Zukunft der ZauberformelDer richtige Angriff auf den FDP-Sitz kommt erst
Bundesrat Ignazio Cassis stand so stark unter Druck wie noch nie, hat die Wiederwahl aber geschafft. Doch für seine Partei war das nur das Vorspiel.
Am Schluss ging die Bundesratswahl für die FDP glimpflich aus. Sie konnte beide Bundesratssitze verteidigen, obwohl ihr Anspruch auf den zweiten Sitz so stark umstritten ist wie noch nie. Mit 167 Stimmen schaffte es FDP-Bundesrat Ignazio Cassis bereits im ersten Wahlgang. Eine Zitterpartie mit mehreren Wahlgängen blieb ihm erspart, nicht zuletzt auch, weil die Mehrheit der SP-Fraktion aus Angst um ihre eigenen Sitze den grünen Kandidaten Gerhard Andrey im Stich liess – sehr zum Ärger der Grünen.
Dafür zeigte sich FDP-Präsident Thierry Burkart sichtlich erleichtert: «Das Parlament hat sich für Kontinuität und Stabilität entschieden.» Um den zweiten Sitz langfristig zu sichern, müsse die FDP bei den nächsten Wahlen aber zulegen.
Doch die grosse Frage ist, ob die FDP überhaupt noch vier Jahre Zeit hat, ihre beiden Bundesratssitze mit einem besseren Resultat in den nächsten Parlamentswahlen abzusichern. Cassis, das ältere und das amtsältere der beiden FDP-Bundesratsmitglieder, ist bereits 62 Jahre alt. Im nächsten Wahljahr 2027, auf das Burkart seine Hoffnungen setzt, stünde Cassis bereits jenseits des Rentenalters. Bis dahin wartet auf den Aussenminister eine anspruchsvolle Legislatur mit zähen Verhandlungen mit der EU, an deren Ende eine schwierige Volksabstimmung über ein neues bilaterales Vertragspaket stehen dürfte – eine Volksabstimmung, in der Cassis wohl gegen den geballten Widerstand der SVP und weiterer Kreise antreten muss.
Hält Ignazio Cassis bis 2027 durch?
Hinzu kommt eine sich kontinuierlich verschlechternde geopolitische Lage, die den Aussenminister konstant fordern wird – und in der er ebenso konstanter Kritik aus allen Lagern ausgesetzt bleiben wird. Zudem muss Cassis einen Verteilkampf um die Milliarden für die Ausland- und die Ukraine-Hilfe führen.
2027 wäre Cassis, dannzumal im AHV-Alter, nochmals an der Reihe als Bundespräsident. Das wäre zwar einerseits ein krönender Abschluss seiner Bundesratskarriere, andererseits aber nochmals eine Zusatzbelastung. Bleibt Cassis wirklich so lange im Amt? Hält er so lange durch?
Das ist die Frage, die sich zwischen den Wahlgängen am Mittwoch auch Parlamentarier aus allen Parteien stellten. «Um die zwei FDP-Sitze zu verteidigen, müssen Ignazio Cassis und Karin Keller-Sutter im Amt sitzen bleiben, solange sie Puls haben», spottete ein Mitte-Nationalrat.
Dass gerade ein Mitte-Nationalrat diesen Spruch macht, ist kein Zufall, denn von dieser Seite droht der FDP die viel grössere Gefahr als von den Grünen. Mitte-Ständerat Pirmin Bischof sagt es so: «Wenn Bundesrat Cassis während der Legislatur zurücktritt, würde er seiner Partei ein grösseres Problem verschaffen.»
«Bei einer FDP-Vakanz müssen wir angreifen»
SP, Grüne, GLP und Mitte hätten eine rechnerische Mehrheit, um die SVP-FDP-Mehrheit im Bundesrat zu brechen und der Mitte einen zweiten Sitz zu verschaffen. Dass Mitte-Präsident Gerhard Pfister für seine Partei mittelfristig die Rückeroberung des zweiten Bundesratssitzes anstrebt, machte er wiederholt klar – nur trat die Partei an diesem Mittwoch noch nicht an.
Bei der nächsten FDP-Vakanz hingegen soll die Partei angreifen. Das sagten am Mittwoch zahlreiche Mitte-Parlamentarier. «Falls Cassis während der Legislatur zurücktritt, muss unsere Partei antreten», sagt der Bündner Ständerat Stefan Engler. «Das schulden wir auch unseren Wählenden.» Erst recht gelte dies, wenn die Mitte-Partei bei den Wahlen 2027 ihr diesjähriges Wahlergebnis bestätigen könne.
Die Mitte habe die FDP bei diesen Wahlen nur geschont, weil man keine amtierenden Bundesräte abwählen wolle, sagt auch Mitte-Nationalrat Stefan Müller-Altermatt. «Bei einer FDP-Vakanz müssen wir angreifen.» Legitimiert sei die Mitte dazu, denn bei der Zahl der Parlamentssitze liege sie vor der FDP. Der Solothurner Ständerat Bischof sagt, die Mitte habe «einen zusätzlichen Sitz zugute», falls sie 2027 wieder zulege. Falls Cassis während der Legislatur zurücktrete, müsse man die konkreten Umstände anschauen, ob die Mitte Anspruch erheben werde, findet Bischof.
Die FDP hingegen verwahrt sich bereits jetzt gegen diese Pläne. «Wir sind nach Wähleranteilen die drittstärkste Kraft, und daran ändert sich bis zu den nächsten eidgenössischen Wahlen nichts», sagt der Ausserrhoder Ständerat und FDP-Vizepräsident Andrea Caroni. «Deshalb hätten wir auch bei einer allfälligen Vakanz während der Legislatur weiterhin Anspruch auf den zweiten Sitz.»
Auch das Wahlverfahren steht zur Debatte
Mitte-Fraktionschef Philipp Matthias Bregy will sich zu einer möglichen FDP-Vakanz während der Legislatur nicht äussern. Hingegen möchte er bald mit den Bundesratsparteien zusammensitzen, um die Frage der Zusammensetzung der Landesregierung zu diskutieren. Thematisieren will Bregy auch die Regeln beim Wahlverfahren, die auch dieses Mal wieder für Unmut sorgten. Konkret will Bregy die Zulässigkeit der sogenannten Tickets diskutieren, also die ungeschriebene Regel, wonach die Fraktionen nur Kandidierende wählen, die von der betreffenden Partei offiziell vorgeschlagen werden.
Als mögliches Forum für eine solche Diskussion nennt der Mitte-Fraktionschef die Von-Wattenwyl-Gespräche, die die Bundesratsparteien und die Bundesrätinnen und -räte vierteljährlich führen. Die FDP zeigt sich offen für solche Gespräche, wie Fraktionschef Damien Cottier sagt. Allerdings seien die Von-Wattenwyl-Gespräche der falsche Ort, da die Bundesratswahlen Sache des Parlaments seien und die Regierung nur in der Zuschauerrolle. Zu einem allfälligen Anspruch der Mitte auf den zweiten FDP-Sitz will sich auch Cottier nicht äussern.
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