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Gewalt in Brasilien
Bolsonaro will mit Schusswaffen das Land sicher machen

Ein Soldat steht Patrouille in einer Favela von Rio de Janeiro. 
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Als Alice Pamplona da Silva starb, war sie gerade mal fünf Jahre alt, und vom neuen Jahr waren erst ein paar Stunden vergangen. Damals, am 1. Januar 2021, sah sich das Mädchen um kurz nach Mitternacht auf einem Hügel in ihrer Armensiedlung gemeinsam mit ihrer Familie das Feuerwerk an, das im Zentrum von Rio de Janeiro abgebrannt wurde. Es knallte und es krachte, auf einmal aber brach Alice zusammen. Verletzung durch Feuerwerkskörper, dachten die Ärzte zuerst, bald aber stellte sich heraus: Eine Kugel hatte das Mädchen getroffen.

Alice wurde zum ersten Schusswaffenopfer Brasiliens 2021, doch während das Jahr für ihre Familie mit der grösstmöglichen vorstellbaren Katastrophe begann, startete es ausgerechnet für die Fans von Pistolen und Gewehren mit einer denkbar guten Nachricht: Wurde früher bei Waffenimporten in Brasilien eine Steuer von 20 Prozent erhoben, ist diese seit 1. Januar komplett abgeschafft. Das heisst auch: Knarren werden billiger, in einem Land, das ohnehin schon zu einem der gewalttätigsten der Welt gehört.

Bolsonaro will die Bevölkerung aufrüsten

Was wie ein Widerspruch klingt, ist für den brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro nur die Fortführung einer in seinen Augen logischen Kampagne zur Aufrüstung der brasilianischen Zivilgesellschaft. Nach der Abschaffung der Importsteuern hat er auch schon längst wieder nachgelegt: Mitte Februar erhöhte Bolsonaro per Dekret die Zahl der Waffen, die Bürger legal erwerben können. Bis zu sechs Waffen dürfen Brasilianer ohne Vorstrafen nun bei sich zu Hause horten, bei Jägern steigt die Zahl auf 30, bei Sportschützen sogar auf bis zu 60.

Schon im
Wahlkampf 2018 hatte Bolsonaro versprochen, das Waffenrecht zu lockern, sollte er gewinnen. Für den rechtspopulistischen Politiker sind Waffen nicht nur ein Bürgerrecht, sondern auch der beste Weg, um Verbrechen und Gewalt zu bekämpfen.

Eine App warnt vor Schiessereien

Die sind in Brasilien omnipräsent: Mächtige Drogengangs bekriegen sich gegenseitig und kämpfen gleichzeitig mit mafiösen Milizen und der Polizei. Während es in der Schweiz Apps gibt, die vor Unwettern warnen, laden sich Brasilianer «Fogo Cruzado» aufs Smartphone: Der Dienst warnt Nutzer mit Push-Nachrichten, wenn es Schiessereien in der Nähe gibt.

60’000 Morde gab es 2017 in Brasilien, dem schwärzesten Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen. Seitdem sind die Zahlen gesunken, auf 40’000 im Jahre 2019. Experten schätzen, dass die Abnahme vor allem damit zu tun hat, dass miteinander verfeindete Drogenbanden die Kämpfe eingestellt haben, weil sie merkten, dass die Gewalt ihrem Geschäft schadet. Bolsonaro aber feiert den Rückgang der Gewalt als einen Beweis für seine Politik.

Viele kaufen Waffen illegal

Denn während die Zahl der Tötungsdelikte seit dem Amtsantritt des Präsidenten abgenommen hat, ist die Zahl der offiziell registrierten Waffen geradezu explodiert: 450’000 Pistolen und Gewehre sind seit 2019 neu hinzugekommen, ein Anstieg um 65 Prozent. 1,2 Millionen Schusswaffen gibt es nun offiziell in Brasilien.

Bei 211 Millionen Brasilianern ist das vergleichsweise nicht viel. Allerdings, und das ist das Problem, sind die legalen Waffen nur die kleine Spitze eines riesigen Bergs aus illegal gekauften Feuerwaffen. Ihre Zahl, schätzt das Forschungsinstitut Insper aus São Paulo, könnte 10- bis 15-mal so hoch sein.

Bewaffnen, um die Macht zu sichern?

Manche Kritiker glauben gar, dass nicht nur Menschenleben in Gefahr sind, sondern die Demokratie. Bolsonaro könnte es nicht nur darum gehen, den Bürgern Waffen in die Hand zu geben, damit diese sich gegen Kriminelle zur Wehr setzen können. Der Präsident wolle seine Unterstützer im Gegenteil vor allem deshalb bewaffnen, damit diese ihm im Zweifelsfall helfen, seine Macht zu sichern, sagen Kritiker wie der linke Abgeordnete Marcelo Freixo.

Nächstes Jahr finden in Brasilien Präsidentschaftswahlen statt. Bolsonaro wird vermutlich wieder antreten. Die Frage ist aber, was passiert, wenn er doch verliert. Wird es zu einem friedlichen Machtwechsel kommen – oder zu Szenen, wie es sie nach den US-Wahlen gab, als das Capitol von Trump-Anhängern gestürmt wurde. Bis heute zählt sich ein Mann zu dessen grössten Fans: Jair Bolsonaro.