US-Präsident in PolenBiden überwindet Differenzen und sucht Nähe zu Warschau
Der US-Präsident weilt zwei Tage in Polen. Vor Kriegsbeginn hielt er Distanz zur populistischen Regierung, in der Kritiker Parallelen zur Kreml-Politik sehen.
Es war hoher Besuch für den noch vor Kurzem verschlafenen Provinzflughafen Rzeszów-Jasionka im Südosten Polens, als am Freitagmittag die Air Force One von Joe Biden landete. Der US-Präsident begann seine zweitägige Polen-Visite aus doppeltem Grund gerade hier: Zum einen sind in Rzeszów seit Februar mehrere Tausend US-Soldaten der 82. Luftlandedivision stationiert, die auch eine zentrale Rolle bei den amerikanischen Waffenlieferungen an die nur 90 Kilometer entfernte Ukraine spielen dürften. Zum andern sind in Rzeszów etliche der rund 2,1 Millionen Flüchtlinge untergebracht, die bisher über die Grenze aus der Ukraine gekommen sind.
Wie viele von ihnen in Polen geblieben sind, weiss niemand genau: Hunderttausende sind mit Bahn oder Bus, mit dem eigenen Auto oder von polnischen Flughäfen in andere Länder weitergereist. Hunderttausende dürften in Polen bei Verwandten oder Freunden untergekommen sein. Schon vor Beginn des Krieges wurde die Zahl der in Polen lebenden Ukrainer, die Grossteils mit befristeten Visa zur Arbeit gekommen waren, auf bis zu eine Million geschätzt. Weitere Zehn- oder Hunderttausende sind in Turnhallen, Schulen und anderen Notquartieren untergekommen – etwa im Städtchen Przemysł östlich von Rzeszów.
Eigentlich sollte Biden zu Beginn seiner Visite von Polens Präsident Andrzej Duda begrüsst werden, bevor er den in Rzeszów stationierten US-Soldaten für ihren Einsatz dankte. Doch Dudas Flugzeug musste nach technischen Problemen umkehren und in Warschau notlanden. Während Polens Präsident sich mit einem Reserveflugzeug wieder auf den Weg machte, begrüsste Präsident Biden im Friseursalon des Militärs einige US-Soldaten.
Am Abend sollte es für Biden nach Warschau weitergehen, wo er Duda am Samstag wieder treffen wollte. Duda sagte im polnischen Fernsehen, Bidens Besuch zeige, «welche Bedeutung Polen heute hat». Tatsächlich ist Polen nicht nur wegen der Aufnahme der Flüchtlinge und als Waffendrehscheibe zentral. Es ist zudem als Aufklärungszentrale von US-Geheimdiensten über den russischen Krieg einschliesslich Radar- und Funkverfolgung der wohl wichtigste Nato-Standort – und deshalb nun auch Zielscheibe Moskaus. Russlands Ex-Präsident und Ex-Ministerpräsident Dimitrij Medwedew etwa giftete am 21. März, Polen sei eine Marionette der USA, pflege «pathologische Russenfeindschaft» und bestehe aus «politischen Schwachköpfen».
Die Bilder eines Landes, das Hunderttausende Ukrainer mit offenen Armen empfängt, haben die erst wenige Monate zurückliegenden Bilder verdrängt, als polnische Soldaten Flüchtlinge mit Gewalt zurück nach Belarus trieben – während der vom belarussischen Diktator Alexander Lukaschenko und Russlands Präsident Wladimir Putin künstlich geschaffenen Flüchtlingskrise an der polnisch-belarussischen Grenze. Die Krise geht bis heute in geringem Umfang weiter: Erst am Donnerstag hätten wieder 70 Menschen versucht, die Grenze zu Polen «illegal zu überqueren», so der polnische Grenzschutz. Doch es dominieren die Bilder des gegenüber Ukrainern hilfsbereiten Polen. «Unsere Gesellschaft imponiert der Welt wieder – und diese Karte sollten wir ausspielen», sagte Polens ehemaliger US-Botschafter Ryszard Schnepf der Gazeta Wyborcza.
Kritiker sehen Parallelen zur Kreml-Politik
Vor Kriegsausbruch pflegte Präsident Biden Distanz zur nationalpopulistischen Regierung Polens: Biden und seinen Mitarbeitern war die weitgehende Abschaffung einer unabhängigen Justiz ebenso ein Dorn im Auge wie das Vorgehen gegen Schwule und Lesben oder unabhängige Medien – zuletzt sogar gegen Polens grössten privaten Fernsehsender TVN, der US-Amerikanern gehört.
Der Rechtsstaatsabbau geht in Polen unvermindert weiter: Gleichzeitig mit dem Kriegsausbruch entschied etwa das von Polens faktischem Regierungschef Jarosław Kaczyński kontrollierte Verfassungsgericht, Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention («Recht auf ein unabhängiges Gericht») widerspreche der polnischen Verfassung. Die polnische Newsweek-Ausgabe konstatierte vor Bidens Besuch, der harschen antirussischen Rhetorik zum Trotz deckten sich Kaczyńskis Ansichten und Handlungen bei der Beseitigung einer unabhängigen Justiz, bei Medien, Wirtschaft und einer ideologisierten Geschichtspolitik fast vollständig mit der des Kreml.
Biden wollte auch am Samstag ein Zeichen setzen: An einem Besuch bei ukrainischen Flüchtlingen in Warschau soll Polens Regierungssprecher zufolge nicht nur Ministerpräsident Mateusz Morawiecki teilnehmen, sondern auch der Warschauer Oberbürgermeister Rafał Trzaskowski, einer der bekanntesten Oppositionspolitiker. Der US-Präsident will nach einem weiteren Gespräch mit Andrzej Duda am Samstagnachmittag eine Rede in Warschau halten, bevor er zurückfliegt.
Alles klar, Amerika? – der USA-Podcast von Tamedia
Den Podcast können Sie auf Spotify, Apple Podcasts oder Google Podcasts abonnieren. Falls Sie eine andere Podcast-App nutzen, suchen Sie einfach nach «Alles klar, Amerika?».
Fehler gefunden?Jetzt melden.