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Bericht zur Sicherheitslage
Die Schweiz braucht mehr Soldaten, mehr Geld für die Armee – und soll näher an die Nato rücken

La conseillere federale Viola Amherd parle lors d'une conference de presse sur une nouvelle charte de l'environnement et un premier plan d?action prevoyant des mesures concretes dans le domaine de l'energie et du climat de l'Armee Suisse ce mardi 31 aout 2021 sur la place d'armes de Chamblon, Vaud. (KEYSTONE/Laurent Gillieron)
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Ein Jahr lang haben die zwei Dutzend Spezialistinnen und Spezialisten aus Politik, Wissenschaft, Verwaltung Papiere gewälzt, debattiert, gestritten. Sie haben ein Dutzend externe Fachleute angehört. Einige von ihnen reisten nach Brüssel, um mit EU- und Nato-Vertretern zu sprechen.

Sie – das sind die Mitglieder der Studienkommission Sicherheitspolitik, die Verteidigungsministerin Viola Amherd vor einem Jahr eingesetzt hat. Mit dem Auftrag, eine Auslegeordnung zur Schweizer Sicherheitspolitik zu machen und «neue Impulse» zu liefern. Hintergrund ist die globale Sicherheitslage, die sich nach dem russischen Angriff auf die Ukraine rapide verschlechtert hat.

Cyberangriffe, Desinformation und Spionage bereits Alltag

Am Donnerstag hat die Kommission nun ihren Bericht vorgelegt. Er beginnt mit der Diagnose, dass die Schweiz in der heutigen «Weltunordnung» ein «attraktives Ziel» sei, dass Cyberangriffe, Desinformation und Spionage bereits zum Alltag gehörten – und dass sich das Land diesen Veränderungen bisher zu wenig gestellt habe.

Daraus leitet die Kommission unter der Leitung des früheren Arbeitgeberpräsidenten Valentin Vogt rund 100 Empfehlungen ab. «Blick» und NZZ haben darüber bereits berichtet.

Die Kernelemente:

  • Armee: Die Kommission fordert, dass die Armee schnell mehr Geld erhält, bis 2030 soll dafür ein Prozent des Bruttoinlandprodukts ausgegeben werden – und nicht erst bis 2035, wie der politische Stand gegenwärtig lautet. Doppelbürger sollen neu zwingend dienstpflichtig sein. Zivildienst und Zivilschutz sollen zusammengelegt werden.

  • Neutralität: Eine Mehrheit der Kommission will die Schweizer Neutralität überarbeiten. Sie soll stärker auf die UN-Charta ausgerichtet werden, die einen ausdrücklichen Unterschied macht zwischen Aggressor und Opfer. Dafür sei eine neue Grundsatzdiskussion notwendig.

  • Rüstungspolitik: Die hiesige Rüstungsindustrie soll gestärkt werden. Die Kommission will das Verbot der Wiederausfuhr von Schweizer Kriegsmaterial für bestimmte befreundete Länder aufheben. Dahinter steht der Konflikt um Weiterlieferungen von Schweizer Panzern und Munition an die Ukraine.

  • EU und Nato: Die Schweiz soll enger mit den beiden Organisationen zusammenarbeiten. Konkret soll es mehr gemeinsame Ausbildung und mehr gemeinsame Übungen geben. Zum Beispiel sollen Schweizer Soldaten auch im Ausland WK absolvieren dürfen. Und: Die Schweiz soll bei der Abwehr von ballistischen Lenkwaffen mit der Nato zusammenarbeiten. Eine Minderheit der Kommission hat sich gar für einen Nato-Beitritt ausgesprochen.

  • Spionage: Ausländische Spione sollen schneller aus der Schweiz ausgewiesen werden.

Katja Gentinetta, Verfasserin des Berichts, links, spricht neben Bundespraesidentin Viola Amherd, Mitte, und Valentin Vogt, Praesident der Studienkommission, rechts, bei einer Pressekonferenz zum Bericht der Studienkommission fuer Sicherheitspolitik, am Donnerstag, 29. August 2024 in Bern. (KEYSTONE/Anthony Anex)

Hauptautorin des Berichts ist die Politphilosophin Katja Gentinetta. Im Gremium sassen je eine Vertreterin, ein Vertreter der Parteien, für die FDP etwa Präsident Thierry Burkart, für die SVP Thomas Hurter, die SP entsandte Pierre-Alain Fridez. Dazu kamen 14 Personen aus dem Sicherheitsbereich, die Amherd ausgewählt hatte, darunter der Kommandant der Aargauer Kantonspolizei, der Präsident der Schweizer Offiziersgesellschaft und ein Vertreter von Economiesuisse.

Grünen-Vertreterin Schlatter: «Ganze Arbeit war eine Farce»

Diese Zusammensetzung ist schnell zu einem Politikum geworden. Kurz vor Ende der Arbeit trat der jurassische SP-Politiker Fridez aus dem Gremium aus. Und die grüne Vertreterin Marionna Schlatter sagt heute: «Die ganze Arbeit war eine Farce.»

Die Mitglieder des Gremiums seien willkürlich zusammengesetzt gewesen, und zwar so, dass Amherd jene Resultate erhalte, die sie sich erhofft habe. Die Zürcher Nationalrätin stört sich insbesondere am engen Begriff der Sicherheitspolitik: Man habe vor allem über Rüstungsgüter und Waffen diskutiert – aber zum Beispiel den Zusammenhang zwischen Klimawandel und Sicherheit aussen vor gelassen. Alles in allem findet Schlatter: «eine verpasste Chance».

Auf der anderen Seite stört sich auch die SVP an der Stossrichtung des «Gefälligkeitsberichts», wie es in einem Communiqué heisst. Bundesrätin Amherd wolle «die Schweizer Neutralität zerstören» und «sich in die Arme von Nato und EU werfen». Die Kommission fokussiere einseitig auf internationale Zusammenarbeit und missachte die «verfassungsmässig garantierte immerwährende, bewaffnete und integrale Neutralität».

«Mit 21 von 23 Mitgliedern ans Ziel gekommen»

Viola Amherd wies die Vorwürfe von links und rechts bei der Präsentation des Berichts am Donnerstag zurück – es seien alle Parteien in der Kommission vertreten gewesen, und sie habe bei der Berufung der weiteren Mitglieder auf unterschiedliche Hintergründe und Perspektiven geachtet. Die «vielen Empfehlungen» habe sie noch nicht im Detail studieren können. Es brauche nun eine breite Diskussion, bevor Entscheide über konkrete Initiativen fallen würden.

Kommissionschef Valentin Vogt doppelte nach: «Wir sind mit 21 von 23 Mitgliedern ans Ziel gekommen, ich sehe das als Erfolg.» Stattdessen kritisierte er das Parlament, das in den letzten zwei Jahren auf die massiven Veränderungen der Sicherheitslage nur ungenügend reagiert habe und sich in Sicherheitsfragen selber lahmlege, statt Entscheide zu treffen. Mit Verweis auf den eigenen Bericht meinte er: «Papier ist geduldig – wir müssen in der Schweiz auch handeln können.»