7 Märkte in EuropaDarfs ein bisschen mehr sein?
Streetfood, Klamotten, Antiquitäten oder Gewürze: Sieben Märkte in europäischen Metropolen, die man mal besucht haben sollte.
Rotterdam: Markthal
Darfs ein bisschen mehr sein? Diese Frage hat Rotterdam in seiner 2014 eröffneten Markthal mit dem lautestmöglichen Ja beantwortet. Von dem angeblich grössten Kunstwerk der Welt ist da manchmal die Rede, bezogen auf die 11’000 Quadratmeter Deckengewölbe, die der Künstler Arno Coenen gestaltet hat. Von einem einmaligen urbanen Experiment. Gar von Rotterdams «eigener Sixtinischer Kapelle». Tatsache ist: Wer in der architektonisch ohnehin aufregenden Stadt an der Maas in diese Halle eintritt, verrenkt sich automatisch erst einmal den Hals, um die knallbunte Glasmalerei auf den Wänden zu betrachten. Überdimensionierte Schmetterlinge flattern da zwischen ebenso riesigen Blüten, Obstsorten und Getreideähren.
Wenn man ehrlich ist: Die Produkte inmitten dieser Hingucker, sie sind hier für Besucher wohl nicht so entscheidend wie in anderen Märkten. Natürlich gibt es viel zu sehen und zu kaufen. Glace in pechschwarzen oder pinken Waffeln etwa, Blumen, Postkarten, den obligatorischen holländischen Käse oder auch Stroopwafels, das süsse Gebäck, das am besten schmeckt, nachdem man es kurz auf eine Tasse mit dampfendem Schwarztee gelegt hat. Auch Streetfood-Stände gibt es und Läden für den praktischen Bedarf, sodass sowohl Einheimische wie Reisende hier fündig werden. Trotzdem: Wer wirklich etwas Besonderes und nicht für Touristen Optimiertes kaufen möchte, ist womöglich anderswo besser bedient. Wirklich einmalig ist hier der Wow-Effekt beim Ankommen.
Und wer sich sattgesehen hat, bekommt ein ganz konträres Markterlebnis noch obendrauf: Auf dem Vorplatz der Halle reihen sich dienstags und samstags ganz banale Stände mit frischer Ernte aus dem Umland, Küchenbedarf, Polyester-Prinzessinnenkleidern für unter 10 Franken und Secondhandmode aneinander. Hier brummt es sogar noch mehr, das wahre Leben von Rotterdam. (Irene Helmes)
Berlin: Buchmarkt am Bode-Museum
Berlin ist nicht nur für seine vielen Trödelmärkte bekannt, sondern auch dafür, dass man dort tatsächlich Schätze finden kann. So wie der Flohmarktgänger, der 2005 zwischen Steinkrügen und altem Silber ein vergilbtes Bild hervorzog, das ihm besonders vorkam. Das war es dann auch, nämlich das Gemälde «Ruth und Naemi» von Julius Hübner aus dem 19. Jahrhundert, das während des Zweiten Weltkriegs aus einem Museum ausgelagert wurde und danach verschollen war. Es lohnt sich in Berlin also immer, in Flohmarktkartons zu wühlen. An kaum einem Ort ist das allerdings so idyllisch wie auf dem Antik- und Buchmarkt am Bode-Museum. Der zieht sich am Ufer der Spree entlang, was einen sofort an die Stände der Pariser Bouquinistes denken lässt.
So gross und gut bestückt wie der Büchermarkt an der Seine ist die Berliner Variante zwar lange nicht, dennoch ist die Kombination aus Wasser, Bücherständen und Museumsarchitektur im Hintergrund das ideale Ziel für einen Sonntagsspaziergang. Man geht an Tischen mit alten Vinylplatten vorbei, kommt am DVD-Stand mit einem amerikanischen Touristen ins Gespräch, der findet, alle Stephen-King-Verfilmungen seien «the same», und fühlt sich zwischendurch in die Neunzigerjahre zurückversetzt. Auf diesem Markt gibt es noch die Russenmützen, alten NVA-Uniformteile und DDR-Fahnen, die in Berlin-Mitte damals an jeder Ecke verkauft wurden. Irgendetwas kauft man am Ende immer, und sei es nur ein Kühlschrankmagnet mit der berühmten Aufschrift vom Checkpoint Charlie: «Sie verlassen den amerikanischen Sektor».
