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Abschiebungen nach Ruanda 
Britische Aktivisten wollen ersten Flug in letzter Minute verhindern

Mithilfe eines umstrittenen Pakts mit Ruanda will Grossbritannien illegal eingereiste Flüchtlinge auf Distanz halten: Menschen demonstrieren gegen die Abschiebungen in London. (12. Juni 2022)
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Einen Tag vor dem ersten geplanten Abschiebeflug von illegal ins Land gekommenen Asylbewerbern nach Ruanda haben britische Aktivisten versucht, das umstrittene Regierungsvorhaben zu verhindern. Am Montag sollte ein Berufungsgericht über die Zulässigkeit der Flüge entscheiden. Dagegen geklagt hatten Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen sowie die Gewerkschaft PCS, die die britischen Grenzschutzbeamten vertritt. Am Dienstag (14. Juni) soll nach Plänen der Regierung der erste Flieger mit Asylsuchenden an Bord Richtung Ruanda abheben.

Ursprünglich sollten 31 Asylbewerber mit einem gecharterten Flugzeug nach Ruanda ausgeflogen werden. Laut der Organisation Care4Calais wurden die Tickets von 20 der Betroffenen inzwischen storniert. Für elf Migranten sei jedoch weiterhin der Abflug vorgesehen, teilte die Organisation auf Twitter mit. Darunter seien vier Iraner, zwei Iraker, zwei Albaner und ein Syrer.

Die britische Regierung hat mit Ruanda ein Abkommen geschlossen, um illegal eingewanderte Migranten im Gegenzug für Zahlungen in das ostafrikanische Land auszufliegen. Auf diese Weise sollen Menschen davon abgeschreckt werden, die illegale Einreise nach Grossbritannien zu versuchen. Am Freitag hatte der britische High Court in einer Eilentscheidung das umstrittene Vorhaben gebilligt. Die klagenden Organisationen legten umgehend Berufung ein, über die am Montag entschieden werden soll.

«Stellen Sie sich vor, Sie werden am Dienstag aufgefordert, etwas zu tun, was sich dann im Juli als illegal herausstellt»

Mark Serwotka, PCS-Gewerkschaftschef

Premierminister Boris Johnson verteidigte am Montag im Radionsender LBC erneut das Abkommen. «Es ist sehr wichtig, dass die kriminellen Banden, die das Leben von Menschen im Ärmelkanal aufs Spiel setzen, verstehen, dass ihr Geschäftsmodell zerstört wird», sagte er mit Blick auf Schlepperbanden.

PCS-Gewerkschaftschef Mark Serwotka wies darauf hin, dass der High Court im Zuge seiner Entscheidung von Freitag eine umfassendere Anhörung über die Rechtmässigkeit des gesamten Vorhabens für nächsten Monat angesetzt habe. «Stellen Sie sich vor, Sie werden am Dienstag aufgefordert, etwas zu tun, was sich dann im Juli als illegal herausstellt», sagte er am Sonntag dem Sender Sky News mit Blick auf die Grenzschutzbeamten, die für die Abschiebeflüge zuständig sind. «Das wäre eine entsetzliche Situation.»

Menschenrechtler bezweifeln sichere Asylverfahren

Die britische Innenministerin Priti Patel hatte ihren Ruanda-Pakt im Frühjahr verkündet. Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR und viele andere reagierten empört und verwiesen darauf, die Briten könnten sich nicht von ihrer Pflicht freikaufen, Hilfesuchende aufzunehmen.

Ähnlich sieht es der ruandische Oppositionspolitiker und ehemalige Präsidentschaftskandidat Frank Habineza. «Die reichen Länder sollten ihre Verpflichtungen gegenüber Flüchtlingen nicht auf Drittländer abschieben, nur weil sie das Geld haben, Einfluss auszuüben und ihren Willen durchzusetzen», kritisierte er. Der kleine Staat an den Grossen Seen gehöre bereits zu den besonders dicht bevölkerten Ländern Afrikas – mit Konflikten um Landbesitz und Rohstoffe. Die Aufnahme von Migranten aus Grossbritannien werde die Probleme verstärken, befürchtet Habineza.

