Details zum Brexit geklärtJohnson: «Werden euer Freund sein – und Nummer-Eins-Markt»
Die Europäische Union und Grossbritannien haben an Heiligabend doch noch einen Brexit-Handelspakt vereinbart. Bei der Verkündung erinnert Premier Johnson modisch an eines der am härtesten umstrittenen Verhandlungsthemen.
Nach monatelangen Verhandlungen über einen Brexit-Handelspakt ist der Europäischen Union und Grossbritannien eine Einigung gelungen. Dies bestätigten beide Seiten am Donnerstagnachmittag. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und Unterhändler Michel Barnier kündigten eine Pressekonferenz an. Mit der Einigung scheint ein harter wirtschaftlicher Bruch zum Jahreswechsel abgewendet.
Das Handelsabkommen soll die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Insel und dem Kontinent ab Januar 2021 regeln. Wichtigster Punkt ist, Zölle zu vermeiden und möglichst reibungslosen Handel zu sichern. Der Vertrag umfasst aber auch den Fischfang sowie die Zusammenarbeit bei Energie, Transport, Justiz, Polizei und vielen anderen Themen.
Johnson: «Wollte Unsicherheit beenden»
Der britische Premierminister Boris Johnson wertet die Brexit-Handelsvereinbarung mit der EU als «grossartigen Vertrag». «Wir haben die Kontrolle über unser Schicksal zurückerlangt», sagte der Konservative am Donnerstag in London. «Wir werden unsere eigenen Standards setzen.» Er habe jegliche Unsicherheit beenden wollen. «Dieser Deal bedeutet eine neue Stabilität», sagte Johnson. «Wir werden der Freund und Verbündete und Unterstützer der EU sein.» Mit dem Vertrag könne Grossbritannien «fantastische Dinge tun». Das britische Parlament werde nun am 30. Dezember über die Vereinbarung abstimmen.
Johnson räumte ein, der Vertrag enthalte nicht all das, was Grossbritannien gefordert habe. Seine Regierung habe dazu beigetragen, dass die Vereinbarung zustande gekommen ist. «Kompromiss ist kein schmutziges Wort.» Am Mittwoch hatte ein Vertreter der französischen Regierung gesagt, Grossbritannien habe beim letzten grossen Streitpunkt, den Fischereirechten, «enorme Zugeständnisse» gemacht.
Johnson trägt Fisch-Krawatte
Bei der Verkündung seines Brexit-Handelspakts mit der EU hat Johnson modisch an eines der am härtesten umstrittenen Verhandlungsthemen erinnert. Viele kleine Fische zierten seine dunkle Krawatte, als er am Heiligabend in London den Durchbruch bei den monatelangen Verhandlungen verkündete.
Bis zuletzt war der Zugang von EU-Fischern zu britischen Gewässern eines der umstrittensten Themen zwischen London und Brüssel. Bei einem Abendessen von EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen mit Johnson hatten kürzlich bereits die Brüsseler Köche Seitenhiebe aufs Thema Fischerei serviert: Zur Vorspeise gab es Jakobsmuscheln – um die im Ärmelkanal ein erbitterter Streit zwischen Frankreich und Grossbritannien getobt hatte.
Bundeskanzlerin Angela Merkel, die bis Jahresende die EU-Ratspräsidentschaft inne hat, begrüsst die Einigung. «Ich freue mich, dass sich die Verhandlungsführer der Europäischen Union und Grossbritanniens auf ein Abkommen geeinigt haben und damit die zukünftigen Beziehungen zwischen Europäischer Union und Grossbritannien klar geregelt sind. Dies ist von historischer Bedeutung.»
«Wir werden euer Freund sein, euer Partner, euer Unterstützer, und nicht zu vergessen, euer Nummer-Eins-Markt.»