Der Flohmarktkauf, der 2005 für Schlagzeilen sorgte, befindet sich übrigens in unmittelbarer Nähe. Der Finder wandte sich an die Alte Nationalgalerie, dort wurde das Gemälde restauriert und ist nun wieder ausgestellt. (Verena Mayer)
Wien: Naschmarkt
Der Naschmarkt ist fast so berühmt wie der Stephansdom oder die Hofreitschule, weshalb man meinen könnte, dass vor allem Touristen den Weg zwischen die linke und rechte Wienzeile finden. Unterhalb der beiden stark befahrenen Strassen rinnt der Wienfluss dahin, oberirdisch ziehen sich zwei, teils drei parallele Ladenstrassen von der Sezession, wo man vor oder nach einer Stärkung am Naschmarkt den berühmten Beethoven-Fries bewundern kann, entlang der Jugendstilhäuser, die Wien so unverwechselbar machen. Und ja, es streifen viele Menschen durch das 1780 als Bauernmarkt entstandene Areal, die hier einen überteuerten Aperol Spritz und da eine mindestens ebenso überteuerte Melange trinken, weil sie nicht wissen, wonach sie suchen, sondern hereinfallen auf diverse Geschäftemacher.
Aber es gibt auch die andere Seite des wunderbaren Markts mit seinen 120 Ständen, an denen Kostbarkeiten aus aller Herren Ländern, Orientalisches und Kulinarisches angeboten werden: einen legendären Käseladen, türkische Hausmannskost, seltene Gewürze, dekorativ aufgebaute Vorspeisenberge. Jenseits der festen Stände bauen samstags Bauern ihre Tische auf und verkaufen Blumen aus ihren Gärten oder Trauben von ihren Hängen. Wiederum dahinter findet, ebenfalls an Samstagen, ein Flohmarkt statt, auf dem man Möbel, Bilder und Kurioses erstehen kann. Wiener kommen lieber am Vormittag auf einen kleinen Schwarzen oder am frühen Nachmittag zum Warmtrinken auf ein erstes Achterl, manche ziehen weiter, manche bleiben hocken und betrachten das Treiben der Welt. Es gibt hippere Märkte in Wien, zum Beispiel den Karmelitermarkt im 2. Bezirk, oder buntere, den Brunnenmarkt im 16. Bezirk etwa. Aber der Naschmarkt im 6. macht seinem Namen alle Ehre: Er verführt zum Naschen. Und Naschen macht glücklich. (Cathrin Kalweit)
Avignon: Les Halles
Man bekommt in der Altstadt von Avignon jede Menge zu kaufen: Bekleidung, Schuhe, Spiel- sowie Haushaltswaren, Comics und Bücher, dazu vieles, was ausschliesslich die vielen Touristen mögen. Nur mit frischen Lebensmitteln ist es schwierig – wäre da nicht die Markthalle. In den Aussenbezirken der Stadt fläzen sich mehrere gigantische Supermärkte. Aber in der Altstadt gibt es lediglich eine Handvoll winziger, schlecht sortierter Carrefour-Filialen. Und dazu jedoch Les Halles. Der Betonwürfel war inmitten der vielen gotischen Architektur längere Zeit eines der hässlichsten Gebäude der Stadt. Bis eine Fassadenseite 2006 mit einem vertikalen Garten bepflanzt worden ist.
