Sparen im AsylbereichBillige Willkommenskultur
Der Bund zahlt den Kantonen monatlich 1500 Franken pro Flüchtling aus der Ukraine. Das Geld sollte theoretisch für Wohnung, Essen und Krankenkasse reichen – tut es aber oft nicht.
Sie gehören neu zum Stadtbild. Flüchtlinge aus der Ukraine laufen durch Basel und tragen weisse Papiertaschen, auf denen in roter Schrift «Heiland Sack» geschrieben steht. Die Taschen haben sie von der Foodwaste-Organisation «DaN Basel» erhalten, die Produkte von Grosshändlern und Bäckereien abgeben, die nicht mehr verkauft werden können.
Die soziale Organisation erlebt zurzeit einen regelrechten Ansturm auf ihre Essensausgabe. 450 Menschen seien am letzten Dienstag gekommen, sagt Andreas Schäppi, Vizepräsident von DaN Basel. Zum einen seien das Stammgäste, zum anderen eine immer grösser werdende Gruppe von Menschen aus der Ukraine. Sie stehen eine oder zwei Stunden an, um einen mit Gemüse, Brot und Fleisch gefüllten «Heiland-Sack» zu erhalten.
Ein Grossteil sind Geflüchtete, die von den knappen Zuwendungen der Sozialhilfe leben müssen. Nicht nur in Basel und Baselland. Schäppi weiss auch von Personen aus der Ukraine aus dem Aargau oder dem Kanton Zürich, die nach Basel fahren, um hier umsonst Taschen voller Lebensmittel abzuholen. Sie würden solche Klienten aber abweisen, meint Schäppi – einfach darum, weil sie mit der lokalen Nachfrage nach Nahrungsmitteln kaum noch klarkämen.
Tiefe Mietzinsen
Besonders tief sind die Beiträge der Sozialhilfe für jene geflüchteten Personen, die in grossen Wohngemeinschaften leben. So erhalten Geflüchtete, die zu siebt in einer Wohngemeinschaft mit zwei Schweizer Gasteltern leben, im Kanton Baselland 316 Franken im Monat, was nicht viel mehr als 10 Franken pro Tag ist. Lea Hungerbühler, Präsidentin von Asylex, einer in Zürich domizilierten Organisation, die Geflüchtete in Rechtsfragen berät, sagt: «Geflüchtete werden mit solchen Beträgen ins Prekariat abgeschoben.»
«Geflüchtete werden mit solchen Beträgen ins Prekariat abgeschoben.»
Die finanziellen Probleme gehen über den einzelnen Flüchtling hinaus – es gibt da auch eine strukturelle Komponente. Allein der Kanton Baselland muss beispielsweise Tausende von ukrainischen Flüchtlingen aufnehmen und ihnen eine Unterkunft bieten. Von jeder der 86 Gemeinden wird erwartet, dass sie entsprechend ihrer Einwohnerzahl 2,6 Prozent Asylbewerber aufnimmt, also auch Geflüchtete, die nicht aus der Ukraine kommen. Für eine grosse Vorortsgemeinde wie Oberwil bei Basel mit 11’203 Einwohnern sind das 291 Personen, für die eine vorübergehende oder dauerhafte Bleibe gefunden werden sollte.
Bei der Unterbringung der Flüchtlinge muss stark aufs Geld geschaut werden. Klar wird das, wenn man die Tabelle zur Hand nimmt, auf der die «Mietzinsgrenzwerte» aufgelistet sind, die von den Baselbieter Gemeinden für Sozialwohnungen bezahlt werden dürfen. Die Agglomerationsgemeinde Pratteln, die rund 17’000 Einwohner zählt, hat einen der tiefsten Mietzinsgrenzwerte des Kantons. Maximal 1200 Franken für einen Dreipersonenhaushalt sind da vorgesehen. In Oberwil sind es 1450 Franken.
Das sind Preise, zu denen nur wenige und sehr bescheiden ausgestattete Wohnungen auf dem Markt sind. Kenner des Wohnungsangebots sagen, im Asylbereich würden oft völlig überteuerte Bruchbuden mit alten Laminatböden und verbrauchten Küchen und Bädern angeboten. Lea Hungerbühler von Asylex warnt davor, dass man mit der Anmietung solch billiger Wohnungen einer Ghettoisierung der Geflüchteten Vorschub leiste, die dem Wunsch nach Integration dieser Neuankömmlinge zuwiderlaufe.
