Was wir lesenWie ich lernte zu arbeiten
«Learning to Work», geschrieben von der Wissenschaftlerin Virginia Valian, ist einer der grossartigsten Texte über das moderne Arbeitsleben.
«In diesem Aufsatz beschreibe ich ein bestimmtes Problem mit der Arbeit, seine Symptome und deren Heilung. Es ist ein Luxusproblem. Es handelt davon, nicht arbeiten zu können, aber nicht aufgrund von externem Druck wie fehlender Zeit, sondern aufgrund von internen Problemen, die durch äusseren Druck verschärft oder kaschiert werden .»
So beginnt einer der grossartigsten Texte über das moderne Arbeitsleben – «Learning to Work» –, geschrieben von der Wissenschaftlerin Virginia Valian. Erschienen ist er im Sammelband «Working it out», in dem dreiundzwanzig Frauen ihre Beziehung zu Erwerbsarbeit untersuchen. Der Band ist bereits etwas älter, er ist 1977 erschienen, ein Jahr nach meiner Geburt. Aber er hat im Gegensatz zu mir weder an Relevanz noch an Frische verloren.
Valian beschreibt in ihrem Aufsatz, wie sie nicht mehr in der Lage war, an ihrer Doktorarbeit zu arbeiten. Es war eine diffuse Lähmung, die darin bestand, Angst zu haben vor dem Zeitpunkt, an dem das Projekt fertig sein wird (Was soll ich dann machen? Werde ich je wieder eine Aufgabe anvertraut bekommen?), und davor, dass die Aufgabe nie enden wird.
Ein Zustand, den ich kenne: Am Ende eines Arbeitstages habe ich oft keine Ahnung, was ich eigentlich gemacht habe, ich weiss nur, dass ich nichts erreicht habe und doch erschöpft bin. Und es ist auch nicht so, dass ich anstelle dessen, was ich hätte tun wollen, etwas anderes Sinnvolles erledigt hätte – ich habe einfach nichts erledigt.
Die Lösung, die Valian für sich fand, bestand darin, täglich fünfzehn Minuten an ihrer Dissertation zu schreiben.
Wenn Sie gerade mit den Augen rollen, wissen Sie, wie man arbeitet. Wenn Sie aber nachdenklich genickt haben, dann lesen Sie weiter.
Eine Viertelstunde klingt nach nichts. Aber es ist nicht nichts. Man kann erstaunlich viel erledigen, wenn man dann konzentriert an einer Sache arbeitet. Zugleich ist es aber auch nicht endlos. Fünfzehn Minuten sind überschaubar. Sie sind ein kleiner Schritt. Und wenn man einen Schritt schafft, schafft man vielleicht noch einen. Wenn man so will, besteht jede Aufgabe, wie endlos sie auch scheinen mag, aus einer Aneinanderreihung von vielen fünfzehn Minuten.
Das ist kein brandneuer Ratschlag. Es ist eine Strategie, die man schon vom Wandern kennt: Wenn man auf grosse Ziele mit kleinen Schritten zugeht, verliert das Ziel etwas von seiner Unerreichbarkeit.
Ich brauchte genau fünfzehn Minuten, um den Aufsatz zu lesen. In den fünfzehn Minuten lernte ich nicht zu arbeiten. Aber es war ein erster Schritt in die richtige Richtung.
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