Züchtung macht FortschritteBauern wollen neuer Gentechnik eine Chance geben
Dieser Vorschlag ist pikant: Bislang war der Bauernverband Verfechter eines strikten Gentech-Moratoriums. Nun kommen für ihn erste Ausnahmen infrage.
Hart wie Beton: So verfestigt war bis jetzt die Haltung des Parlaments beim Gentech-Moratorium. Seit 2005 ist der kommerzielle Anbau gentechnisch veränderter Organismen verboten, erlaubt ist nur die Forschung. Das Parlament hat das Moratorium seither drei Mal verlängert. Nun aber mehren sich die Zeichen für eine Aufweichung. Eine Schlüsselrolle spielt dabei just der Bauernverband (SBV) – eine der zentralen Kräfte, die das Moratorium bislang zementiert haben.
Wie unsere Recherchen zeigen, ist der Bauernverband Mitarchitekt eines Vorstosses, den Martin Haab am Freitag in der Wissenschaftskommission des Nationalrats einreichen wird. Der SVP-Politiker bestätigt auf Anfrage, der Vorstoss sei mit dem SBV-Vorstand abgesprochen.
Mit der klassischen Gentechnik haben diese Methoden wenig gemein.
Die Aktion hat zum Ziel, eine Brücke zwischen dem Nationalrat und dem Ständerat zu bauen. In der Herbstsession hat die grosse Kammer beschlossen, das Moratorium ab 2022 um weitere vier Jahr bis Ende 2025 zu verlängern. Die kleine Kammer bestätigte in der Wintersession den Beschluss – mit einer gewichtigen Ausnahme: Neue Züchtungstechnologien, etwa das Genom-Editing, sollen zwar weiterhin der Gentechnik-Gesetzgebung unterliegen, künftig aber nicht mehr unter das Moratorium fallen.
Mit der klassischen Gentechnik haben diese Methoden wenig gemein. Sie lösen Veränderungen im Genom einer Pflanze aus oder bringen arteigene Gene in die Pflanze ein, also kein artfremdes Material. Auch die Natur macht solche Veränderungen möglich, jedoch zufälliger und somit seltener. Dazu fähig ist auch die klassische Mutagenese, eine seit Jahrzehnten bewährte Züchtungsmethode. Durch Bestrahlung oder den Einsatz von Chemikalien ruft sie ungezielt Veränderungen im Erbgut einer Pflanze hervor. In der Schweiz kommen sehr viele Sorten auf die Felder, deren Eigenschaften so gezüchtet wurden, etwa die Mehrheit der Pastaweizen.
Deadline im Gesetz verankern
Zum Showdown kommt es wohl in der Frühjahrssession; dann befindet der Nationalrat über das strittige Geschäft. «Wir müssen den Gordischen Knoten lösen», sagt Nationalrat Haab. Sein Vorschlag: Bis spätestens Ende 2023 soll der Bundesrat die offenen Fragen rund um die neuen Gentechnik-Verfahren prüfen, dies unter der Prämisse, dass sie der Umwelt, Landwirtschaft und Konsumenten zugutekommen.
Die Deadline soll im Gentechnik-Gesetz verankert werden. Haab will so sicherstellen, dass der Bundesrat und die Verwaltung die Arbeiten auch wirklich vorantreiben. Sonst, so befürchtet Haab, läuft es so, wie es bis jetzt immer gewesen ist: Das Parlament verlängert das Moratorium um vier Jahre mit der Begründung, man müsse noch offene Fragen klären – nur um vier Jahre später wieder dasselbe festzustellen.
«Wir wollen die Verbindlichkeit erhöhen, dass Ende 2023 die zentralen Punkte geklärt sind.»
Diese Endlosschlaufe möchte auch der Bauernverband durchbrechen – nicht zuletzt, weil in Bauernkreisen die Hoffnung wächst, dass die neuen Verfahren Pflanzen gegenüber Krankheiten und Umwelteinflüssen resistenter machen und so mithelfen könnten, anstehende Probleme zu lösen oder zumindest zu mindern. Etwa die Vorgabe der Politik, weniger Pestizide einzusetzen. Oder die Dringlichkeit, neue Arten zu züchten, die an veränderte Klimabedingungen besser angepasst sind.
Verändert hat sich die Ausgangslage auch, weil mit dem neuen Verein «Sorten für morgen» eine Allianz, welche die ganze Lebensmittelkette abdeckt, den Status quo aufbrechen möchte. Mit dabei sind nebst den Detailhändlern Coop und Migros auch bäuerliche Kreise, etwa die Agrargenossenschaft Fenaco oder die Gemüseproduzenten.
«Wir wollen die Verbindlichkeit erhöhen, dass Ende 2023 die zentralen Punkte geklärt sind», sagt SBV-Direktor Martin Rufer. Dass der Verband seine Haltung zur Gentechnik aufgeweicht hat, bestreitet Rufer. «Wir wollen weiterhin eine Gentechnik-freie Landwirtschaft.» Eine dieser zentralen Punkte ist für Rufer die Frage, ob die neuen Verfahren überhaupt noch Gentechnik im klassischen Sinn sind und der strengen Gentechnik-Gesetzgebung unterstellt werden müssen.
Neue Verfahren, weniger Auflagen?
Die Frage ist pikant: Würden die neuen Verfahren davon ausgenommen, entfiele eine Reihe von Auflagen, etwa die Sicherstellung, dass die Herkunft dieser so entwickelten Pflanzen rückverfolgbar ist. Oder dass sie sich mit herkömmlichen Züchtungen nicht vermischen dürfen.
«Solange aber diese Auflagen weiterhin gelten», resümiert Rufer, «dürfte kein Züchter gewillt sein, mit den neuen Methoden entstandene Pflanzen in den Verkehr zu bringen.» Deshalb sei der Vorschlag des Ständerats ein untauglicher Schnellschuss. In der kommenden Zeit, fordert Rufer, «müssen Varianten für eine intelligente Regulierung der neuen Methoden ausgearbeitet werden».
Ob Haabs Vorstoss in der Kommission eine Mehrheit finden wird, ist offen. Hinter den Kulissen laufen Gespräche mit Vertretern der SVP, FDP, Mitte und GLP – SP und Grüne gelten, wie es ein bürgerlicher Parlamentarier formuliert, als «unbelehrbare Ideologen». Ein involvierter Nationalrat sagt, die Rückmeldungen aus Mitte-rechts-Kreisen seinen «ermutigender».
Fehler gefunden?Jetzt melden.