Bundesgeld ist knapp
Bezahlt wird die Miete von den 1500 Franken, die der Kanton pro Flüchtling vom Bund erhält. Nehmen wir das Beispiel einer dreiköpfigen Familie aus der Ukraine in Oberwil. Für jedes Mitglied werden bei einer Wohnung, die 1450 Franken im Monat kostet – das ist der maximale Preis, der von der Sozialhilfe bezahlt werden darf –, von den 1500 Franken des Bundes 483 Franken (ein Drittel von 1450 Franken) abgezogen. Dazu kommen die Lebenshaltungskosten von 455 Franken (ein Drittel des Grundbedarfs in einer Individualunterkunft, der bei einer Dreierwohngemeinschaft auf 1364 Franken festgesetzt ist) und die Krankenkasse von 534 Franken (monatlicher Durchschnittpreis für BL gemäss Bundesamt für Gesundheit).
Alles zusammen ergibt das 1472 Franken. Die Gemeinde gibt also allein für die drei Ausgabenschwerpunkte Wohnen, Essen und Gesundheit fast den gesamten Betrag aus, der für einen Geflüchteten vom Bund bereitgestellt wird. Sobald unvorhergesehene Ausgaben anfallen, müssen die Gemeinden selbst für die Kosten aufkommen. «Die Kantone sollten Beträge auszahlen», sagt Hungerbühler, «die den Geflüchteten ein würdiges Leben ermöglichen. Es geht darum, dass die Geflüchteten nicht marginalisiert, sondern möglichst schnell in die Gesellschaft und Wirtschaft integriert werden. Es geht beispielsweise überhaupt nicht, dass gewisse Gemeinden oder Kantone sich eine Zahnreparatur bei Geflüchteten sparen, indem sie ihnen einfach den schmerzenden Zahn ausreissen lassen.»
Sie weist darauf hin, dass im Asylwesen auf Bundesebene gerade die Vernehmlassung für eine Gesetzesrevision abgeschlossen wurde, die den Kreis jener Ausländergruppen, die bloss eine reduzierte Sozialhilfe erhalten, noch vergrössert. Dabei schreibe die Bundesverfassung vor, dass den Unterstützungsbedürftigen ein würdiges Leben ermöglicht werden solle, sagt Hungerbühler.
Was nun den Kanton Baselland betrifft, ist in den letzten Wochen eine steile Lernkurve zu beobachten. Die Zuwendungen an ukrainische Flüchtlinge und namentlich ihre Gastfamilien, die bisher äusserst bescheiden waren, sollen erhöht werden. Bisher war es den Gemeinden freigestellt, ob sie den Gastfamilien pro Flüchtling 100 Franken pro Monat überweisen. Dieser Beitrag ging zuerst an die Flüchtlinge, die aufgefordert wurden, ihn dann an ihre Gastfamilien abzugeben.
Nun sollen die Gastgeber von Amtes wegen für den ersten Gast 250 Franken erhalten, für den zweiten und dritten Gast je 150 Franken. Ab vier Personen sollen pauschal 670 Franken ausbezahlt werden. Diese Beträge sollen zudem nicht wie bislang den Flüchtlingen, sondern den Gastfamilien direkt zugutekommen, die sie dann immer noch an die Flüchtlinge weitergeben können.
Teilnahme am sozialen Leben
Auch der Grundbedarf der Asylsozialhilfe für ukrainische Flüchtlinge, die in einer grossen Gastfamilie wohnen, soll erhöht werden. Gab es bis jetzt ein degressives Modell, bei dem die Beiträge bei grösseren Wohngruppen immer kleiner werden, sollen neuerdings einheitliche Beiträge pro Kopf oder pro Unterstützungseinheit (zum Beispiel Mutter mit Kind) ausgerichtet werden.
«Aber auch so sind wir noch weit entfernt von jener Gundbedarfsicherung, die einem geflüchteten Menschen erlaubt, ein würdiges Leben zu führen», sagt Lea Hungerbühler. Würdig sei das Leben einer geflüchteten Person erst dann, wenn sie am wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben teilnehmen könne.
Da die Ausgaben für diese Aktivitäten ebenfalls unter die Kategorie «Grundbedarf» fallen, wird es in jedem Fall knapp. Denn die 400 bis 500 Franken im Monat müssen den Flüchtlingen für «Nahrung, Kleidung, persönliche Auslagen, Haushaltsverbrauchsmaterial, Post, Telefon, Radio- und Fernsehgebühren, Elektrizität, Gas, Kehrichtgebühren, Transportkosten sowie Prämien für Hausrat- und Haftpflichtversicherung» reichen.
In der Schweiz muss sich also der Flüchtling nicht wundern, wenn ihm schon im ersten Monat eine Serafe-Rechnung ins Haus flattert, egal, ob er den Fernseher braucht oder nicht.
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