Das Besondere ist aber natürlich das Innere: 40 Händler bieten ihre Viktualien an, und dabei handelt es sich beinahe ausschliesslich um regionale Produkte: Das Obst, das Gemüse, der Käse, das Fleisch, der Schinken, die Feinkost, die Gewürze, das Brot und Gebäck, der Wein – alles kommt aus der Provence. Dazu der Fisch aus dem westlichen Mittelmeer. Je nachdem, in welcher Ecke der Halle man sich befindet, riecht es nach Kräutern, nach Käse, nach frischem Brot oder Fisch.
In den warmen Monaten deckt man sich in Les Halles ein und picknickt dann im schattigen Park auf dem Rocher des Doms oberhalb des Papstpalastes. Es gibt in Les Halles aber auch Bars und Imbisse, in denen mit Zutaten aus der Markthalle gekocht wird und hervorragende Rhone-Weine ausgeschenkt werden. Der Amerikaner Jonathan Chiri, der zuvor in der Sterneküche des Hotels La Mirande in Avignon stand, betreibt seit ein paar Jahren das kleine Restaurant Centr’Halles, in dem es ein Mittagsmenü für 20 Franken gibt – besser als jedes Touri-Menü in den Gassen der Altstadt. (Stefan Fischer)
Rom: Trödelmarkt Porta Portese
Dieser Flohmarkt im Herzen der italienischen Hauptstadt besticht vor allem durch seine schiere Grösse: 1,5 Kilometer lang ist der Strassenzug, den jeden Sonntagvormittag ab acht Uhr viele Hundert eng gestellte Stände füllen. Es beginnt – oder endet – an der Porta Portese, nach der diese traditionsreiche Einrichtung ihren Namen hat. Das andere Ende des Flohmarkts liegt nahe dem Viale di Trastevere, der Verkehrsader des gleichnamigen römischen Stadtteils.
Von welcher Seite man auch kommt, es beginnt mit zahllosen Kleiderständen, an denen Neuware für 5 bis 14 Franken das Stück verkauft wird. In den sozialen Netzwerken heisst es, hier gebe es nur China-Ramsch, aber das stimmt so nicht. Sachen, die man für mehr Geld in den Geschäften der einschlägigen Touristenviertel finden kann, kaufen hier an der Porta Portese häufig Römerinnen und Römer, die jeden Euro umdrehen müssen – und von denen gibt es in der Stadt leider immer mehr. Dazwischen stehen auch jede Menge Ramschtische. Sticker, Fussballshirts, alte Telefone, rostige Rahmen, angeschlagene Vasen, Fussballillustrierte aus den Fünfzigern, Kitsch und Krempel. Daneben Küchengeschirr, Töpfe, Mokkakocher, Elektronikzubehör, alles nagelneu.
In der Seitenstrasse gilt es dann noch die Abteilung antike Möbel mit ganzen Sitzgarnituren abzuschreiten, den wirklich wunderschönen Jugendstil-Spiegel zu bewundern. Wer sucht, findet auch einige Büchertische. Manche berichten, sie hätten hier schon antiquarische Kostbarkeiten entdeckt. Mag sein. Wir sahen eher Klassiker im Taschenbuchformat und Gelegenheitsbelletristik, neue Ware, aber lieblos unsortiert aufeinandergeworfen. Regelrecht verstörend war ein Stapel, wo drei Exemplare von Hitlers «Mein Kampf» auf mehreren Exemplaren von Anne Franks «Tagebuch» lagen, und als Puffer gerade mal zwei Exemplare von Maos «Roter Bibel». Das hätte in dieser Kombination nicht sein sollen, aber: Trödelmarkt eben. (Marc Beise)
Olhão an der Algarve: Fischmarkt
Es geht rund, morgens im Fischmarkt von Olhão: lebende Seespinnen, die ihre langen Krebsbeine in der Luft bewegen, weil sie auf dem Rücken liegen; Verkäufer und Kunden, die sich lautstark unterhalten über die langen Fischtheken hinweg, auf denen so ziemlich alles liegt, was der Atlantik hergibt: Rochen und Seeteufel, grosse Doraden, Seezungen und Geissbrassen. Tintenfische aller Grössen und natürlich Sardinen, die blau und silbern glänzen. Ein Fischverkäufer hat einen stattlichen Schwertfischkopf aufgestellt, auf dem Schwert steckt eine Rolle mit Klarsichtfolie.
