Mit Briefterror und DrohungenWie Staatsverweigerer versuchen, die Behörden zu schikanieren
Ein Berner Arzt lehnt den Staat ab und weigert sich, Steuern zu zahlen. Für Leute wie ihn gibt es auf einschlägigen Kanälen mittlerweile ganze Leitfäden.
Wer den Staat fundamental ablehnt, führt ein Leben mit grossen Widersprüchen. Das zeigt die Geschichte eines Berner Arztes und Multimillionärs. Dieser weigert sich seit Jahren, Steuern zu bezahlen, und nimmt eine Betreibung nach der anderen in Kauf. Weil er im Verdacht steht, Teile seines Vermögens verheimlicht zu haben, läuft derzeit ein Verfahren wegen Pfändungsbetrugs gegen ihn.
Ein solcher Widerspruch zeigt sich beispielsweise in der Haltung des Arztes gegenüber den Betreibungsämtern, die er als Staatsverweigerer naturgemäss für illegitim halten muss. Wie ein Urteil des Berner Obergerichts zeigt, nahm er deren Dienste indirekt aber auch für sich selbst in Anspruch. Um die offenen Rechnungen seiner Patientinnen und Patienten einzutreiben, beauftragte der Arzt ein Inkassobüro. Und diese Firmen wenden sich bekanntlich relativ rasch ans Betreibungsamt, wenn die Schuldnerinnen und Schuldner den Forderungen nicht nachkommen.
Musterschreiben für alles
Das Beispiel verdeutlicht, dass ein Leben ohne Staat, der Recht spricht, Schulen betreibt, Strassen baut, Pässe ausstellt oder beim Eintreiben von Schulden hilft, eigentlich unmöglich ist. Wenn jemand den Staat wirklich konsequent ablehnt, darf sie oder er weder Strassen noch Strom aus der Steckdose benutzen.
Dennoch ist der Berner Arzt mit seiner radikalen Haltung alles andere als ein Einzelfall. Wie Recherchen zeigen, hat sich in den vergangenen Jahren eine regelrechte «Staatsverweigerer-Szene» gebildet. Deren Angehörige unterstützen sich gegenseitig dabei, die Behörden und ihre Vertreterinnen und Vertreter zu schikanieren.
Eine wichtige Rolle spielt dabei der Messenger-Dienst Telegram. In Gruppen wie «Staats Simulation Schweiz» finden Staatsverweigerer ganze Leitfäden, wie sie ihren Kampf gegen die Behörden führen können. In diesen Tagen werden bei den kantonalen Steuerämtern beispielsweise zahlreiche Schreiben eintreffen, die alle denselben Wortlaut haben: «Nachdem ich feststellen musste, dass Behörden und Ämter keine öffentlich-rechtlichen Institutionen mehr sind, bin ich auch nicht mehr verpflichtet, Ihnen die Steuererklärung einzureichen.»
Solche Musterschreiben finden sich auch für die Kommunikation mit Schulen, Strassenverkehrsämtern, Polizeien, Krankenkassen, Gerichtsbehörden oder dem Rundfunkinkasso Serafe. Der Kampf gegen die Behörden wird aber nicht nur auf dem schriftlichen Weg geführt. Auf Telegram kursieren diverse Videos von Staatsverweigerern, die öffentlichen Angestellten mit einer «privaten Haftung» drohen, sobald das staatliche Lügengebilde in sich zusammenfällt.
Viele Staatsverweigerinnen und Staatsverweigerer in der Schweiz glauben nämlich an eine Verschwörungstheorie, wonach alle staatlichen Organe und Ämter vor Jahren in eine private Firma umgewandelt worden seien. So behaupten Organisationen wie der Verein «Stopp der illegalen Privatisierung des Staates», die Schweizerische Eidgenossenschaft sei in Wahrheit seit 2014 eine Kapitalgesellschaft mit Sitz in Belgien.
Unklares Gewaltpotenzial
Wie gross die Szene ist, darüber gibt es heute nur vage Angaben. Die SRF-«Rundschau» sprach in einem Beitrag vom Oktober 2023 von schätzungsweise 10’000 Personen in der Schweiz. Beim Bundesamt für Polizei (Fedpol) kann man diese Zahl aber so nicht bestätigen. «Zahlen oder Statistiken, wie viele Leute der Szene angehören, liegen keine vor», sagt Mediensprecher Patrick Jean.
Dies liegt auch daran, dass die Gruppierung nach wie vor äusserst heterogen unterwegs ist. Zwischen Staatsverweigerern und anderen staatskritischen Organisationen wie «Urig» oder «Graswurzle», die im Zuge der Post-Corona-Bewegung an Zuspruch gewonnen haben, gibt es zwar gewisse Schnittmengen. Jedoch dürfte nur ein kleiner Prozentteil dieser Leute glauben, dass der Staat eine Firma mit Sitz in Belgien sei.
Beim Fedpol nimmt man die Thematik der Staatsverweigerer aber durchaus ernst. «Wir stehen dazu im engen Austausch mit den Kantonspolizeien», sagt Patrick Jean. Einzelne Exponenten der Szene seien in den vergangenen Jahren spürbar lauter geworden. Das bedeute aber nicht automatisch, dass die Gruppierungen insgesamt gewachsen seien, so Jean.
Während von ausländischen Staatsverweigerer-Szenen – wie etwa den Reichsbürgern in Deutschland – ein erwiesenes Gewaltpotenzial ausgeht, finden sich diesbezüglich in der Schweiz noch keine konkreten Hinweise. Das Fedpol bleibt bei der Einschätzung der Gewaltbereitschaft auch entsprechend vage. «Wichtig ist der Informationsaustausch zwischen den Kantonen und mit dem Bund, um im Einzelfall eine Bedrohungslage zu erkennen und die nötigen Massnahmen ergreifen zu können», sagt Jean.
Mehraufwand bei Kontrollen
Auch die Berner Kantonspolizei hat bereits Erfahrungen mit der Szene gemacht. «Staatsverweigernde Personen gibt es gemäss unseren Feststellungen in vielen verschiedenen Ausprägungen», sagt Kapo-Mediensprecher Thomas Ernst. Sie alle hätten gemeinsam, dass sie den Rechtsstaat – also auch die Polizei – als solchen nicht anerkennten. «Wir führen dazu jedoch keine explizite Statistik.»
Die Kapo Bern habe grundsätzlich die Aufgabe, die Rechtsordnung durchzusetzen. «Bei Personen mit einer staatsablehnenden Haltung kann dies in der Folge zu einem entsprechenden Mehraufwand führen», so Ernst. Beispielsweise wenn eine Person sich weigere, anlässlich einer Kontrolle ihren Ausweis zu zeigen. «Grundsätzlich gelten staatsverweigernde Personen in der Schweiz aber nicht als gewalttätig.» Gewaltakte von Einzelpersonen könnten jedoch nicht ausgeschlossen werden, so Ernst.
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