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Völkermord in Ukraine unter Stalin
Bundesrat äussert sich zu den Millionen Hungertoten

Menschen gedenken am 26. November 2022 in Kiew vor dem Nationalmuseum des Holodomor der Opfer.
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Ein Vorstoss im Nationalrat fordert die Anerkennung der Hungersnot Holodomor 1932–1933 als Genozid. Die grüne Nationalrätin Natalie Imboden hält ein solches Zeichen gerade angesichts des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine für wichtig. Inspiriert wurde ihr Vorstoss vom Deutschen Bundestag, der den Holodomor am 30. November 2022 als Völkermord anerkannte. 

Nun hat sich der Bundesrat zu Imbodens Postulat geäussert. Es sei heute weitgehend unbestritten, dass das stalinistische Regime damals gezielt die ukrainische Bauernschaft habe aushungern und dezimieren wollen, hält der Bundesrat fest. Allerdings sei es äusserst schwer, zu beurteilen, ob es damals einen «spezifisch genozidären Vorsatz» gegeben habe. Dies müsse durch die unabhängige Forschung eruiert werden. Die Hungersnot forderte damals mehrere Millionen Tote. 

Hoffen auf eine Mehrheit im Nationalrat

Imboden bewertet es positiv, dass der Bundesrat den Holodomor als gezielt herbeigeführte Hungerkatastrophe anerkennt. Ebenso begrüsst sie, dass sich die Landesregierung für weitere Forschungsarbeiten ausspreche und damit eine politische Debatte befürworte. Dass der Bundesrat selbst keine Bewertung vornimmt, dafür zeigt die Nationalrätin ein gewisses Verständnis. Denn eine formale Deklaration des Holodomor als Genozid müsse das Parlament vornehmen. Dennoch hätte sie es begrüsst, wenn der Bundesrat das Postulat dem Nationalrat nicht zur Ablehnung empfohlen hätte. Dies zeige, dass der Bundesrat sich bei der Angelegenheit mit einer Stellungnahme nicht exponieren wolle.

Imboden hofft, dass die Anerkennung als Völkermord im Nationalrat eine Mehrheit findet. Ihr Vorstoss wurde von Parlamentarierinnen und Parlamentariern aller Fraktionen unterzeichnet. Wann der Nationalrat über das Postulat abstimmt, ist noch offen. Imboden hofft, dass dies möglichst bald geschieht. Angesichts des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine müsse eine Erinnerungs- und Gedenkkultur für den Holodomor etabliert werden. 

Die grüne Nationalrätin verweist bei ihrer Beurteilung der Hungerkatastrophe auf die Historikerin Anne Applebaum. Sie kam zum Schluss, dass Stalin im Herbst 1932 entschied, die Hungerkrise gezielt gegen die Ukraine einzusetzen. Imboden zitiert in ihrem Vorstoss zudem den polnischen Menschenrechtler Raphael Lemkin, der 1953 die UNO-Konvention gegen Völkermord erarbeitete und den Holodomor als «das klassische Beispiel eines sowjetischen Genozids» bezeichnete.

Bundesrat war bei Armenien noch zurückhaltender

Der Bundesrat zeigt sich bei der Anerkennung von Gräueltaten als Genozid generell zurückhaltend. So verwies er 2002 bei einem nationalrätlichen Vorstoss zur Anerkennung des Völkermordes an den Armeniern darauf, dass die historische Forschung die Massendeportationen und Massaker in der Endphase des Osmanischen Reichs beurteilen müsse. Zudem befürchtete der Bundesrat damals, dass die Beziehungen zur Türkei getrübt würden. Anders als damals rät er diesmal in seiner Antwort dem Nationalrat aber nicht explizit ab, den Holodomor als Völkermord zu bezeichnen. Falls der Nationalrat einen entsprechenden Entscheid fälle, werde er diesen über die üblichen Kanäle weiterleiten, schreibt der Bundesrat. 

Zwei Knaben suchen während des Holodomor Überreste von Kartoffeln.

Der Holodomor (eine Wortkombination von Hunger und Sterben) ist mit rund vier Millionen Toten ein nationales Trauma in der Ukraine. Es prägt das Land und seine Beziehung zu Russland bis heute. Auch weil die Ukrainerinnen und Ukrainer nach dieser Schreckenszeit während sechs Jahrzehnten nicht offen über das Vorgefallene sprechen konnten. Die Erinnerung an die Millionen von Toten wird von Russland in den besetzten Gebieten in der Ukraine auch heute wieder unterdrückt.