Wer sich kulinarisch für Fisch interessiert, ist hier, in der backsteinernen Markthalle von Olhão, genau richtig. Sie liegt direkt an der Ria Formosa, einer Lagune im äussersten Süden der Algarve. Hier lebten die Menschen über Jahrhunderte vor allem von der Fischerei. Auf einem Graffito an der ehemaligen Konservenfabrik nahe der Markthalle ist zu sehen, wie Frauen mit weissen Kopftüchern Sardinen putzen, trocknen und räuchern.
Obwohl diese Zeiten längst vorbei sind, verströmt Olhão immer noch den etwas abblätternden Charme eines Fischerstädtchens: weisse Häuser, Kopfsteinpflaster und eben die zwei grossen, gespiegelten Markthallen, von denen eine für Gemüse und Obst, die andere eben für Fisch gebaut wurde. Und zwar von keinem Geringeren als Gustave Eiffel, der die Hallen mit kupfergedeckten runden Ecktürmen verziert hat. Es soll der grösste Fischmarkt der Algarve sein. Die Preise sind ziemlich günstig, und so kommt man als Ferienwohnungsgast schon mal mit prall gefüllten Taschen voller Fisch heraus, der dann am Grill oder als Cataplana-Eintopf zubereitet wird. Wer aber gleich Hunger hat, kann auch in den Restaurants an der Aussenseite der Hallen schmausen. (Hans Gasser)
Istanbul: Ägyptischer Basar
Mit Istanbul ist es so, dass es die Stadt angeblich nicht mehr gibt. Jedenfalls nicht mehr die Stadt, wie sie vor einem Jahrhundert war oder einem halben, aber auch die Version vor, sagen wir, zwanzig Jahren: verloren. Abgerissen und neu gebaut. Kaputtrestauriert. Verkitscht. Stimmt alles. Und ist alles gelogen. Angenommen, man fährt mit einem Schiff auf die Stadt zu, notfalls mit einem dieser Kreuzfahrtriesen, die auf der europäischen Seite anlegen, dieser Tage oft mal drei oder vier gleichzeitig. Die Silhouette morgens, bei der Einfahrt in den Bosporus, ist fast dieselbe wie vor drei Jahrhunderten. Die Minarette, die Kuppeln, der Galataturm. Auch das Erste, was sieht, wer über die Galatabrücke nach Sultanahmet kommt, also in die Altstadt: der ägyptische Basar. So heisst in Istanbul der Gewürzbasar.
Wir treten ein und machen mal die Augen zu. Ums Riechen geht es, ums Einatmen dieser Luft wie einer seit 1660 perfektionierten Gewürzmischung. Um das Gedränge, um diese uralte Spannung, den Einsatz der Händler, ihre Sachen loszuwerden. Der Zimt, die Datteln, der Safran, die verschiedenen Sorten von Chili, aus Aleppo, aus Gaziantep, aus Şanlıurfa. Das Beste aus Anatolien bei Cankurtaran Gıda, die Honigwaben, die Oliven, das Pastırma. Ist noch Platz? Dann bitte für Kaymak, ein essbares türkisches Märchen, für das es im Deutschen nur das Wort Schichtrahm gibt.
Alles will man kaufen. Im selben Raum, in dem Menschen gegen Ende des 17. Jahrhunderts all dies kaufen wollten. Kann sein, dass damals weniger Kreuzfahrer aus Arizona darunter waren. Aber manches ändert sich nie in Istanbul, zum Glück, der Gewürzbasar gehört dazu. (Raphael Geiger)
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