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Kurzarbeits­entschädigungen in der Pandemie
16 Milliarden ausgezahlt – und der Bund schaut nicht mal bei der Hälfte genau hin

Die grosse leere in der Zuercher Innenstadt. Aufgrung des Notstandes wurde die Bevoelkerung dazu aufgerufen zu Hause zu  bleiben um die Ausbreitung des Corona-Virus einzudaemmen. Geschlossenes Restaurant im Niederdorf. Tische Stuehle, Gastronomie. Kurzarbeit
26.03.2019.
(URS JAUDAS/TAMEDIA AG)
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Eine Viertelmillion Franken soll ein Ferrari-Händler aus dem bernischen Hinterkappelen dem Staat zurückzahlen, weil er während der Corona-Pandemie Kurzarbeitsgeld für Angestellte bezog – und sie trotzdem voll arbeiten liess. Der Fall ist noch vor Bundesgericht hängig, doch andere kommen möglicherweise ungeschoren davon. Denn der Missbrauch kam während einer Kontrolle am Betriebsort ans Licht. Solche Kontrollen sind aufwendig – und das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) kommt nicht nach.

Mit 16,2 Milliarden Franken hat der Bund in der Pandemie so viel Kurzarbeitsgelder wie nie zuvor ausgeschüttet. Er tat dies, um Unternehmen zu retten, die wenige Tage oder Wochen vor dem Untergang standen. Also musste es rasch gehen. Damit das Geld ohne bürokratische Hürden fliessen konnte, reichten wenige, grobe Angaben. Die Firmen mussten beispielsweise nicht deklarieren, wer nur kurz von Kurzarbeit betroffen ist, sondern durften ausnahmsweise die ganze Abteilung nennen.

Vereinfachtes Verfahren für sehr viele Gesuche

Es ist nicht zuletzt dieses sogenannte «summarische Verfahren», das die Kontrollen aufwendig macht. Dazu kommt die schiere Menge der Bezüge. Über eine Million Menschen arbeiteten während der Pandemie zeitweise reduziert.

In normalen Zeiten, wenn weder Pandemie herrscht noch Wirtschaftskrise, kontrolliert das Seco jährlich die Auszahlungen von Kurzarbeitsentschädigungen bei 50 bis 150 Betrieben. Für die Corona-Zeit hingegen sollten es gegen 5000 sein. Da sind zunächst mal die 2250 Meldungen über vermuteten Missbrauch der Kurzarbeitsentschädigungen, die bei den Arbeitslosenkassen sowie beim Bund eingegangen sind. Zusätzlich hat sich das Seco 2500 Stichprobenkontrollen bei zufällig ausgewählten Betrieben vorgenommen, um dereinst die gesamten Fehler- und Missbrauchsquoten ausweisen zu können.

Weil das die eigenen Ressourcen überstieg, zog das Seco zwei Wirtschaftsprüfungsfirmen bei: Ernst & Young und PricewaterhouseCoopers (PWC). Drei Monate lang wurden im Frühjahr 2021 40 externe Prüfer geschult, die danach ins ganze Land ausschwärmten, wie einem bisher nicht weiter beachteten Bericht der internen Revisionsstelle des Seco vom vergangenen August zu entnehmen ist.

Ab Mitte 2025 ist es für Kontrollen zu spät

Es eilte, denn es gilt eine fünfjährige Verwirkungsfrist, wie der juristische Fachausdruck lautet. Das heisst: Fünf Jahre nach Beginn der jeweiligen Auszahlungen sind die Ansprüche verjährt, der Bund kann nichts mehr zurückverlangen. Ab Mitte 2025 beginnen die Auszahlungen der ersten Welle der Corona-Krise haufenweise zu verjähren. Dann ist es für Kontrollen zu spät.

«Trotz Beizug von Dritten kann das angestrebte Prüfvolumen kaum realisiert werden», warnte die Eidgenössische Finanzkontrolle bereits im Frühjahr 2022. Auch die interne Revision des Seco zeigt sich inzwischen skeptisch. «Risikoorientierte Arbeitgeberkontrollen könnten nicht mehr zu allen Abrechnungsperioden durchgeführt werden, und das Seco wird zurückzufordernde Leistungen nicht anfordern können», schreibt sie.

Die Arbeit der PWC-Prüfer war dem Bund nicht gut genug

Dass es harzt, liegt unter anderem daran, dass eine der beiden Prüfungsfirmen nicht mehr an Bord ist. Die Zusammenarbeit mit PWC wurde im Herbst beendet, wie diese Redaktion in Erfahrung gebracht hat, denn: «Die Kontrollen erweisen sich als komplex, was mitunter ein Grund war, weshalb das Seco die Zusammenarbeit mit einer von zwei externen Treuhandfirmen, welche in seinem Auftrag Kontrollen durchführte, wegen Qualitätsmängeln vorzeitig beendete.»

So steht es im Bericht der Parlamentarischen Verwaltungskontrolle, die im Auftrag der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats die Auszahlungen der Kurzarbeit in der Corona-Krise untersucht hat. PWC wollte dazu unter Berufung auf das Berufsgeheimnis keine Stellung nehmen, vom Seco gab es ebenfalls keinen Kommentar.

Stattdessen wird am Schreibtisch entschieden, ob ein Missbrauch plausibel erscheint und ob die mögliche Rückforderungs­summe den Aufwand überhaupt rechtfertigt.

Um die Aufgabe doch noch rechtzeitig abzuschliessen, liess sich das Seco aber etwas einfallen: Es prüft einen Grossteil der Missbrauchsmeldungen gar nicht erst vor Ort – fragt also nicht bei Arbeitgeber und Angestellten nach und vergleicht deren Angaben. Stattdessen wird am Schreibtisch entschieden, ob ein Missbrauch aufgrund der Meldung plausibel erscheint und ob die mögliche Rückforderungssumme den Aufwand überhaupt rechtfertigt.

