Interview mit Schweizer Chefingenieur«Bei der Entwicklung von Batterien herrscht Goldgräberstimmung»
Sie hält lange und brennt nicht: In Neuenburg entsteht die Batterie der Zukunft. Andreas Hutter ist Teamleiter am Forschungszentrum CSEM. Er nennt die Chancen für die Schweizer Industrie.

Herr Hutter, am Schweizer Technologie-Innovationszentrum CSEM in Neuenburg wird seit fast zehn Jahren Batterieforschung betrieben. Warum gründen Sie gerade jetzt ein Zentrum für Batterie-Innovation?
Weil wir am Beginn einer Batterie-Revolution stehen. Bis 2035 sollen in den meisten europäischen Ländern keine Autos mit Verbrennungsmotoren mehr verkauft werden.
Statt Benzin und Diesel braucht es dann Unmengen an Batterien für Elektrofahrzeuge und für stationäre Stromspeicher.
Genau. Allerdings kommen über 90 Prozent der heutigen Batterien aus China, Südkorea und Japan. Diese Abhängigkeit von asiatischen Ländern möchte man vermeiden.
Weshalb?
Erstens macht die Batterie rund 25 bis 40 Prozent der Wertschöpfung eines Autos aus. Wenn man die Batterien nicht selber baut, geht dieser Teil der Wertschöpfung verloren. Zweitens ist eine hohe Abhängigkeit von anderen Weltregionen politisch riskant.
Dann soll die Batterieproduktion künftig vermehrt in Europa stattfinden, etwa in grossen Fabriken, den sogenannten Gigafactories?
Ja. Die ersten Gigafactories werden schon gebaut. Wollten wir um 2035 alle in Europa verkauften Elektroautos mit eigenen Batterien bestücken, müssten wir auf dem Kontinent ungefähr dreimal so viele Autobatterien produzieren wie aktuell auf der ganzen Welt. Dafür wäre eine Investition von rund 100 Milliarden Franken für den Bau von Gigafactories nötig.

Man möchte also die gleiche Batterieproduktion hochziehen, wie sie heute in Asien existiert?
Im ersten Schritt ist das so, da soll die aktuelle dritte Generation von Lithium-Ionen-Batterien sowie auch deren Weiterentwicklungen hier aufgebaut werden. Im zweiten Schritt sollen dann aber auch die zukunftsträchtigen Batterien der nächsten Generation hier angesiedelt werden. In beiden Fällen kommt der CSEM Battery Innovation Hub ins Spiel.
Inwiefern?
Die Herausforderung besteht darin, die Batterietechnologie der Zukunft zusammen mit der Industrie zur Serienreife zu bringen. Wir arbeiten an dieser Schnittstelle zwischen Grundlagenforschung und Industrie. Am Battery Innovation Hub können wir neue Batterietypen herstellen, auch in einem Massstab, wie er für die Industrie relevant ist. Wir können Batterien testen und charakterisieren. Daneben entwickeln wir die Elektronik, die wir neu mit innovativer Sensorik ausstatten. Damit können wir eine extrem hohe Sicherheit der Batterie gewährleisten. Das Innovationspotenzial entlang der gesamten Wertschöpfungskette an einem Ort zu vereinen, das ist einzigartig für die Schweiz.
Aber warum ist gerade jetzt der richtige Zeitpunkt für ein neues Batterie-Innovationszentrum?
Weil sich bei der Batterieentwicklung momentan unglaublich viele Möglichkeiten bieten. Es herrscht eine regelrechte Goldgräberstimmung.
«Für Schweizer Zulieferer und Start-ups bietet sich in den kommenden Jahren eine einmalige Gelegenheit.»
Warum?
Insgesamt stellt Europa bis 2027 rund 925 Millionen Euro für die Batterieentwicklung bereit. Zudem hat Europa 6,1 Milliarden Euro für den Aufbau von Gigafactories bereitgestellt. Es gibt also Geld für Forschung und Entwicklung. Und es besteht eine Nachfrage seitens der Industrie.
Die Schweiz ist aber kein grosser Batteriehersteller.
Das stimmt. Als Zulieferer für die Automobilindustrie hat die Schweiz aber eine Spitzenstellung. Daher bietet sich sowohl den Zulieferfirmen wie auch Start-ups in den kommenden fünf oder sechs Jahren eine einmalige Gelegenheit, um ihre Fähigkeiten bei der Produktion von Batterien einzusetzen, auch in den künftigen Gigafactories.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Die Firma Bühler in Uzwil. Sie stellt Maschinen für die Lebensmittelindustrie her und hat angefangen, mit angepassten Mischanlagen die Rohstoffe für die Batterieherstellung aufzubereiten. Daraus wird dann die Kathode der Batterie hergestellt. Das ist ein Renner. Bühler hat grosse Zuwachsraten. Ganz entsprechend könnten Firmen, die heute vielleicht Dichtungen für Verbrennungsmotoren herstellen, ihre Fähigkeiten in der Batterieherstellung einbringen.
China ist bereits erfolgreich. Warum soll Europa besser sein bei der Herstellung der künftigen Batterien?
Die Chinesen haben bei der Batterieproduktion noch eine Ausschussrate von über 20 Prozent. Da haben Europa und speziell auch die Schweiz eine Chance, weil man hier zuverlässiger produziert. In Europa soll die Herstellung der Batterien auch umweltverträglicher erfolgen, etwa dank dem Einsatz von regenerativem Strom und dank der Berücksichtigung des Recyclings schon bei der Produktion. All das dürfte künftig ein Wettbewerbsvorteil sein.
Was muss eine Batterie der nächsten Generation können?
Sie sollte eine doppelt so hohe Energiedichte haben wie heutige Batterien, sie sollte sicherer sein und länger leben.
Wie wollen Sie das erreichen und wie schnell?
Die ersten kommerziellen Lithium-Ionen-Batterien für die Automobilindustrie hatten eine Energiedichte von rund 100 Wattstunden pro Kilogramm. Wir haben fünfzehn Jahre gebraucht, um diesen Wert auf rund 250 Wattstunden pro Kilogramm zu steigern. Jetzt wollen wir die Energiedichte bis 2035 auf 500 Wattstunden pro Kilogramm verdoppeln. Das bedeutet: Bei gleichem Batteriegewicht hätte ein Elektroauto, das heute rund 400 Kilometer weit kommt, eine Reichweite von rund 800 Kilometern.

