Nebenschauplatz in WashingtonBewaffnete Trump-Anhänger stürmten aufs Gelände des Gouverneurs
Während Chaoten im Capitol in der US-Hauptstadt wüteten, drang eine andere Gruppe im Bundesstaat Washington bis zum Haus des Gouverneurs vor – und posierte dort mit Waffen und Trump-Flaggen.
Es sind Bilder, die für viel Aufruhr hätten sorgen können: Bewaffnete Trump-Loyalisten stürmen am Mittwochnachmittag im Bundesstaat Washington das Grundstück von Gouverneur Jay Inslee und marschieren auf sein Haus zu. Schon die Szenen davor wirken bedrohlich, Dutzende Männer und Frauen rütteln minutenlang am Zaun, welcher das Haus schützt, und skandieren «open the gate», «öffnet das Tor». Alles zu sehen auf einem ungeschnittenen Video, das ein Mann in der Menge am Freitag online gestellt hat.
Einige der Chaoten tragen Tarnanzüge, Schutzwesten und Sturmgewehre. Wie der Mob in der US-Hauptstadt Washington hat die Meute offenbar das Gefühl, dass gerade eine Revolution laufe und sie deshalb den Wohnsitz des Gouverneurs in der Bundesstaats-Hauptstadt Olympia übernehmen könne.
«Open the gate, we are the people», «öffnet das Tor, wir sind das Volk», schreit eine Frau in ihr Megafon, während ein Beamter hinter dem Tor auftaucht. Nach einer kurzen Diskussion an der Türe neben dem Einfahrtstor entfernt sich der State Trooper und redet in sein Funkgerät, um Verstärkung anzufordern. Governeur Jay Inslee ist zu diesem Zeitpunkt im Haus, er wird in Sicherheit gebracht. Ob seine Familie auch anwesend war, ist nicht klar, auch nicht, ob Inslee an einen anderen Ort oder in einen Schutzraum gebracht wurde.
«Wir protestieren friedlich», rufen die Männer, die mit Sturmgewehren in der Hand auf den Wachmann zulaufen.
Kurz nachdem der Staatspolizist verschwunden ist, tritt ein Trump-Anhänger gegen die Eingangstüre für Fussgänger und stellt erstaunt fest, dass diese aufgeht. Die Leute zögern zuerst noch, dann strömen immer mehr Chaoten auf das Gelände und singen «USA, USA, USA». Zuvorderst laufen Männer in Tarnkleidung, mit Militärhelmen, Schutzwesten und Sturmgewehren ausgerüstet.
Plötzlich kommt Unruhe auf, der Mob dreht auf halbem Weg zum Haus wieder um, denn hinter ihnen ist der State Trooper wieder aufgetaucht. Er versucht die Meute aufzuhalten, hat aber gegen die Dutzenden Trump-Anhänger keine Chance. «Erinnere dich an deinen Schwur», schreien ihm die Menschen entgegen. Sie fühlen sich offensichtlich im Recht, sie denken, dass sie im Namen des Präsidenten handeln, und verlangen vom Polizisten, dass er sich auf ihre Seite stellt.
«Wir protestieren hier friedlich», rufen sie dem bemitleidenswerten State Trooper entgegen, während eine Horde von bärtigen weissen Männern mit Sturmgewehren in den Händen in bedrohlicher Manier auf ihn zuläuft. Der Beamte hält seinen Schlagstock vor sich und weicht in Richtung Haus zurück. Während einige versichern, dass sie ihm nichts tun wollen, wird der Mann von anderen Chaoten angegangen – doch sofort gehen Trump-Anhänger dazwischen. Die Mehrheit der Meute will den Polizisten offensichtlich nicht verletzen, zudem filmen mehrere Mitläufer die Szenen mit ihren Smartphones.
Der Beamte fordert die Menge auf, zurückzugehen, er zückt seinen Taser, doch der Mob lässt sich nicht mehr aufhalten. Sie rufen: «We want justice», «wir wollen Gerechtigkeit», und «it starts now», «es beginnt jetzt».
Als sie Polizeisirenen hören, werden die selbst ernannten Revolutionäre plötzlich unsicher.
Die Menge kommt schliesslich vor dem Haus an und postiert sich rund um die Eingangstüre, die der State Trooper nun bewacht. Nach den Bildern aus der Hauptstadt könnte man nun den Sturm des Gebäudes erwarten, doch plötzlich beginnen einige der Menschen zurückzuweichen.
