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Tanzakademie Zürich
Schulleitung hatte wenig Verständnis für die Vorwürfe

Die ZHdK, Zuercher Hochschule der Kuenste auf dem Toni Areal in Zuerich am 12. Dezember 2014.
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Die Tanzakademie Zürich (TAZ) ist eine Eliteschule für klassisches Ballett und geniesst ein internationales Renommee. Nach einer Recherche der Wochenzeitung «Die Zeit» kamen im Juni 2022 aber Zweifel an den Unterrichtsmethoden der Schule auf. Mehrere Schülerinnen und Schüler berichteten, über Jahre hinweg unter psychischem Missbrauch, Erniedrigungen und gelegentlicher Gewalt gelitten zu haben.

Die Zürcher Hochschule der Künste (ZHDK), zu der die TAZ gehört, leitete daraufhin eine Administrativuntersuchung ein. Die beauftragte Anwaltskanzlei Rudin Cantieni führte unter anderem 76 Befragungen durch. Ihr 309-seitiger Bericht wurde am Dienstag in anonymisierter Form veröffentlicht. Darin werden erstmals die Stellungnahmen des kritisierten Schulleiters und der künstlerischen Leiterin öffentlich.

Der Bericht kommt zum Schluss, dass die erhobenen schweren Vorwürfe den tatsächlichen Bedingungen und der Komplexität der Ausbildung nicht gerecht würden. Sie hätten sich nur zum Teil bestätigen lassen. Den von der Presse kolportierten Eindruck, die Schulleitung sei Schmerzen und Verletzungen von Schülerinnen gleichgültig gegenübergestanden, habe man nicht nachvollziehen können.

Dennoch seien Bereiche aufgefallen, die im Bericht als «ungenügend» bewertet würden.

«Hoher Druck und Angst»

Was die Medien – unter anderem auch diese Redaktion – als «schwarze Pädagogik» an der Tanzakademie beschrieben, fasst der Untersuchungsbericht als «entkräftigendes Motivationsklima» zusammen. Zahlreiche Schülerinnen und Schüler schilderten in den Befragungen übereinstimmend, dass sie an der TAZ hohen Druck und Angst empfunden haben. Gemäss einer Dozentin war es eine Strategie der Schulleitung, Schülerinnen gegeneinander auszuspielen und Rivalitäten zu schaffen.

Studierende trainieren an der Tanzakademie am Dienstag, 5. Mai 2009 in Zuerich. Am 1. Februar 2009 ist die "Verordnung zur beruflichen Grundausbildung Buehnentaenzerin und Buehnentaenzer mit eidgenoessischem Faehigkeitsausweis EFZ" in Kraft getreten. Buehnentanz ist damit als erste Grundbildung aus dem Kunstbereich offiziell als Beruf anerkannt. (KEYSTONE/Alessandro Della Bella)

Demgegenüber legte die TAZ-Leitung in der Untersuchung dar, dass Leistungsdruck «für den Hochleistungsbereich normal» sei. Die Schule bereite auf die grosse Konkurrenz in der Berufswelt vor. Die Dosierung sei eine Gratwanderung. «Wann wird aus Anspruch Druck? Was ist Druck?», fragte die künstlerische Leiterin rhetorisch. Jeder Mensch empfinde und definiere Leistungsdruck anders.

Der Gesamtleiter der TAZ wies darauf hin, dass eine Ausbildung in der professionellen Ballettwelt in den letzten 20 Jahren bedeutet habe, sich für den Hochleistungssektor entschieden zu haben. Natürlich gebe es deswegen einen Leistungsdruck bei den Schülerinnen – sie würden ja selbst etwas erreichen wollen. Man könne Respekt auch mit Angst verwechseln.

Die Anwaltskanzlei schliesst daraus, dass die TAZ-Leitung den Leistungsdruck zwar wahrnahm, nicht aber die damit einhergehende mentale Belastung, die sich verbunden mit Angst leistungsmindernd auswirken könne. Sie geht davon aus, dass die Schule keinen Fokus auf ein ermutigendes Motivationsklima gemäss heutiger pädagogischer Erkenntnisse hatte.

Schreien und schimpfen, bis Tränen fliessen

Psychische Gewalt sei an der TAZ regelmässig zur Anwendung gekommen, sagten zahlreiche Schülerinnen in der Untersuchung. «Je nach Laune der Lehrpersonen wurde geschrien und geschimpft, bis jemand zu weinen anfing», heisst es in den Protokollen. Wie mit ihnen umgegangen worden sei, habe sie traumatisiert, ihr Selbstbewusstsein ruiniert oder zu anhaltenden gesundheitlichen Problemen geführt.

«Du tanzt wie eine Kartoffel», «Ihr seht aus wie ein gefrorener Fisch», «Ihr tanzt wie ein Cervelat aus der Migros» sind nur drei von vielen Beleidigungen, an die sich Schülerinnen und Schüler erinnerten.

