kürzeren, nur wenige Monate dauernden Frist wäre dies nicht möglich. «Genügend Zeit» sollen laut Astra auch jene erhalten, die bereits ein E-Bike besitzen.
Anders als die bürgerlichen Politiker hält der Verband Pro Velo Schweiz die Fristen für angemessen. «Die Einführung der neuen Bestimmungen soll so rasch als möglich erfolgen», sagt Christoph Merkli, Leiter Infrastruktur und Politik. «Sie müssen indessen für Produzenten, Importeure und Händler von Elektrovelos angemessen sein.» Inhaltlich unterstützt Pro Velo den Kurs des Bundesrats. Der Verband sieht die Tachopflicht nicht zuletzt als Hilfsmittel, um Konflikte mit nicht motorisierten Velos und Fussgängern zu minimieren. «Auch in verkehrsberuhigten 20er- und 30er-Zonen werden sich die Fahrer von schnellen Elektrovelos an die Limiten halten müssen», sagt Merkli. Im Gegenzug erwartet Pro Velo, dass der Bundesrat die schnellen Elektrovelos nun von der Radwegbenützungspflicht entbindet, wie er dies im Dezember in Aussicht gestellt hat.
Wie strikt die E-Bike-Fahrerinnen und -Fahrer sich an die Tachopflicht halten werden, bleibt abzuwarten. Heute schon fährt laut Branchenkennern ein grosser Teil mit einer Geschwindigkeitsanzeige. Wer ohne unterwegs ist, muss künftig mit einer Ordnungsbusse rechnen. Der Betrag: 20 Franken.
«Es braucht vielmehr eine sichere Infrastruktur»
Offen bleibt vorderhand auch, ob die Tacho- und Lichtpflicht den erhofften Sicherheitsgewinn bringen wird. Aline Trede, Fraktionschefin der Grünen, bezweifelt, dass diese Massnahmen allein ausreichen werden. «Das Hauptproblem sind die Unfälle. Und da braucht es vielmehr eine sichere Infrastruktur, zum Beispiel getrennte Fahrbahnen für Velos.» Nötig sei auch ein gutes Angebot an Weiterbildung, über ein Obligatorium müsse man nun diskutieren: «Viele sind lange nicht Velo gefahren, und mit E-Bike machen sie es wieder.» Und viele Autofahrer und -fahrerinnen würden die Geschwindigkeiten immer noch unterschätzen.
Die Beratungsstelle für Unfallverhütung dagegen taxiert die Tacho- und Lichtpflicht ausdrücklich als Sicherheitsgewinn. Ein Geschwindigkeitsmesser, sagt Sprecher Nicolas Kessler, erleichtere es, die signalisierte Höchstgeschwindigkeit einzuhalten.
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