Aus der Ferne sind Polizeisirenen zu hören, die Leute werden unsicher, und die Anführer der Bande haben offensichtlich grösste Mühe, ihre selbst ernannten Revolutionäre bei der Stange zu halten. 15 Minuten lang dauert es noch, bis Spezialeinheiten das Gebäude sichern, 15 Minuten, in denen die Meute immer wieder «our house», «unser Haus» skandiert.
Kaum haben die Einheiten des Sheriff-Office das Haus umstellt, werden diese verbal angegriffen. «Wir haben euch gegen die ‹Black Lives Matter›-Proteste unterstützt und ihr lasst uns jetzt im Stich», ruft ein Trump-Anhänger. Sie hätten die «Blue Lives Matter»-Fahnen getragen, um ihre Unterstützung für die Polizei zu zeigen, und jetzt, da ein Tyrann die Wahl gestohlen habe, mache die Polizei nichts, rufen sie. Man wolle Recht und Ordnung, behaupten die Trump-Loyalisten, die illegal auf das Grundstück eingedrungen sind und mit ihren Waffen posieren.
Die Bilder aus der Hauptstadt machen klar: Der Mob hätte das Haus auch stürmen können.
Die Sicherheitskräfte stehen den verbalen Angriffen stoisch ruhig gegenüber, einige mischen sich aber unter die Gruppe und reden gezielt mit möglichen Anführern. Nach ein paar Minuten Geschrei ziehen die ersten Eindringlinge ab, und ein Mann am Megafon informiert seine Mitstreiter: «Wir haben unseren Punkt klargemacht. Ziehen wir ab, sonst beginnen sie mit Verhaftungen.» Daraufhin löst sich der Mob rasch auf, sie sagen sich in kriegerischer Sprache «let’s live another day», «lasst uns noch einen Tag leben», und die Menschen verlassen das Grundstück auf dem gleichen Weg, auf dem sie rund 30 Minuten zuvor eingedrungen sind.
Die Polizei ist mittlerweile zahlreich anwesend, und kaum sind die letzten Aufständischen durch die Türe, sichern die Beamten den Zaun um das Grundstück ab. Mit den Bildern der Krawalle im US-Capitol im Kopf ist es einfach, sich vorzustellen, wie auch hier Schlimmeres hätte passieren können. Fast zehn Minuten lang war ein Polizist auf sich alleine gestellt – hätte der Mob das Haus stürmen wollen, hätte der State Trooper nichts dagegen tun können.
Wie in der Hauptstadt Washington müssen sich auch die Sicherheitskräfte im Bundesstaat Washington die Frage gefallen lassen, weshalb die Meute nicht besser überwacht wurde. Die Trump-Anhänger versammelten sich zuvor schon vor dem Capitol des Bundesstaates, dort war aber niemand, denn die Politiker tagen erst nächsten Montag wieder. Sie zogen also ein Haus weiter, zum praktisch unbewachten Grundstück des Gouverneurs.
Besonnene Stimmen im Mob konnten die Extremisten zurückhalten.
Das Glück in Olympia war wohl, dass die Gruppe viel kleiner war als die Tausenden Trump-Anhänger, die vom Präsidenten in Washington noch zusätzlich zu einem unkontrollierbaren Mob angestachelt wurden. Und zum Glück waren unter den Revolutionswilligen offensichtlich auch einige gemässigte Stimmen, die Gewalt gegen Beamte sofort unterbanden, die keinen Sturm des Gebäudes zuliessen, sondern lediglich ihre Meinung kundtun wollten. Sie konnten, das ist auf dem Video zu sehen, die Extremisten der Gruppe damit zurückhalten.
Die Bilder aus Olympia, Washington, hätten wohl an einem anderen Tag für Aufsehen gesorgt. Neben dem historischen Sturm des Capitol in Washington D.C. verkam die Aktion allerdings zu einem kleinen Nebenschauplatz. Ein Nebenschauplatz aber, der im Kleinen gezeigt hat, was die Trump-Anhänger denken und wie sie ticken und wie die Grösse und die Dynamik in einem solchen Mob den Unterschied zwischen illegalem, aber noch kontrolliertem Protest und unaufhaltbarem Chaos machen kann.
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