Schweizer in AfghanistanBei den Evakuierungen aus Kabul wird die Zeit knapp
Seit Tagen hat das Aussendepartement kaum Menschen mit Bezug zur Schweiz aus Afghanistan herausgebracht. Und bald überlassen die USA den Flughafen den Taliban.
Die Hoffnung schwindet, dass die Schweiz all ihre Leute in Afghanistan rechtzeitig vor den Taliban in Sicherheit bringen kann. Über das Wochenende gab es kaum Fortschritte bei der grossen Evakuierungsoperation, die das Aussendepartement (EDA) letzte Woche gestartet hatte (lesen Sie hier mehr darüber).
Eine grössere Zahl von Menschen mit Bezug zur Schweiz hat es am Wochenende nicht aus Afghanistan herausgeschafft. Es gelinge aber immer wieder, wenigstens einzelne Menschen aus Kabul zu evakuieren, sagte ein EDA-Sprecher am Sonntag. Zahlen wollte er mit Verweis auf die volatile Lage nicht nennen. Man informiere, sobald man über gesicherte Informationen verfüge.
Total versucht das EDA mindestens 300 Menschen aus dem Land herauszuholen. Dabei handelt es sich um 35 Schweizer Staatsangehörige und 40 Afghaninnen und Afghanen mit Schweizer Aufenthaltsbewilligung. Zudem will die offizielle Schweiz auch die lokalen Angestellten der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) mit ihren Kernfamilien in Sicherheit bringen; das sind weitere 233 Personen.
Von diesen über 300 Menschen hatten bis am Freitagabend nur gerade 19 die Ausreise geschafft, 11 Personen mit Schweizer Pass und 8 mit Aufenthaltsbewilligung. Von den Lokalangestellten und ihren Angehörigen hatte bis Freitag nur eine einzige Person überhaupt Zugang zum Flughafengelände erhalten.
Swiss-Flug abgesagt
Um sich an den internationalen Evakuierungsbemühungen zu beteiligen, wollte das EDA am Samstag ein Charterflugzeug der Swiss in die usbekische Hauptstadt Taschkent entsenden. Die Idee war, dass der Schweizer Flieger Flüchtlinge (egal welcher Nation) weitertransportiert hätte, die zuvor von deutschen Militärmaschinen aus Kabul gebracht worden wären.
Doch am Samstag sagte das EDA den Flug ab.
Es gab in Usbekistan schlicht zu wenig Passagiere, um ein grosses Passagierflugzeug zu füllen. Denn aus Kabul kamen keine Flüge mehr, die ausländischen Luftwaffen hatten ihre Evakuierungsflüge zeitweise einstellen müssen. Der Grund ist die chaotische Sicherheitslage rund um den Flughafen Kabul. Am Samstag kam es zu einer Massenpanik, bei der nach Angaben des britischen Militärs im Gedränge sieben Menschen starben.
Wer einmal auf dem Flughafengelände ist, kommt früher oder später auch auf einen Flug. Doch das grosse Problem ist es, dorthin zu gelangen. Andere westliche Staaten – etwa Frankreich und Grossbritannien – sind teilweise dazu übergegangen, ihre Leute von Militärpersonal an den Flughafen zu eskortieren. Diese Möglichkeit hat die Schweiz nicht. Die Handvoll Soldaten, die der Bundesrat letzte Woche nach Kabul entsandt hat, sind dem Vernehmen nach nicht einmal bewaffnet.
Ausreisewillige müssen zwei grosse Hürden überwinden: Zuerst müssen sie an den Checkpoints der Taliban vorbeikommen, die mittlerweile die Hauptstadt Kabul kontrollieren. Und dann müssen sie von den amerikanischen Soldaten durchgelassen werden, die den Flughafen Kabul kontrollieren.
Das heisst: Wenn die Schweiz ihre Leute ausser Landes bringen will, muss sie zuerst die Amerikaner dazu bringen, diese Leute überhaupt auf das Flughafengelände zu lassen. Zu diesem Zweck hat das EDA letzte Woche eine kleine Gruppe von EDA-Angestellten und Berufssoldaten der Eliteeinheit AAD-10 nach Kabul entsandt (lesen Sie hier mehr darüber). Eigentlich wollte das EDA dieses Mini-Detachement am Wochenende mit sechs Angehörigen des Korps für humanitäre Hilfe verstärken – doch auch dieser Plan ist vorerst gescheitert.
Massenpanik am Flughafen
Der britische Verteidigungsminister Ben Wallace sprach am Sonntag Klartext: «Keine Nation wird in der Lage sein, alle herauszubringen.» Denn die Zeit läuft ab: Die USA geben sich und den anderen Ländern für militärische Evakuierungen nur noch Zeit bis am 31. August, also noch eine Woche. Dann wollen die USA auch den Flughafen Kabul den Taliban überlassen. Bis dahin alle Schutzbedürftigen aus Afghanistan herauszuholen, sei «mathematisch unmöglich», sagte der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell am Wochenende.
Am Sonntagnachmittag gab es wenigstens kleine Hoffnungszeichen. Die Lage am Flughafen habe sich inzwischen «etwas entspannt», teilte die deutsche Armee mit.
Das EDA sagte, man arbeite weiter «mit Hochdruck an verschiedenen Evakuierungs-Optionen». Die Schweiz sei auch nach wie vor bereit, ein Charter-Flugzeug nach Usbekistan zu schicken, sobald Bedarf dafür vorhanden sei.
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