Rückzug des US-PräsidentenBiden kann das Unvermeidliche nicht abwenden
Nach dem miserabelsten TV-Auftritt in der Geschichte der USA wurde Joe Biden von seiner Partei praktisch fallen gelassen, zuletzt schwenkten auch die Geldgeber der Demokraten um. Nun zieht der Präsident die Konsequenzen.
Joe Biden stellt sich nicht zur Wiederwahl. Das teilte der US-Präsident am Sonntag in einem offenen Brief an das amerikanische Volk mit. Wer an seiner Stelle bei den Wahlen am 8. November gegen den republikanischen Kandidaten Donald Trump antritt, ist offen. Als Favoritin unter den Demokraten gilt Vizepräsidentin Kamala Harris. Aus dem Weissen Haus zieht Biden jedoch einstweilen nicht aus. Er sagte, er wolle bis zum Ende seiner Amtszeit am 20. Januar 2025 Präsident bleiben.
Zuletzt war der Druck auf Biden gewachsen. Es mehrten sich die Stimmen aus der Partei, die forderten, er solle auf eine erneute Kandidatur verzichten, zudem deuteten wichtige Geldgeber an, dass sie die Demokratische Partei nicht länger unterstützen würden, falls diese mit Biden ins Rennen gehe.
Der verheerende Abend
Auslöser der Diskussionen um Biden war dessen Auftritt bei der ersten Präsidentschaftsdebatte mit Donald Trump am 27. Juni. Biden hatte einen verheerenden Abend. Er sprach bisweilen unzusammenhängend, manche Sätze endeten im Nirgendwo. Manchmal stand er einfach da mit offenem Mund und leerem Blick. Für jeden Menschen, der des Mitgefühls fähig ist, war es ein schmerzhafter Anblick.
Noch an diesem Abend kamen die ersten Rücktrittsforderungen auf, und ebenfalls an diesem Abend begannen Biden und seine Familie darum zu kämpfen, die Kandidatur zu retten. Seine Ehefrau Jill Biden gratulierte ihm demonstrativ zu seinem Auftritt.
In den folgenden Tagen bot Biden Erklärungen für das Desaster an, das er beharrlich einen «schlechten Abend» nannte. Er habe eine Erkältung gehabt, hiess es zunächst. Das sollte erklären, warum er sich so oft räusperte und so heiser klang, dass er oft kaum zu verstehen war. Später hiess es, er habe nach einer Europareise noch unter Jetlag gelitten. Allerdings lag diese Reise mehr als eine Woche zurück.
Obamas Zweifel
Zunächst erhielt Biden prominente Unterstützung. So liess zum Beispiel der ehemalige Präsident Barack Obama öffentlich verlauten, dass er an Bidens Seite stehe. Zugleich sickerte allerdings durch, dass Obama im Privaten Zweifel daran geäussert haben solle, dass Biden fit genug für eine zweite Amtszeit sei.
Biden ist 81 Jahre alt. Am Ende einer zweiten Amtszeit wäre er 86 Jahre alt gewesen. Während er bei den Wahlen vor vier Jahren für sein Alter ausgesprochen agil wirkte, ist ihm mittlerweile deutlich anzumerken, dass er den Anstrengungen des Jobs Tribut zollen muss.
Wenn Biden nach seinem Alter gefragt wurde, sagte er stets: «Seht mich an!» Lange sahen die Amerikanerinnen und Amerikaner einen Mann, der sich bisweilen in seinen Sätzen verhedderte, der hin und wieder stolperte und einmal auch vom Fahrrad fiel, aber es war nicht so, dass er senil wirkte. In seinen Sätzen hatte sich Biden auch vor zehn, vor zwanzig und vor fünfzig Jahren schon verheddert. Er wirkte wie ein freundlicher, eben schon etwas älterer Herr.
Das Grummeln wurde immer deutlicher
Doch der 27. Juni hat alles geändert. Mehr als 50 Millionen Zuschauer sahen einen Mann, bei dem man sich nicht fragte, ob er eine zweite Amtszeit anstreben solle, sondern bei dem man nicht sicher war, ob er nicht die aktuelle Amtszeit vorzeitig beenden müsste.
Es war der miserabelste TV-Auftritt eines amerikanischen Präsidenten in der Geschichte, und das will einiges heissen, wenn man an den katastrophalen Auftritt von Richard Nixon beim TV-Duell mit John F. Kennedy im Jahr 1960 denkt. Es war besorgniserregend.
Dreieinhalb Wochen lang hat Biden versucht, das Unvermeidliche abzuwenden. Nur der Allmächtige, sagte er unter anderem, werde ihn von seiner Kandidatur abbringen. In den vergangenen Tagen wurden die Rufe nach seinem Verzicht jedoch immer lauter. Nicht nur sagten immer mehr Abgeordnete der Partei öffentlich, Biden solle den Staffelstab weitergeben, auch im Hintergrund wurde das Grummeln immer deutlicher.
Parteitag am 19. August
Chuck Schumer, Mehrheitsführer im Senat, und Hakeem Jeffries, Minderheitsführer im Repräsentantenhaus, gaben intern ihrer Sorge Ausdruck, dass die Demokraten bei den Wahlen im November ein Desaster erleben könnten, falls Biden erneut antrete. Desaster hiesse in diesem Fall, dass sie nicht nur das Weisse Haus verlören, sondern auch den Senat und das Repräsentantenhaus, was einem wiedergewählten Präsidenten Trump enorme Machtbefugnisse gäbe.
Entweder einigt sich die Parteispitze nun rasch auf eine Kandidatin oder einen Kandidaten, die oder der sich zur Wahl stellen soll, oder es melden mehrere Demokraten Interesse an. In diesem Falle würde die Entscheidung darüber, mit wem die Partei ins Rennen geht, auf dem Parteitag der Demokraten fallen, der am 19. August in Chicago beginnt.
Fehler gefunden?Jetzt melden.