Und wie wollen Sie die Lebensdauer der Batterien erhöhen?
Durch ein besseres Batterie-Management. Nachteilig für die Lebensdauer eines Batteriepacks ist zum Beispiel die Hitzeentwicklung in dessen Zentrum. Durch ein geschicktes Batterie-Management kann man erreichen, dass die innen liegenden Batteriezellen geschont werden. So altern die Zellen der ganzen Batterie gleichmässiger. Dazu haben wir ein neues, mittlerweile patentiertes Konzept entwickelt, mit dem wir die Lebensdauer des ganzen Batteriepacks um rund 20 Prozent verlängern können.
Auf welche Technologie setzen Sie bei der Batterie der nächsten Generation?
Viele Fachleute setzten auf eine radikale Änderung, die sogenannte Festkörperbatterie.
Was ist so radikal daran?
Heutige Lithium-Ionen-Akkus haben einen flüssigen Elektrolyten zwischen den beiden Polen, also zwischen Kathode und Anode. Das ist meistens eine salzhaltige Flüssigkeit, die Ionen gut leitet. Bei der Festkörperbatterie ist der flüssige durch einen festen Elektrolyten ersetzt. Meist kommen Polymere zum Einsatz, aber auch Keramiken.
Welche Vorteile bringt das?
Ein wichtiger Punkt ist die Sicherheit: Der flüssige Elektrolyt ist brennbar, bei Festkörperbatterien werden nicht brennbare Materialien eingesetzt. Eine höhere Energiedichte erreicht man, weil an der Anodenseite der Festkörperbatterie kein Grafit mehr verwendet wird, sondern Lithium-Metall. Damit lassen sich viel dünnere Schichten realisieren. Die Energiedichte steigt so automatisch.
Wie gut sind Festkörperbatterien heute?
Die bisher einzige kommerzielle Lösung mit Festkörperbatterie basiert auf einem Polymerelektrolyten der Firma Blue Solutions. Nach Unternehmensangaben kann die Batterie bis zu 4000 Ladezyklen erreichen. Polymerelektrolyte weisen jedoch eine schlechte Ionenleitfähigkeit auf. Zudem muss der Batteriepack erwärmt werden, was sich negativ auf die Gesamtenergiedichte der Batterie auswirkt. Wir arbeiten aktuell daran, diesen Nachteil aufzuheben.
Bis wann, denken Sie, könnte eine Festkörperbatterie verfügbar sein, die alle gewünschten Anforderungen erfüllt?
Ich denke, dass Festkörperbatterien wohl frühestens in fünf Jahren eine massgebliche Rolle im industriellen Portfolio von Lithium-Ionen-Batterie-Lösungen spielen werden. Wahrscheinlich dauert es aber eher noch zehn Jahre, bis diese Technologie zum Massenprodukt wird.
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