Eine Studierende pudert sich die Fuesse, an der Tanzakademie am Dienstag, 5. Mai 2009 in Zuerich. Am 1. Februar 2009 ist die "Verordnung zur beruflichen Grundausbildung Buehnentaenzerin und Buehnentaenzer mit eidgenoessischem Faehigkeitsausweis EFZ" in Kraft getreten. Buehnentanz ist damit als erste Grundbildung aus dem Kunstbereich offiziell als Beruf anerkannt. (KEYSTONE/Alessandro Della Bella)

Andere Befragte waren hingegen der Auffassung, dass eine gewisse Härte und Strenge dazugehöre, um erfolgreich zu sein. «Es ist noch immer Leistungssport, es ist nicht einfach Kunst», sagte ein TAZ-Abgänger.

Die Frage, ob sie je Schülerinnen und Schüler in verbaler Form schlecht behandelt, angeschrien, beleidigt, blossgestellt oder gedemütigt haben, negierten die meisten Dozierenden deutlich. Der TAZ-Gesamtleiter sagte: «Das kommt immer ganz darauf an, wie man das interpretiert.» Er habe seinen Unterricht emotional geführt, aber nie jemanden verbal «fertiggemacht». Mit Aussagen von Schülerinnen konfrontiert, die ein schlechtes Licht auf ihn werfen, sagte der Gesamtleiter der Schule, er könne sich an ein solches Verhalten nicht erinnern, das sei zu lange her.

Die Autoren des Berichts kommen zum Schluss, dass es der TAZ an einer offenen und achtsamen Kommunikationskultur mangelte. Im Bestreben, die Schülerinnen und Schüler auf die Berufswelt im «High-Class-Bereich» vorzubereiten, sei es zu Aussagen oder Handlungen gekommen, die die psychische Integrität der Schülerinnen und Schüler verletzten.

Zu dick, zu schwer

Eine Karriere als Bühnentänzerin setzt nach vorherrschender Meinung in der Welt des klassischen Tanzes einen schlanken Körper voraus. Ob jemand das Gewicht halten konnte, wurde von der TAZ-Leitung deshalb als eine Komponente der Leistung angesehen und auch so behandelt und bewertet. Dies habe ein Spannungsverhältnis ausgelöst, heisst es im Bericht: Auf der einen Seite stand der Schutz der Gesundheit, auf der anderen das Erreichen des Ausbildungsziels, Spitzentänzerin zu werden.

Regelmässige Gewichtskontrollen, gepaart mit möglichen Disziplinarmassnahmen und Ansprachen zum individuellen Gewicht vor der ganzen Klasse, hätten für die Schülerinnen eine enorme Belastung dargestellt. Eine auf Tanz- und Sportmedizin spezialisierte Ärztin bezeichnete die regelmässigen Gewichtskontrollen als gesundheitsgefährdend. Einzuräumen ist laut Untersuchungsbericht aber, dass sich die TAZ-Leitung über die Jahre zunehmend bemüht habe, das Gewichtsmanagement zu verbessern.

EFZ-Ausbildung sei grundsätzlich zu hinterfragen

Die Möglichkeit, sich an der TAZ auf höchstem Niveau für die Ballettwelt zu qualifizieren, habe für viele Absolventinnen und Absolventen die Basis für ihre Karriere gesetzt, heisst es im Fazit des Berichts. Entsprechend seien im Rahmen der Untersuchung sehr positive Rückmeldungen zur Ausbildung an der Tanzakademie eingegangen. Die vielen erfolgreichen Abschlüsse seien ein Beleg dafür, dass die Lehrerschaft sehr engagiert gearbeitet habe.

Die untersuchten Vorwürfe würden die Kehrseite dieser Medaille darstellen. Die hohen Anforderungen an die Auszubildenden im Spitzenbereich hätten dabei als Fakt angenommen werden müssen, ebenso die Tatsache, dass nicht alle Schülerinnen und Schüler reüssieren konnten. In diesem Sinne stelle die Ausbildung zum Bühnentänzer und zur Bühnentänzerin an der TAZ einen Sonderfall in der Bildungslandschaft dar – nämlich als eine EFZ-Ausbildung, die sich im schmalen Segment eines Spitzenbereichs etabliert hat. Das sei ganz grundsätzlich kritisch zu hinterfragen.

Alte Führung ist nicht mehr im Amt

Wie die ZHDK mitteilt, wurde die Empfehlung des Untersuchungsberichts, die Dozierenden und ihre Vorgesetzten mit Schulungen zu sensibilisieren und ihnen alternative Handlungsformen aufzuzeigen, bereits umgesetzt. Seit dem Herbstsemester 2022 seien umfangreiche Weiterbildungen durchgeführt und die Unterrichtsmethodik angepasst worden.

Das im August 2022 eingesetzte Interimsleitungsteam bleibt bis auf weiteres im Amt. Als die Vorwürfe im Juni 2022 bekannt wurden, haben der TAZ-Gesamtleiter und die künstlerische Leiterin ihre Ämter niedergelegt, vorerst vorübergehend. Die künstlerische Leiterin ist inzwischen in Pension, das Anstellungsverhältnis mit dem Gesamtleiter wurde im Sommer 2023 aufgelöst.