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Unterbrochene Lieferketten
Bier, Speck, Medikamente: In Grossbritannien fehlt Alltägliches

Britische Mangelwirtschaft: Lange Auto- und Lastwagenkolonne vor einer Tankstelle in Ashford, Kent.
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«Shortage» ist das Wort der Stunde im Vereinigten Königreich, «Engpass». Es gibt in Grossbritannien derzeit bemerkenswert viele Engpässe in vielen verschiedenen Bereichen des täglichen Lebens, manche davon deutlicher, andere weniger deutlich spürbar. Der Brexit? Habe damit nichts zu tun, behaupten Boris Johnson und seine Regierung, auch bei der Parteikonferenz der Konservativen dieser Tage in Manchester. Wie ist also die Lage im Land? Ein Überblick:

Truthähne

Die Briten essen an Weihnachten gern Truthahn. Acht bis neun Millionen Truthähne würden jährlich an Weihnachten konsumiert, sagte Richard Griffiths der «Financial Times». Er ist der Chef des British Poultry Council und damit so etwas wie der oberste Geflügelfunktionär Grossbritanniens. Der Grossteil dieser Truthähne kommt, ganz nach dem Geschmack der Brexiteers, von britischen Farmen. Aber denen fehlt derzeit das Personal, die grossen Firmen mussten ihre Produktion bereits um ein Fünftel reduzieren. Und deshalb, Ironie der Geschichte, müssen nun Truthähne aus der EU importiert werden. «Die meisten werden wohl aus Polen oder Frankreich kommen», fürchtet Griffiths. Dass die Menschen stattdessen etwas anderes essen, zeichnet sich nicht ab, auch wenn die EU-Truthähne wohl teurer sein werden. Schon jetzt stiegen die Truthahnbestellungen im Vergleich zum Vorjahr um 230 Prozent.

Benzin

Geschlossene Tankstellen, lange Schlangen vor den geöffneten: Das sind die Bilder aus Grossbritannien, die seit Tagen zu sehen sind. Die Lage ist mitunter grotesk, viele Autofahrer fahren getrieben von der Panik, kein Benzin mehr zu bekommen, öfter tanken als sonst – von einem Anstieg der Tankstellenfahrten um 170 Prozent im Vergleich zum Normalmass wird berichtet. In vielen Städten wird immer noch rationiert, in Liverpool etwa darf man für maximal 20 Pfund auftanken, denn: Es mangelt an vielen Tankstellen weiterhin an Benzin. Rund 100’000 Lastwagenfahrer fehlen der britischen Wirtschaft derzeit, und von denen, die noch da sind, setzen sich inzwischen viele lieber hinter das Steuer von Supermarkt-Lastwagen. Dort werden sie ja auch dringend gebraucht, und die Supermarktketten zahlen besser als die Tankstellenbetreiber.

Speck

Am Montag versammelten sich Demonstranten vor dem Tory-Konferenzzentrum am St Peter’s Square in Manchester, viele von ihnen Schweinebauern, manche trugen Schweinemasken. «Save Our Bacon», stand auf ihren T-Shirts, rettet unseren Speck. Auf einem der Plakate war zu lesen: «Wir müssen das Land füttern, nicht die Mülldeponien.» Derzeit, so berichtete kürzlich Lizzi Wilson vom Nationalen Schweinezüchterverband, würden rund 120’000 bereits geschlachtete Schweine auf den Farmen liegen, und weil es zu wenige Metzger gibt, die die Schweine verarbeiten könnten, müssen viele der toten Tiere womöglich entsorgt werden.

Rund 200’000 EU-Bürger verliessen allein im vergangenen Jahr das Vereinigte Königreich, viele wegen der Pandemie. Der Brexit erschwert die Rückkehr, der Visumsprozess ist inzwischen kompliziert und teuer. Es fehlen nun nicht nur Lastwagenfahrer, sondern eben auch Metzger. Vegetarier mögen das Problem für weniger gewichtig halten, für sehr viele Briten aber ist das Schwein im Gegensatz zum Truthahn eine Ganzjahresmahlzeit.

Unterbrochene Lieferketten in der Wirtschaft: In Grossbritannien herrscht ein Lastwagenfahrermangel.

Weihnachtsbäume

Ungefähr acht bis zehn Millionen Weihnachtsbäume werden im Vereinigten Königreich jedes Jahr verkauft, wie die Vereinigung der britischen Weihnachtsbaumgärtner kürzlich mitteilte. Davon würden etwa eine bis drei Millionen aus Europa eingeführt. Importieren ist aber seit dem Brexit komplizierter geworden und teurer, was jeder regelmässig erfährt, der gelegentlich Sachen in der EU bestellt. Erwartet wird, dass es weniger Weihnachtsbäume gibt in diesem Jahr. Was wiederum die Preise für die verfügbaren Bäume in die Höhe treiben dürfte.

Medikamente

Ein Verband, der 3000 Apotheken in Vereinigten Königreich vertritt, hat am Montag davor gewarnt, dass Lieferungen von Medikamenten in einigen Landesteilen länger dauern könnten als gewohnt. Der Grund für die Verzögerungen einmal mehr: die Spritkrise und ihre Folgen für die Lieferketten. Bislang hätten die Apotheken noch genügend Vorrat, hiess es. Dennoch wurde die Regierung aufgefordert, für «robuste Notfallpläne» zu sorgen, damit die Versorgung mit Medikamenten weiterhin gesichert sei.

Milchshakes

Es war einer der ersten Engpässe in Grossbritannien: Vor einem Monat kündigte McDonald’s an, dass es bis auf weiteres keine Milchshakes in den Restaurants gebe. Als Grund nannte die Fast-Food-Kette den Mangel an LKW-Fahrern. Die sollten nämlich nach dem Willen von McDonald’s lieber Burgerfleisch statt Milchshake-Mischungen liefern. Mittlerweile gibt es Entwarnung: Milchshake stehen seit zwei Wochen wieder auf der Menükarte. Immerhin dieser Engpass ist behoben.

Bier

Zu wenig Benzin, zu wenig Truthähne, zu wenig Weihnachtsbäume, nicht schön, das alles, aber die Briten sind geduldige Menschen. Nur: zu wenig Bier? Es ist kein Klischee, dass viele Briten es lieben, abends im Pub ein Pint zu trinken. Die Pandemie hat das lange unmöglich gemacht, inzwischen sind die Pubs wieder offen, aber was jetzt bisweilen fehlt, ist das Bier.

Noch ist es nicht dramatisch, einer der grössten Pub-Betreiber, Wetherspoons, allerdings liess kürzlich wissen, es gebe Probleme bei bestimmten Biersorten, weil – auch hier – die Lastwagenfahrer fehlten, die das Bier transportierten. Tatsächlich findet man in einigen Pubs bereits abgeklebte Zapfhähne, die meisten Biersorten kommen ja nach wie vor aus den anderen europäischen Ländern. Von Panikkäufen und literweise Bier nach Hause schleppenden Briten ist bislang immerhin nichts bekannt. Noch nicht.