Mehrere Flüchtlingsorganisationen und eine Gewerkschaft der Grenzbeamten haben im Namen der Betroffenen gegen den Plan der britischen Regierung geklagt. Es gebe keinerlei Belege dafür, dass die Betroffenen in Ruanda ein sicheres Asylverfahren zu erwarten hätten, sagte Raza Husain, Anwalt der Kläger, am Freitag bei einer Anhörung in London.

Das UN-Flüchtlingshilfswerk bekräftigte seine Bedenken. Man fürchte «ernsthafte, unwiderrufliche Schäden», die die Flüchtlinge in Ruanda erleiden könnten, sagte eine Anwältin der Organisation. Anders als vom britischen Innenministerium suggeriert, unterstütze man die Pläne in keinerlei Hinsicht. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch verwies auf Menschenrechtsverletzungen in Ruanda, das von Langzeitpräsident Paul Kagame mit strenger Hand geführt wird.

Sogar Thronfolger Prinz Charles, der in Kürze zu einer Commonwealth-Veranstaltung nach Ruanda reisen wird, soll in privaten Gesprächen seinen Unmut geäussert und die Pläne der britischen Regierung als «erschreckend» bezeichnet haben, wie die «Times» am Samstag unter Berufung auf Insider-Quellen berichtete. Seine Residenz Clarence House erklärte auf Anfrage der Zeitung, der Prinz sei politisch neutral – dementierte die Äusserung jedoch auch nicht.

Das britische Innenministerium hingegen ist überzeugt, das Richtige zu tun. Es gebe ein «grosses öffentliches Interesse daran, diese Abschiebungen wie geplant durchzuführen», hiess es in einer Stellungnahme der Anwälte des Ministeriums. Migrationsexperte Jonathan Portes ist davon nicht überzeugt. Die Briten machten sich derzeit Sorgen über die Lebenshaltungskostenkrise und andere Fragen. Migration komme erst «sehr weit unten auf der Liste», sagte Portes.

Ein frisch renoviertes Hotel und eine Reihenhaussiedlung für die Neuankömmlinge 

Doch wie bereitet sich Ruanda auf die Neuankömmlinge vor? Im Mai präsentierte die Regierung bereits die künftigen Unterkünfte der Asylsuchenden: Ein frisch renoviertes Hotel mit Pool etwa und eine Reihenhaussiedlung, in der zuvor Überlebende des Völkermords von 1994 untergebracht waren. Die bisherigen Bewohner der schmucken Häuschen mit roten Ziegeldächern mussten sich eine neue Bleibe suchen.

Ruanda hatte von Grossbritannien zunächst 120 Millionen Pfund erhalten, ausserdem soll es Geld für Verpflegung und Ausbildung geben, denn die Flüchtlinge werden in Ruanda das Recht zum Arbeiten haben. In Kigali löst das gemischte Gefühle aus: Manche glauben, die Flüchtlinge werden eine unwillkommene Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt sein, andere sehen sie als Devisenbringer und mögliche Kunden oder Geschäftspartner. Bugirainfura Rachid, Betreiber eines kleinen Supermarkts im Stadtviertel Gasabo, in dem die Flüchtlinge untergebracht werden, freut sich auf die Ankömmlinge: «Diese Leute werden Geld in unsere Wirtschaft bringen», ist er sicher. «Ich denke, dass sie mich als Kunden meines Geschäfts unterstützen werden.»

Ein anderer Anwohner sieht Probleme aufziehen: Die Ankömmlinge seien nicht vertraut mit der ruandischen Kultur, beherrschten nicht die Sprache und ihre Integration werde schwierig sein. Andere kritisieren nicht nur den Flüchtlingsdeal, sondern fürchten ein Verstummen, wenn es um Kritik an Menschenrechtsverletzungen in Ruanda geht. Grossbritannien gehöre zu den grossen Geberländern – und mit dem Abkommen habe sich womöglich nicht nur das Königreich von unerwünschten Flüchtlingen freigekauft, sondern auch Ruanda von zuvor geäusserter Kritik, meint etwa Ntakandi Benjamin. «Diese Art Abkommen gibt der Regierung eine Art Schutz davor, verantwortlich gemacht zu werden.»

AFP/SDA/aru