Was wir lesenDieses Buch ist eine Einstiegsdroge
«Der Frauenleib als öffentlicher Ort» der Historikerin Barbara Duden zeigt, wo die Stärke postmodernen Denkens liegt.
Meine Einstiegsdroge in postmodernes Denken war «Der Frauenleib als öffentlicher Ort» von Barbara Duden. Duden ist eine deutsche Historikerin, und im Buch beantwortet sie die Frage, wie der Fötus zum Sinnbild für das Leben überhaupt werden konnte.
Dafür zeichnet sie nach, wie in den letzten tausend Jahren immer wieder versucht wurde, das Ungeborene für Menschen zugänglich zu machen, die selbst nicht gebären: «Schritt für Schritt haben erst die Hände des Geburtshelfers, dann das Stethoskop, dann die Röntgenstrahlen und jetzt das Ultraschallgerät den körperlichen Innenraum der Frau besetzt und einem öffentlichen, nicht geschlechtsgebundenen Blick freigegeben.» So wurde die Deutungshoheit der Schwangeren über den eigenen Körper in dem Mass abgebaut, wie jene von Gynäkologen und anderen Experten zugenommen hat.
Duden erzählt nicht nur die Geschichte dieser Technologien der Sichtbarmachung, sie analysiert auch historische Erfahrungsberichte von Frauen (die leider nur sehr spärlich vorhanden sind). Dabei geht sie nie davon aus, dass die Menschen früher einfach etwas nicht gewusst haben, was wir heute wissen, oder dass ein persönlicher Bericht einer Frau über ihre körperlichen Vorgänge eigentlich etwas ganz anderes meinte. Wie ernst Duden bislang marginalisierte, längst vergangene Stimmen nimmt, ist, was mich so beeindruckt hat.
Später habe ich verstanden, dass genau darin die Stärke postmodernen Denkens liegt: dass man jede autoritäre Interpretation hinterfragt. Insbesondere die eigene. Diese Fähigkeit ist aber nicht nur für die Geschichtsschreibung eine Tugend, sondern (und vielleicht fast noch mehr) für den politischen und persönlichen Alltag. Denn es ist immer fortschrittlich, wenn man dem Gegenüber nicht von vornherein unterstellt, was es eigentlich fühlt, denkt, will oder ist.
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