Die Einheit und die Stärke der Europäischen Union haben sich nach den Worten des französischen Präsidenten Emmanuel Macron ausgezahlt. Die Vereinbarung mit Grossbritannien sei der Schlüssel, um die französischen Bürger, Fischer und Produzenten zu schützen, schreibt Macron auf Twitter. «Frankreich wird sicherstellen, dass dies auch geschehen wird.»
EU-Chefunterhändler: Brüssel steht an der Seite von EU-Fischern
Der EU-Chefunterhändler Michel Barnier hat den Fischern in der EU die Unterstützung Brüssels bei der Umsetzung des künftigen Handelsabkommens mit London zugesichert. «Die EU wird an der Seite der europäischen Fischer stehen und sie begleiten, dafür setzen wir uns ein», erklärte Barnier am Donnerstag kurz nach Bekanntgabe der Einigung zwischen Brüssel und London auf ein Handelsabkommen nach dem Brexit.
Das Abkommen ermögliche beiderseitigen Zugang zu den Fischgründen, wobei künftig neue Fangquoten und eine neue Aufteilung der Fischereizonen gelte. «Dieses Abkommen verlangt Anstrengungen, das weiss ich», sagte Barnier.
Grossbritannien hatte die EU Ende Januar verlassen und ist nur noch in einer Übergangszeit bis 31. Dezember Mitglied im EU-Binnenmarkt und in der Zollunion. Dann kommt der wirtschaftliche Bruch. Ohne Abkommen würden Zölle und aufwendigere Kontrollen notwendig. Wirtschaftsvertreter auf beiden Seiten warnten vor Verwerfungen und dem Verlust Zehntausender Jobs.
Späte Einigung
Die Verhandlungen hätten eigentlich schon im Oktober abgeschlossen werden sollen, doch zogen sich immer weiter in die Länge. Mehrfach standen sie wohl kurz vor dem Scheitern. Wegen der Kürze der Zeit kann ein Abkommen auf EU-Seite nicht mehr rechtzeitig ratifiziert werden. Es müsste vorläufig angewendet werden, falls die 27 EU-Staaten zustimmen. Auf britischer Seite hat die Regierung angekündigt, das Parlament zu befassen.
Das Abkommen verspricht Grossbritannien Exporte ohne Zölle und ohne Mengenbegrenzung in den EU-Binnenmarkt. Dafür verlangt die EU aber faire Wettbewerbsbedingungen – das sogenannte Level Playing Field. Gemeint sind gleiche Umwelt-, Sozial- und Subventionsstandards.
Die Frage blieb bis zum Schluss ein höchst komplizierter Streitpunkt. Gesucht wurde ein Weg, fairen Wettbewerb auch für die Zukunft sicherzustellen und anderenfalls gegensteuern zu können. Erst am Mittwochnachmittag hiess es schliesslich, alle Punkte beim «Level Playing Field» seien geklärt.
Der Streit um den Fisch
Danach blieb noch ein allerletzter Knackpunkt, über den wochenlang heftig gestritten worden war: der Zugang von EU-Fischern zu britischen Gewässern. Die Klärung der letzten Einzelheiten zog sich über viele Stunden bis Donnerstagmittag hin. Schliesslich fand man auch hier einen Kompromiss.
Zuletzt hatte die Zuspitzung der Corona-Pandemie in Grossbritannien weiteren Druck aufgebaut. Nachdem eine mutierte Variante des Coronavirus entdeckt wurde, hatte Frankreich zeitweise seine Grenzen für Verkehr aus Grossbritannien geschlossen. Deshalb stauten sich auf britischer Seite Tausende Lastwagen – aus Sicht von Kritikern ein Vorgeschmack auf die Lage bei einem No-Deal-Brexit.
Die britischen Wähler hatten 2016 mit knapper Mehrheit für den EU-Austritt gestimmt. Premierminister Boris Johnson gewann 2019 die Parlamentswahl unter anderem mit der Ansage, den Brexit nun tatsächlich durchzuziehen. Als zentralen Punkt nannte er immer wieder, Souveränität und Kontrolle über die eigenen Grenzen und Gesetze wiederzuerlangen.
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