Solche Fälle werden dann als «durch analytische Prüfungshandlung abgeschlossen» bezeichnet. Dank diesem Kniff konnte das Seco vergangenen Oktober 1807 abgeschlossene Prüfungen vermelden. Bei mehr als der Hälfte davon allerdings wurde nicht wirklich geprüft. Effektiv am Betriebssitz kontrolliert wurde nur in knapp 800 Fällen. Dabei stellte das Seco in zwei von drei Fällen Fehler in der Abrechnung fest, bei 86 Fällen erfolgte eine Anzeige wegen Missbrauchs.

Ungewiss, ob in der Frist überhaupt alle Meldungen bearbeitet werden können

Die Strategie, auf Hunderte detaillierte Überprüfungen zu verzichten, wurde sehr zum Ärger der diversen Aufsichtsgremien eingeschlagen – von der Eidgenössischen Finanzkontrolle über die Parlamentarische Verwaltungskontrolle, die Finanzkommissionen und die Finanzdelegation des Parlaments bis hin zur Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats. Sie alle mahnen an, das Seco solle vorwärtsmachen. Insgesamt existieren dazu nicht weniger als sechs Berichte.

Das Seco hingegen sieht kein Problem. Der Parlamentarischen Verwaltungskontrolle (PVK) teilte es im Hinblick auf deren Bericht mit, dass es «bis Ende 2025 rund 4500 bis 6000 Prüfungen» abschliessen werde, was die Zweifel der PVK nicht zerstreuen konnte. Es sei «ungewiss, ob innert der fünfjährigen Verjährungsfrist überhaupt alle Meldungen bearbeitet werden können», heisst es in dem Bericht.

Die Anfrage dieser Redaktion wollte das Seco nicht detailliert beantworten. Es hielt lediglich fest, es sei «sich seiner Verantwortung bewusst» und gehe «allen Missbrauchsfällen akribisch nach». Und verwies auf eine Stellungnahme des Bundesrates zuhanden der nationalrätlichen Geschäftsprüfungskommission, die es bis zum kommenden März erarbeiten werde.

Pirmin Schwander, SVP-SZ, spricht zur Initiative "Fuer Freiheit und koerperliche Unversehrtheit" an der Sommersession der Eidgenoessischen Raete, am Mittwoch, 31. Mai 2023 im Nationalrat in Bern. (KEYSTONE/Alessandro della Valle)

Da dem Bund die Zeit davonläuft, werden Parlamentarier langsam nervös. Man habe von Anfang an gewusst, dass beim summarischen Verfahren die Missbrauchsgefahr gross sei, sagt Pirmin Schwander. Es sei nichts anderes als «eine Einladung zum Betrug». Der Schwyzer SVP-Nationalrat hat in verschiedenen Kommissionen immer wieder gründliche Kontrollen angemahnt, denn: «Man kann nicht ein summarisches Verfahren summarisch prüfen.» Und er will weiter am Ball bleiben, wenn er demnächst in den Ständerat wechselt.

Sonst sei der gesetzestreue Bürger der Dumme, so Schwander: «Je mehr Unternehmen merken, dass sie betrügen können, und es passiert nichts, desto weniger halten sich dann ans Gesetz.»

Auch Manuela Weichelt weist darauf hin, dass das Parlament genau deswegen immer wieder verlangt habe, dass die im summarischen Verfahren vergebenen Gelder intensiver geprüft werden. Dass dies nicht geschieht, erklärt sich die Zuger Nationalrätin der Grünen mit einem Interessenkonflikt beim Wirtschaftsdepartement, dem das Seco angegliedert ist: Sein Hauptaugenmerk gelte der Förderung der Wirtschaft, nicht deren Kontrolle. Das zeige sich immer wieder, zuletzt etwa bei der Einhaltung der Sanktionen gegen Russland.

«Es fragt sich insgesamt, inwiefern mit den durchgeführten Kontrollen die angestrebte abschreckende Wirkung gegen Missbräuche erzielt wird.»

Parlamentarische Verwaltungskontrolle

Finanziell bringt es der Arbeitslosenversicherung und dem Seco jedenfalls wenig, missbräuchliche Zahlungen aufzudecken. Die 16 Milliarden Franken wurden nicht aus der Arbeitslosenkasse bezahlt, über die das Staatssekretariat zusammen mit den Sozialpartnern gebietet, sondern aus der allgemeinen Bundeskasse.

Die Rückforderungssumme beläuft sich bis jetzt auf 121 Millionen Franken. Das ist weniger als ein Prozent dessen, was an Kurzarbeitsentschädigungen ausgezahlt wurde. Eigentlich könnte die Summe doppelt so hoch sein: Das Gesetz sieht vor, dass in Missbrauchsfällen bis zum Doppelten der ausgezahlten Leistungen zurückgefordert werden kann. Doch auch diese Möglichkeit schöpft das Seco nicht aus.

Das finden Politikerinnen von links bis rechts stossend. Manuela Weichelt spricht von einem «Skandal». Pirmin Schwander weist darauf hin, dass er selbst dann gebüsst werde, wenn er sein Auto unabsichtlich zu lang im Parkverbot stehen lasse. Sogar die Parlamentarische Verwaltungskontrolle, die sich sonst zurückhaltend auszudrücken pflegt, findet deutliche Worte: «Es fragt sich insgesamt, inwiefern mit den durchgeführten Kontrollen die angestrebte abschreckende Wirkung gegen Missbräuche erzielt wird.»