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Angriff auf Brasiliens Demokratie
Bolsonaro zündelt wieder

Schlussphase einer Präsidentschaft: Jair Bolsonaro bei einem Treffen mit Anhängern in Brasilia am 12. Dezember 2022.
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Der Rauch über Brasilia war noch nicht verflogen, da zündelte Jair Bolsonaro schon wieder. Auf Facebook teilte der rechte Ex-Präsident Brasiliens Mitte der Woche ein Video, das, wieder einmal, von angeblichen Manipulationen bei der Präsidentschaftswahl raunt, obwohl es dafür nicht ein Indiz gibt. Der Linke Luiz Inácio Lula da Silva sei «nicht vom Volk gewählt worden», behauptet ein Sprecher, er sei einfach von der Justiz ins Amt gehievt worden. Ein paar Stunden später löschte Bolsonaro das Video wieder.

Es ist die Strategie, die der brasilianische Rechtsaussen seit Jahren anwendet: Anschuldigungen verbreiten, Tabus brechen, hin und wieder ein wenig zurückrudern. Wozu das geführt hat, war am vergangenen Sonntag zu beobachten, dem Tag, der als «Angriff auf die Demokratie» in die Geschichte Brasiliens eingehen wird.

Ein Mob von rund 3000 «Bolsonaristas», die die Wahlniederlage ihres Idols nicht akzeptieren wollen, verwüstete die wichtigsten Institutionen des Staates in der Hauptstadt Brasilia: den Kongress, den Obersten Gerichtshof, den Präsidentenpalast. Sie zerschlugen Möbel und Computerbildschirme, zerbrachen Scheiben und Skulpturen, manche stahlen Waffen aus den Schränken des Sicherheitspersonals.

Nachträgliches Impeachment-Verfahren ist nicht möglich

Dass Bolsonaro eine politische Mitschuld an den Verwüstungen trägt, da sind sich fast alle Analysten einig. An einem friedlichen Übergang zwischen seiner und Lulas Präsidentschaft zeigte er nie Interesse. Er gestand seine Niederlage nie eindeutig ein und weigerte sich wider die Tradition, seinem Nachfolger bei dessen Amtseinführung die Präsidentenschärpe zu übergeben.

Politische Verantwortung ist das eine. Die Frage aber ist, ob Bolsonaro für die Ausschreitungen von Brasilia belangt werden könnte. Ein nachträgliches Impeachment-Verfahren, wie es – erfolglos – gegen Donald Trump nach dem Sturm auf das Capitol in Washington vor zwei Jahren angestrengt wurde, ist nach Ansicht von Juristen nicht möglich, da Bolsonaro am Tag des Angriffs nicht mehr im Amt war.

Reichen Bolsonaros Äusserungen, um ihn wegen Anstiftung anzuklagen? Und: War er an Organisation oder Finanzierung der Krawalle beteiligt?

Doch er könnte von künftigen Wahlen ausgeschlossen werden, wenn er zuvor rechtskräftig verurteilt würde. Dann dürfte er acht Jahre nicht kandidieren. Im Zusammenhang mit dem Sturm auf Brasilia wurden offiziell noch keine Ermittlungen gegen Bolsonaro begonnen. Doch die Behörden untersuchen vor allem zwei Fragen: Reichen Bolsonaros Äusserungen vor und nach der Wahl, um ihn wegen Anstiftung zu den Ausschreitungen anzuklagen? Und: War er irgendwie an deren Organisation oder Finanzierung beteiligt?

Über die Anstiftung sind sich Juristen uneins. Manche verweisen auf seine vielen hetzerischen Posts, die eine Anklage möglich machten. Andere halten eine Verurteilung für unwahrscheinlich, da ein direkter Zusammenhang schwer belegbar sei. Bolsonaro hatte – anders etwa als Trump vor zwei Jahren – nicht direkt zu den Demonstranten gesprochen, er war an jenem Tag nicht einmal in Brasilia.

Umso spannender dürften die Untersuchungen dazu werden, ob Bolsonaro die Proteste in irgendeiner Weise mitorganisiert hat. Als Schlüsselfigur in dieser Frage kristallisiert sich sein früherer Justizminister Anderson Torres heraus, der – so der Verdacht – im neuen Amt als Sicherheitschef von Brasilia dafür sorgte, dass die Institutionen kaum von Polizisten geschützt waren. Gegen Torres wurde Haftbefehl erlassen – und bei einer Durchsuchung bei ihm zu Hause fand sich ein Dokument, das die Spekulationen um eine politische Verschwörung befeuert.

Bolsonaro-Anhänger verbreiten abstruse Mythen

Es handelt sich um den Entwurf eines Dekrets, mit dem Bolsonaro noch als Präsident den Wahlgerichtshof entmachten und das Wahlergebnis nachträglich hätte ändern können. Torres teilte mit, das Dekret stamme nicht von ihm und sei aus dem Zusammenhang gerissen. Beobachter werten es als starkes Indiz dafür, dass es in der Bolsonaro-Regierung Putschpläne gegen Lula gab.

Bleibt die Frage, ob sich die Wähler nach den Ausschreitungen von Bolsonaro abwenden. Die Politologin und Brasilien-Expertin Mariana Llanos hält das für unwahrscheinlich. «Bolsonaro ist politisch nicht tot», sagt sie. «Viele seiner Wähler glauben den seriösen Medien nicht, sie folgen nur noch Fake News.» In den sozialen Medien werden schon seit Tagen abstruse Mythen verbreitet: Hinter dem Sturm auf Brasilia, heisst es da, steckten keine Bolsonaro-Anhänger. Sondern verkleidete Linksradikale, die Präsident Lula geschickt habe.