Zürich zahlt zu wenig GenugtuungBundesgericht gibt Brian Keller einmal mehr recht
Für drei Wochen härteste Isolationshaft sprach der Kanton Zürich Brian Keller 1000 Franken Genugtuung zu. Für das oberste Schweizer Gericht zu wenig.
Keine Matratze und keine Decke, weder Zahnbürste noch Duschmöglichkeit, nur mit einem Poncho bekleidet und rund um die Uhr in Fussfesseln: So sahen die Bedingungen aus, unter denen der heute 28-jährige Brian Keller im Januar 2017 fast drei Wochen lang im Bezirksgefängnis Pfäffikon in Einzelhaft schmoren musste.
Für diese nicht menschenrechtskonforme Behandlung hat ihm das Zürcher Bezirksgericht eine Genugtuung von 50 Franken pro Tag, insgesamt also 1000 Franken, zugesprochen. Ein Entscheid, den das Obergericht stützte. Doch nun hat das Bundesgericht dieses Urteil gekippt. Die Genugtuung sei «für den erlittenen Unbill» willkürlich zu tief angesetzt.
Die Zürcher Behörden begründeten das rigide Haftregime stets damit, der Häftling habe das Gefängnispersonal massiv bedroht, er sei nicht nur unkooperativ, sondern gefährlich gewesen. Er habe sich die harte Behandlung damit selbst zuzuschreiben. Nach mehreren Klagen und Untersuchungen anerkannten die Zürcher Behörden zwar, dass die Haftbedingungen gegen die Menschenrechtskonvention verstiessen. Aber sowohl das Bezirks- als auch das Obergericht waren der Meinung, das Verbot von unmenschlicher und erniedrigender Behandlung werde «nur knapp» verletzt.
Gefahr rechtfertigt Massnahmen nicht
Das sieht das Bundesgericht anders. 50 Franken seien angemessen, wenn ein einzelner Aspekt der Haft gegen die Menschenrechtskonvention verstosse. Bei Brian hätten aber mehrere ungerechtfertigte und unverhältnismässige Einschränkungen vorgelegen.
Das Gericht kommt zum Schluss: «Die Gefahr einer Sachbeschädigung oder Zweckentfremdung wiegt nicht hinreichend schwer, um dem Gefangenen selbst eine minimale Ausrüstung mit einer Matratze, einer Wolldecke, Unterwäsche oder mit einer Zahnbürste zu verweigern.» Auch habe es keine Notwendigkeit gegeben, Brian die Fussfesseln selbst in der Zelle nicht abzunehmen.
Daran ändere auch die Tatsache nichts, dass der damals 22-Jährige extrem renitent gewesen sei. Ebenso wenig spiele eine Rolle, dass Gefängnismitarbeitende keine Absicht hatten, den Häftling zu erniedrigen oder unmenschlich zu behandeln. Auch in einem solchen Fall hätten die Behörden alles zu unternehmen, um die Haft möglichst menschenrechtskonform zu gestalten.
Das Urteil ist indes nur ein Teilsieg. Weitere, untergeordnete Punkte in Kellers Beschwerde hat das Bundesgericht abgewiesen. Dessen Darstellung, die beiden Zürcher Gerichte hätten den Sachverhalt an sich willkürlich und unvollständig festgestellt, haben die Lausanner Richter zurückgewiesen. Auch sei nicht zu beanstanden, dass die Zürcher Behörden Keller als «Ausnahmehäftling» bezeichneten.
Was angemessen ist, muss das Obergericht entscheiden
Das Obergericht muss nun über die Bücher. Welche Genugtuung angemessen ist, sagt das Bundesgericht nicht. Es hält nur fest, dass aus der Gutheissung der Beschwerde nicht folge, dass die von Kellers Anwälten geforderten 40’000 Franken gerechtfertigt seien. Klar ist aber auch, dass der Betrag deutlich über 1000 Franken liegen muss.
Es ist nicht der erste Entscheid des Bundesgerichts in der Causa Brian Keller, in dem Lausanne die Zürcher Behörden korrigiert. Unter anderem hat sich das oberste Gericht mehrfach kritisch zu Kellers jahrelanger Einzelhaft in der Justizvollzugsanstalt Pöschwies geäussert und letztlich dazu beigetragen, dass der Häftling verlegt wurde. Und es hat den Freispruch für drei Psychiater aufgehoben, die den damals knapp 16-Jährigen fast zwei Wochen ans Bett gefesselt hatten.
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